„Ich habe um mein Leben gekämpft“

Tränen bei der Heimkehr von Marte Dalelv nach Norwegen. Trotz Vergewaltigung wurde die 24-Jährige in Dubai verurteilt
Eine Wienerin wird vergewaltigt. Marte Dalelv erlebte das gleiche Schicksal. Sie wurde zu 16 Monaten Haft verurteilt und begnadigt.

KURIER: Frau Dalelv, Sie wurden in Dubai vergewaltigt. Als Sie bei der Polizei Ihre eigene Vergewaltigung anzeigen, werden Sie verhaftet und später zu 16 Monaten Haft verurteilt. Was raten Sie der Wienerin, die im Moment in einer sehr ähnlichen Situation steckt?
Marte Dalelv: Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie es dem Opfer nun geht. Ich schämte mich, ich fühlte mich schuldig, dachte es war mein Fehler, dass ich vergewaltigt wurde. Ich wollte anfangs auch nicht an die Medien gehen. Denn niemand will als die vergewaltigte Frau aus Dubai bekannt werden. Aber ich kann der Familie nur raten, diesen Schritt zu wagen, denn sonst kommt ihre Tochter nicht nach Hause.

Die Polizei in Dubai gab dem Wiener Opfer den Rat, sie solle ihren Vergewaltiger heiraten, damit es zu keiner Anklage wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs kommt. Welche Konsequenzen hätte das?
Das soll die Österreicherin auf keinen Fall machen. Durch eine Heirat geht der böse Traum nicht zu Ende, denn der Mann hat in Dubai das Recht, seiner Frau den Pass abzunehmen. Dann ist sie seine Gefangene. Auch ich wurde mit einem Trick reingelegt: Polizei und Staatsanwalt sagten mir, mein Fall sei sehr kompliziert und schwer zu beweisen. Ich würde vor Gericht niemals damit durchkommen. Niemand würde mir glauben. Ich sollte also meine Vorwürfe zurücknehmen, dann wäre es leichter, den Fall abzuschließen. Ich könnte dann raus aus Dubai. Das tat ich auch. Aber vor Gericht half mir das gar nichts.

Denn Sie standen plötzlich als Kriminelle da ...
Ja, es war ein großer Fehler. Aber ich wollte eben einfach nach Hause, einfach nur raus aus diesem Land. Deswegen ließ ich mich auf den Vorschlag ein. Vor Gericht bin ich dann auf Anraten meiner Verteidiger zu der ursprünglichen Darstellung zurückgekehrt, dass es eine Vergewaltigung war.

Aber das Gericht hat Ihnen nicht geglaubt ...
Während des Prozesses hatte ich immer das Gefühl: Egal welche Beweise wir vorlegen, der Richter will es einfach nicht hören. Wir hatten eindeutige medizinische Untersuchungsergebnisse, dass eine Vergewaltigung stattgefunden hatte, auch DNA-Material seines Spermas legten wir dem Gericht vor und es gab sogar einen Zeugen. Der Täter stritt alles ab, er erklärte sogar, dass wir gar keinen Sex hatten. Als am Ende der Schuldspruch mit einer Haft von 16 Monaten kam, war ich überrascht und absolut geschockt. Damals stand ich vor der Perspektive: Entweder gehe ich jetzt ins Gefängnis oder die ganze Welt erfährt, dass ich vergewaltigt wurde. Von diesem Zeitpunkt an kämpfte ich um mein Leben.

Wie kam es zu der Vergewaltigung?
Ich arbeitete schon seit einigen Monaten für eine Inneneinrichtungsfirma. Meine Kollegen und ich gingen aus, wir tranken Alkohol, ich war etwas betrunken. Mein Kollege wollte mich zu meinem Hotelzimmer begleiten, aber das tat er nicht, sondern zerrte mich in sein Zimmer. Was danach passierte, weiß ich nicht mehr. Am nächsten Morgen wachte ich auf, lag nackt am Bauch, und er vergewaltigte mich. Ich versuchte ihm zu entkommen, doch er drückte mich runter. Das ist eine sehr kurze Beschreibung dafür, wie die Tat ablief.

Haben Sie um Hilfe geschrien?
Ich versuchte, ihn raus aus dem Hotelzimmer zu bekommen. Plötzlich war jemand an der Zimmertür, es klopfte, der Kollege stand auf. Und ich bin einfach nur noch losgerannt, runter zur Rezeption. Ich weinte und schrie verzweifelt: Ruft die Polizei!

Wie hat die Polizei in Dubai reagiert?
Sie kamen ins Hotel, nahmen die Aussagen der Hotelangestellten auf, sicherten die Spuren. Dann fuhren wir zur Polizeistation, aber da spürte ich sofort, dass sie mir nicht glauben wollten. Sie stellten mir sehr eigenartige und teilweise sehr technische Fragen zum Geschlechtsverkehr. Und nachdem ich meine Aussage gemacht hatte, fragte mich einer der Polizisten: Hast du uns nur gerufen, weil es dir nicht gefallen hat? Ich fühlte mich nicht als Opfer, sondern als Täterin. Sie steckten mich für vier Tage ins Gefängnis und nahmen mir nach der Freilassung den Pass ab.

Wie sind die Bedingungen in einem Gefängnis in Dubai?
Die vier Tage waren furchtbar, ich hatte ständig Angst. Zum Glück war ich eine Europäerin, deswegen wurde ich besser behandelt als die anderen Häftlinge. Aber die Justizwache war sehr hart, sie schrien uns ständig an. Ich bekam die ersten beiden Tage kein Wasser zu trinken. Ich hatte noch eine kleine Wasserflasche bei mir, die war meine Rettung. Ich fror ständig, weil die Klimaanlage auf Hochtouren lief. Erst am dritten Tag hatte ich es geschafft, die Justizwachen zu überzeugen, dass sie mir ein Telefonat genehmigen. Ich rief meine Eltern an, die bis dahin nicht wussten, was passiert war. Ich sagte ihnen, sie müssen sofort mit der Botschaft Kontakt aufnehmen, damit ich hier rauskomme. Am nächsten Tag kam der Konsul und holte mich aus dem Gefängnis.

Wie fühlten Sie sich im Gefängnis? Wie groß war Ihre Angst?
Die ersten beiden Tage war ich unter Schock. Deswegen habe ich kaum Erinnerungen an die ersten 48 Stunden. Ich dachte, ich verliere meinen Verstand. Erst am dritten Tag verließ mich dieser Schockzustand. Aber dieses Gefühl, nicht zu wissen, wann ich hier wieder rauskomme, war ein Horror.

Da Sie begnadigt wurden, dürfen Sie nach Dubai einreisen. Werden Sie das Land jemals wieder betreten?
Nein, nie wieder.

Dubai präsentiert sich als Urlaubsparadies. Aber die Scharia ist die Basis für die Gesetzgebung. Existieren zwei Welten in dem Wüstenstaat?
Das Zentrum von Dubai wirkt sehr westlich. In den Shoppingcentern kannst du alles kaufen – von sexy Dessous bis zu den teuersten Designerlabels. Aber wenn du in die Vorstadt gehst, siehst auch viel Armut. In Dubai urteilt die Justiz nicht nur nach der Scharia, es ist auch sehr davon abhängig, wer du bist.

Im Juli durften Sie wieder nach Norwegen zurückkehren. Wie versuchen Sie Ihr Schicksal zu bewältigen?
Ich arbeite wieder, besuche eine Psychotherapie, aber es ist für mich sehr hart über die Vergewaltigung zu sprechen. Albträume quälen mich sehr oft. Ich kämpfe immer noch. Nach der Vergewaltigung lebte ich in Dubai sechs Monate lang in ständiger Angst. Angst vor einer neuer Verhaftung oder einer Verurteilung. Ich dachte, wenn ich nach Hause komme, wird mich dieses Gefühl verlassen. Aber es ist noch immer da.

Werden Sie einem Mann jemals wieder vertrauen können?
Das wird sehr schwer. Denn ich habe diesem Kollegen, der mich vergewaltigte, vertraut.

Glauben Sie, dass Sie sich wieder verlieben können?
Ich glaube fest daran, und ich fühle, dass es irgendwann passieren wird.

Die Parallelen sind nicht zu übersehen – jene zwischen der Norwegerin Marte Dalelv und jener Wienerin, 29, die nun in Dubai festsitzt.

Die Geschichte beginnt auch hier mit einem Verbrechen, einer Vergewaltigung am 1. Dezember des Vorjahres. Tatort war eine Garage unter einem Fünf-Sterne-Hotel, wie sie überall in dem Emirat in den Himmel schießen. Ein Jemenit, so erzählte es das Opfer später der Polizei, fiel in einem Pkw über sie her, aktivierte die Türsperre. Nach der Tat hörten andere die Schreie des Opfers, alarmierten die Polizei. So lautet die Version der 29-Jährigen.

Die Wienerin, die als Opfer in die Einvernahme ging, kam als Verdächtige in Haft. Denn die Beamten glaubten ihr nicht, unterstellten ihr, freiwilligen „außerehelichen Geschlechtsverkehr“ unter „Alkoholeinfluss“ gehabt zu haben. Beides ist in den Emiraten strafbar. Ihr droht eine mehrjährige Haftstrafe. Drei Tage blieb die tunesischstämmige Wienerin inhaftiert.

Mit ihrer Freilassung wurde ihr dann – wie in dem Emirat bei einer Verdachtslage üblich – der Reisepass abgenommen. Sie kann damit den Wüstenstaat nicht verlassen. Selbst über die grüne Grenze, etwa in den Oman, wäre ein Fluchtversuch riskant, denn die Nachbarstaaten haben mit den Scheichs ein Auslieferungsabkommen abgeschlossen.

Das österreichische Außenministerium war schon mit dem Fall befasst, als diese Woche die gulf news, eine betont regierungsnahe Zeitung, den Fall publik machte.

Die Botschaft versorgte die Österreicherin mit juristischem Rat und stellte ihr einen Anwalt. Oberstes Ziel der Bemühungen ist es, eine Anklage zu verhindern.

Die Exekutive in Dubai sichtet indes ein Video einer Überwachungskamera nach Schreien der Wienerin.

Vieles hängt nun vom Botschafter vor Ort ab. Das ist selbst für erfahrene Diplomaten ein schwieriges Parkett: Die stolzen Emiratis lassen sich sehr lange und gerne bitte. Dennoch gab es bereits „intensive Gespräche“. Einer Diplomatin zufolge auch im dortigen Außenministerium.

Anders als die Norwegerin hat sich das Opfer aus Wien noch nicht geoutet. Die „Scham“, sagt die Norwegerin , sei enorm.

Für Ende Februar ist ein Gerichtstermin angesetzt. Dem Vernehmen nach soll dann über eine Anklage entschieden werden.

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