Letzte Ruhestätte für Opfer der NS-Medizin
Viele Täter blieben nach 1945 unbehelligt, jetzt soll wenigstens deren Opfern ein würdiges Andenken geschaffen werden: Gestern wurden die sterblichen Überreste von Opfern der NS-Medizin im Beisein von Bundespräsident Heinz Fischer und den Spitzen der Wiener Stadtregierung auf dem Zentralfriedhof bestattet. Es handelt sich dabei um Gehirnpräparate von Psychiatriepatienten, die zwischen 1941 und 1945 am Steinhof umkamen. Das heutige Sozialmedizinische Zentrum Baumgartner Höhe war damals Zentrum der Vernichtung von Leben, das nach der NS-Ideologie als "minderwertig" galt. "61 der jetzt bestatteten Präparate konnten Namen zugeordnet werden", sagt Herwig Czech, Historiker am Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes.
Bereits in den Jahren 1940/’41 wurden 3200 Menschen im Rahmen der sogenannten Aktion "T4" ins Schloss Hartheim (OÖ) deportiert und dort in der Gaskammer getötet.
Nach öffentlichen Protesten wurde die Aktion gestoppt – unter strenger Geheimhaltung ging das Morden aber an anderen Schauplätzen weiter.
3500 Opfer
Unter anderem am Steinhof: "Allein hier müssen wir von rund 3500 zusätzlichen Todesfällen zwischen 1941 und 1945 ausgehen", sagt Czech. Die Opfer – Patienten aus allen Altersgruppen – starben an systematischer Vernachlässigung, Unter- und Mangelernährung und bewusst geförderten Infektionskrankheiten. Nach ihrem Tod wurden ihnen Gehirnteile entnommen, die zu Forschungszwecken aufbewahrt wurden. Unter den Opfern der NS-Ärzte sind nicht nur Patienten aus dem Großraum Wien: Um Spuren zu verwischen und den Kontakt zu den Angehörigen zu unterbinden, wurden auch Patienten aus anderen Teilen des Dritten Reichs (z. B. aus Hamburg) nach Wien gebracht.
Straffrei
Viele der Verantwortlichen wurden nach dem Krieg nie zur Rechenschaft gezogen. So etwa der am Steinhof tätige Psychiater Hans Bertha, laut Czech ein "überzeugter Verfechter der Euthanasie". In einem Volksgerichtsverfahren wurde er 1948 freigesprochen, obwohl belastende Dokumente gegen ihn vorlagen. 1960 bis zu seinem Tod 1964 leitete er die Grazer Nervenklinik, ohne je bestraft worden zu sein.
Auch wenn viele der Täter nicht mehr belangt werden können, bleibt laut Historiker Czech viel zu tun: "Noch immer gibt es für Wien keine systematische Erfassung der Opfer." Ein weiteres Feld, das Historiker noch aufarbeiten müssen, ist das Schicksal von Menschen in den Altersheimen der NS-Zeit.
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