Geschäftesterben im Wiener Hauptbahnhof: "Da hilft keine Nackerte"

Wiener Hauptbahnhof
Hinter den Kulissen gärt es. Eingestellte Mietzahlungen, Gerichtsprozesse und erste Pleiten.

Samsung, Western-Union und Radatz haben in den vergangenen Monaten geschlossen. Auch das Blumeneck im Erdgeschoß hat dichtgemacht, ebenso der Eisverkäufer. Über den Betreiber des A1-Handyshops wird gerade der Konkurs verhandelt, am Dienstag ist voraussichtlich der letzte Öffnungstag. Und es dürfte nicht die letzte Pleite in diesem Jahr sein.

Das prestigeträchtige Einkaufszentrum beim Wiener Hauptbahnhof droht zu einem Desaster zu werden. Zumindest zwei Betreiber stellten mittlerweile sogar ihre Pachtzahlungen ein. Unter dem Bahnhof gärt es: Mit den ÖBB haben einige der Geschäftsleute nur noch via Anwalt Kontakt. "Mit sechs Prozent der 90 Pächter gibt es aktuell Gerichtsverfahren", sagt Juliane Pamme von den ÖBB. Mit einem weiteren steht ein Prozess bevor.

Geschäftesterben im Wiener Hauptbahnhof: "Da hilft keine Nackerte"
Lokalaugenschein am neuen Wiener Hauptbahnhof am 17.08.2015.
Der Wiener Anwalt Erich Gemeiner spricht von einem "Pächtergrab", Schuld seien seiner Meinung nach "Knebelverträge und irreführende Werbung der ÖBB". Pamme bestreitet das vehement und betont, dass "alle rechtlichen Standards und Sitten eingehalten werden."

Mario Brumat vom "La Punta" muss laut Vertrag 100 Euro pro Quadratmeter Ladenfläche bezahlen, beinahe so viel wie auf der Mariahilferstraße. "Ich mache durchschnittlich 50 Euro Umsatz pro Tag und soll 4750 Euro Pacht pro Monat bezahlen. Das geht einfach nicht." Gegen ihn läuft eine Räumungsklage, weil er die Zahlungen eingestellt hat. "Falls ich den Vertrag kündige, verliere ich 200.000 Euro Investitionen und muss achteinhalb Jahre Miete nachzahlen", sagt Brumat. Er würde sogar noch einmal Geld in einen Umbau stecken, doch das wurde ihm untersagt. "Doch derzeit könnte ich eine Nackerte hinter die Theke stellen, das würde nicht helfen", sagt der Pächter.

Geschäftesterben im Wiener Hauptbahnhof: "Da hilft keine Nackerte"
Hauptbahnhof, ÖBB
Bis Ende 2016 bekamen einige Geschäfte offenbar Rabatt, seit Jänner 2017 ist nun die volle Pacht fällig. Für sein kleines Handygeschäft im Untergeschoß seien jetzt 10.000 Euro Miete, eine Umsatzbeteiligung plus Werbekosten zu berappen, berichtet Martin Madejski, der vor der Insolvenz steht: "Uns wurde versprochen, das wird ein Einkaufscenter, aber es ist nur ein Bahnhof. Mein Verlust beläuft sich auf 1,5 bis zwei Millionen Euro".

Millionenverluste

Andere Geschäftsbetreiber sprechen hinter vorgehaltener Hand von einem Minus zwischen 200.000 und 1,5 Millionen Euro aus den ersten drei Jahren. Ein Textilhändler mit Shops in mehreren Ländern berichtet von Tagesumsätzen von rund 300 Euro: "Hier ist das umsatzschwächste Geschäft, das wir haben". Ein weiterer Bekleidungshändler schildert, dass er drei von fünf Mitarbeitern entlassen musste, weil die Kunden ausbleiben. Die meisten Betreiber wollen anonym bleiben, weil in den kommenden Wochen Gespräche über Mietzinssenkungen oder Prozesstermine anstehen.

Streit um Besucherzahlen

Gestritten wird vor allem darum, wie viele Personen tatsächlich im Hauptbahnhof sind – und wie viele davon die Geschäfte passieren. Angekündigt waren 118.000 pro Tag in Vorabprospekten für die Pächter, in Medienberichten sogar 140.000. Laut den ÖBB werden 120.000 erreicht: "Es finden manuelle Zählungen jeweils einmal monatlich am letzten Freitag sowie automatische Zählungen statt", erklärt Pamme. Die Pächter kritisieren, dass an den falschen Orten gezählt wird. Tatsächlich ist es so, dass der Hauptstrom der Bahn-Passagiere an einem Teil der Geschäfte vorbeizieht. Die Pächter sprechen von maximal 80.000 Besuchern. Sie kritisieren, dass zu wenig Werbung betrieben wird und dass es zu wenige Aktionen gibt. Die ÖBB bestreiten das – und zählen 17 Werbemaßnahmen auf, die ergriffen wurden.

Geschäftesterben im Wiener Hauptbahnhof: "Da hilft keine Nackerte"
Rechtsanwälte Erich Gemeiner und und Iris Augendoppler - Prozess um Stoß von Brücke Krems
Die Pachtverträge haben aber auch noch spannende Details, denn die ÖBB kassierten Maklerhonorare: Für ein 45-Quadratmeter-Geschäft sind das stolze 16.700 Euro. Bei der Bahn heißt es, das sei "marktüblich", für Anwältin Iris Augendoppler ist das "schlichtweg sittenwidrig, die ÖBB haben keinerlei Maklertätigkeit" entfaltet. Sie treten gleichzeitig als Verpächter und Makler auf, das sei eigentlich unvereinbar.

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