Kinderheim-Opfer: "Die Erzieherinnen quälten zum Spaß"

Kinderheim-Opfer: "Die Erzieherinnen quälten zum Spaß"
Im Wiener Kinderheim im Schloss Wilhelminenberg wurden Kinder psychisch und physisch gebrochen. Fortsetzung des Interviews mit Eva L. und Julia K.

Der Horror geht weiter. Im ersten Teil des KURIER-Interviews sprachen Eva L., 49, und Julia K., 47, über das sexuelle Martyrium, dass sie in den 1970er-Jahren im Kinderheim am Wilhelminenberg erleben mussten: Serienvergewaltigungen durch Fremde und Erzieher. Heute erzählen die beiden Frauen, die mit 6 und 8 Jahren in das Heim kamen, über die sadistischen Erziehungsmethoden der sogenannten "Schwestern" am Wilhelminenberg.

KURIER: Wann sind Sie in das Kinderheim der Stadt Wien im Schloss Wilhelminenberg gekommen?

Eva L.: Im Jahr 1970. Meine Schwester war bis zur Schließung 1977 dort, ich ein wenig kürzer.

In den amtlichen Aufzeichnungen steht 1972.
Eva L.: Das stimmt nicht. Ich bin mit acht Jahren in das Heim gekommen. Wir durften uns nicht von den kleineren Geschwistern verabschieden. Diese Schreie meiner Geschwister werde ich nie vergessen. (weint) Dann hat die Hölle begonnen. Die richtige Hölle.

Erinnern Sie sich an die ersten Eindrücke?
Eva L.: Wie ich dort hingekommen bin, wurden wir in Empfang genommen im Beisein sehr, sehr vieler anderer Kinder. Es wurde gesagt, dass wir Zigeuner sind. Dreckige, diebische, verlogene Zigeuner, die nicht das Recht haben zu leben (weint) .
Julia K.: Die Heimleiterin, die hat so einen Pudel gehabt, hat
uns zu dieser Tante gebracht, zur Schwester B.. Alle Gruppen haben Namen gehabt. Wir waren bei den Hasen. Wir waren einige Zeit dort und dann haben wir ins Bett genässt. Wenn wir ins Bett gemacht haben, hat sie uns an den Haaren gezogen und mit dem Kopf ins Lulu hineingehalten.

Wen meinen Sie mit "sie"?
Julia K.: Die Schwester Linda. Dann hat sie uns so geschlagen, dass ich nur mehr geschrien habe. Die anderen Kinder haben das natürlich auch alles mitbekommen. Aber die wurden ja auch dermaßen geschlagen, dass wir alle Angst hatten.
Eva L.: Nach kurzer Zeit haben meine Schwester und ich Mumps bekommen. Wir sind in die Krankenabteilung gekommen. Da waren Gitterstäbe vor den Fenstern. Es war dort sehr grausam und brutal. Wir waren in einem ganz kleinen Zimmer, da war so ein kleiner Vorraum und... (weint) da hat man uns eingesperrt. Da war keine Dusche, nur ein Waschbecken und ein WC. In der Tür war so ein Türschlitz, eine Klappe, da haben sie uns das Essen durchgeschoben.

Klingt wie im Gefängnis.
Julia K.: Wir haben geweint, es war niemand da, der uns irgendwie was Liebes sagen konnte. Wir haben ein Kreuz gehabt in diesem Zimmer, wir haben uns hingekniet und gebetet. Wir haben selbst versucht, uns ein bisschen Trost zu geben und von der Mama zu sprechen. Das hat uns dann wieder etwas Mut gegeben.
Eva L.: Wir waren immer alleine in dem Krankenzimmer. Am Abend ist eine Schwester gekommen mit einem Holzstäbchen und hat uns eine braune, komisch riechende Creme raufgeschmiert. Dann sind wir wieder zurück ins Heim gekommen. Da gab es grundlose Schläge und Beschimpfungen.

Wer hat Sie geschlagen?
Eva L.: Die Erzieherinnen. Die Männer haben uns nie geschlagen, aber uns dann was anderes angetan (gemeint sind sexuelle Übergriffe, siehe KURIER vom Sonntag) . Es waren sehr viele Erzieherinnen, die Waltraud, die B.. Aber am schlimmsten von allen war die Schwester Rosalinde. So hat sie sich genannt. Linda haben wir zu ihr gesagt.

Was hat diese Schwester Linda gemacht?
Eva L.: Die Kinder, die zu mir und meiner Schwester lieb waren, sind sofort bestraft worden. Linda hat immer gesagt, wir haben nicht das Recht zu leben. Sie hat uns immer Zigeuner gerufen. Wenn wir nicht fertiggegessen haben, hat sie uns gezwungen, dass wir aufessen. Wenn wir erbrochen haben, hat sie uns gezwungen, dass wir das Erbrochene aufessen. Das haben sehr viele Kinder getan, aber ich nicht.
Julia K.: Es war auch so, dass meine Schwester mit nassen Handtüchern geschlagen wurde ... (weint) Die hat sie total zusammengeschlagen.

Wer hat das getan?
Julia K.: Die Linda.
Eva L.: Linda hat mich an den Haaren in den Waschraum gezerrt, hat mich aufs Brutalste in die Ecke geschlagen oder mit dem Kopf ins volle Waschbecken getaucht. Sie hat ein Handtuch genommen, einen Knoten reingemacht, hat ihn nass gemacht und auf mich eingeschlagen.

Ist das öfter vorgekommen?
Eva L.: Das war so oft, dass ich es nicht zählen kann. Die war wie von Sinnen.

Gab es Zeugen?
Eva L.: Da war ich alleine. Aber das hat sie auch mit anderen Kindern gemacht, nicht nur mit mir. Danach musste ich stundenlang knien mit dem ganzen nassen Gewand, das ich angehabt habe.
Julia K.: Auch beim Essen haben sie uns gequält. Wenn es was gegeben hat. Manchmal haben wir nur Suppe bekommen und nichts anders. Oder wir haben Durst gehabt. Die hat uns nicht einmal Wasser trinken lassen. Den Waschraum hat sie abgesperrt. Da war ein Abteil, da waren nur WCs. Da sind wir reingegangen und haben aus der Toilette getrunken, weil wir schon so einen Durst gehabt haben.

Können Sie sich noch an andere Vorfälle erinnern?
Eva L.: Wenn sie (Schwester Linda, Anm.) zornig war, hat sie uns in der Nacht grundlos aus den Betten gezerrt und wir mussten knien. Wir haben uns nie auf den Unterricht konzentrieren können, weil wir nicht sehr viele Nächte gehabt haben, wo wir schlafen haben dürfen.

Wo wurden Sie unterrichtet?
Eva L.: Wir sind im Heim in die Schule gegangen. Ich war vorher in der Volksschule. Dort haben sie uns gleich in die Sonderschule gesteckt.
Julia K.: Ich war in der Sonderschule. . . Erste Klasse, zweite Klasse, dritte Klasse und hab lauter Einser gehabt. Hab mir dann auch gedacht - komisch?!

Im Vorgespräch haben Sie erzählt, dass sie einmal einen Film vorgespielt bekommen haben.
Julia K.: Ja, das war von dem Konzentrationslager. Da wurde gezeigt, wie es den Menschen gegangen ist, die der Hitler verbrannt oder vergast hat.
Eva L.: Ja genau, das war im Keller. Da war so ein Filmvorführraum. Da hat Linda uns Dias und Filme gezeigt. Sie hat gesagt, das, was wir sehen, ist ein Konzentrationslager. Da waren viele dunkle Menschen wie meine Schwester und ich (weint) . . . Sie hat gesagt, dass die auch umgebracht worden sind und ob wir jetzt endlich verstehen, dass wir dort auch hingehören und dass wir nicht das Recht haben, zu leben.

Wie alt waren Sie, als Ihnen der Film vorgespielt wurde?
Julia K.: Da war ich noch ganz klein. Vielleicht sieben Jahre, meine Schwester war gerade neun. Der Film war so grausam. Da haben wir Menschen gesehen, die dunkel waren und in eine Gaskammer kommen. So Ausschnitte waren das. Wir haben die Toten in der Grube liegen sehen. Wir haben so eine Angst, so eine Panik gehabt. Wir haben gedacht, vielleicht machen die das dann mit uns auch.
Eva L.: Ich habe mir gewünscht, der Boden öffnet sich und ich verschwind', weil ich mich so geschämt hab vor den anderen Kindern.

Hat die Verletzungen niemand bemerkt?
Julia K.: Wir wurden ja oft geprügelt. Die Erzieherinnen haben dann gemeint, wir sind krank und dürfen nicht raus und auch keinen Besuch empfangen. Und dann haben sie gesagt: "Seht's ihr, so werden wir das immer machen." Das war für uns ganz arg. Wir haben alles gemacht, was die zu uns gesagt haben. Alles.

Und die anderen Kinder im Heim?
Julia K.: Das war wirklich schrecklich. . . Man hat ja auch die anderen Kinder gesehen, die auch verletzt waren. Das war so brutal - auf einen Tisch aufschlagen, gegen die Wand schlagen. Auf den Boden. Die haben uns angeschrien und büschelweise die Haare ausgerissen.
Eva L.: Linda hat mich einmal so geschlagen, dass ich auf einen rostigen Nagel gefallen bin. Ich habe eine Blutvergiftung bekommen. Das war ihr alles egal, die hat das richtig genossen. Und einen richtigen Spaß daran gehabt, wenn sie uns quälen konnte.
Julia K.: Die hat ja mit den Gabeln geschossen nach uns. Egal was sie in der Hand gehabt hat. Die hat mit den Schlapfen geschossen, hat mit den Sesseln geschossen, hat das Stockerl oft genommen und uns nachgeschossen. Da hat sie einmal meiner Schwester das Messer reingehaut. Wir haben alle so geschrien. Wir haben immer geglaubt, die bringt uns um.

Ist die Polizei gekommen?
Julia K.: Nein, das wundert mich ja. Die Polizei ist nur da gewesen, wenn sie die abgängigen Kinder gebracht hat. Wissen Sie, wie oft wir den Rettungswagen bei uns gesehen haben? Sehr oft. Es war so oft, dass man es gar nicht zählen kann. Mindestens einmal in der Woche.

Die Kinder wurden ins Spital gebracht, weil sie verletzt waren?
Julia K.: Wegen Verletzungen. Es wurden viele Kinder. . . Ich wurde ja auch verletzt. Ich wurde von einer Schwester die Stiegen hinuntergeschmissen. Ich konnte nicht mehr gehen, ich hatte einen angeschwollenen Knöchel, wo eine andere Schwester mit mir ins Spital mitgefahren ist mit der Rettung.

Die Ärzte haben nicht nachgefragt?
Julia K.: Die haben sich gesagt: "Das sind die Heimkinder." Die Erzieherinnen haben die Kinder aufgehusst. Sie haben gesagt "Schlagt's die oder die." Die Linda hat auch gesagt: "Schauts euch diese Kinder an, das sind ja die dreckigsten Zigeuner, die es überhaupt gibt." Und hat uns solche Watschen runtergehaut. . . Meine Schwester hat Nasenbluten gehabt.
Eva L.: Wir mussten gemeinsam zur Dusche. Da waren mehrere Duschkabinen. Nach dem Einseifen haben sie den Haupthahn abgedreht. Sie haben uns zittern lassen und das wirklich genossen. Dann sind sie schauen gekommen, ob wir überall eingeseift sind. Das war sehr unangenehm, weil sie uns auch berührt haben, was wir nicht wollten. Die sind gestanden und haben gelacht und haben einfach nicht mehr das Wasser aufgedreht, damit wir uns nicht abduschen können.
Julia K.: Das war Katastrophe pur. Wir haben gebibbert. Das war ihnen total egal.
Eva L.: Wenn es sehr heiß war, hat sich die Linda in einen Liegestuhl gelegt, und wir haben uns müssen in die Brennnesseln stellen und Kniebeugen machen. Die hat es richtig genossen, dass wir Schmerzen ertragen mussten.

Rachegedanken?
Eva L.: Da ist in mir schon sehr viel Hass aufgestiegen. Ich habe mir oft vorgestellt, wie das ist, wenn ich auf sie einschlagen könnte - so aggressive Gedanken halt. Alle wollten wir gemeinsam einen Plan machen, dass wir von dieser Person loskommen.

Und heute?
Eva L.: Rache will ich wirklich nicht. Früher hatte ich sicher ein Hassgefühl. Wenn das aufgedeckt wird, wie die dann dastehen. Ich hab mir vorgestellt, ob die das zugeben oder bereuen. Ich wollte, dass sie bestraft werden. Jetzt, wo ich älter bin, habe ich irrsinnig großes Mitleid, weil das sind kranke Menschen. Normale Menschen machen das mit Kindern nicht. Kinder sind das Wertvollste auf der Welt. Kindern nimmt man nicht jede Zukunftschance. Ich würde gerne wissen, wie ich wäre, wenn die mir das alles nicht angetan hätten. Ich bin auf der Suche nach mir.

Mehr zum Thema

  • Hauptartikel

  • Hintergrund

  • Interview

  • Reaktion

  • Kommentar

  • Interview

  • Reaktion

Kommentare