Frauen im Öffi-Dienst: "Bei Ihnen steige ich nicht ein"

FOTO: Gilbert Novy, 46-101164248 v. 25.07.2017 grafik
Exakt seit 25 Jahren werden Busse und U-Bahnen von Frauen gelenkt. Ihr Anteil ist bis heute gering.

Es war ein Herbsttag. Gabriele Netsch erinnert sich noch genau. Sie trug bereits ihre Uniform: graue Hose und hellblaue Bluse. Die beiden Männer, die vor ihr an der Reihe waren, hatten schon Fahrerfahrung und absolvierten die Probefahrt anstandslos. Dann war endlich sie dran, nahm hinter dem großen Lenkrad Platz und drehte die ersten Runden auf dem Übungsplatz. Sie war selbst überrascht, wie gut es ging. "So und jetzt geradeaus", meinte der Fahrlehrer. Und bevor sie es realisieren konnte, befand sie sich im Straßenverkehr. "Oh mein Gott", schoss es ihr ein. "Jetzt bin ich tatsächlich Busfahrerin!"

Netschs erste Übungsfahrt war nicht nur eine Premiere für die Wienerin – es war auch neues Terrain für die Wiener Linien. Denn Gabriele Netsch, die heute für die Fahrplanerstellung zuständig ist, war eine der ersten Busfahrerinnen in der Geschichte der städtischen Verkehrsbetriebe. Während Straßenbahnen schon ab den 1970er-Jahren von Frauen gelenkt wurden, dauerte es bei Bus und U-Bahn länger. Nämlich bis ins Jahr 1992.

Busse als Faszination

Wieso Gabriele Netsch den Beruf überhaupt ergreifen wollte? "Busse haben mich einfach immer fasziniert", erzählt sie, während sie den KURIER durch die Busgarage bei der Spetterbrücke führt. "Ich habe früher für ein privates Busunternehmen gearbeitet. Die Busse fuhren direkt an meinem Fenster vorbei. Und jedes Mal dachte ich mir, wie toll es nicht wäre, wenn ich einen von ihnen lenken könnte." Als sie in einem Artikel davon erfuhr, dass die Wiener Linien seit Neuestem Frauen zu Fahrerinnen ausbildeten, zögerte sie nicht lange und war wenig später mitten in der Ausbildung.

Gab es Schwierigkeiten? "Eigentlich nicht. Alles ist halt ein wenig größer", meint Netsch. "In Wahrheit waren mir die großen Gelenkbusse aber bald die liebsten. Je größer, desto besser." Bei dem Satz muss sie lachen.

Und blöde Kommentare? Natürlich gab es Fahrgäste, die sich weigerten in den Bus einzusteigen. Die Sätze sagten wie: "Bei Ihnen steige ich nicht ein, weil von einer Frau lasse ich mich nicht herumfahren." Oder die verächtlich fragten: "Wo haben Sie denn Ihren Führerschein her?" Aber eigentlich bildeten solche Gäste die Ausnahme. Viel öfter bekam sie Lob.

Nachholbedarf

Auch wenn Busfahrerinnen gut angenommen wurden: Ein Vierteljahrhundert später machen sie immer noch nur drei Prozent aus. Bei den Straßenbahnen und U-Bahnen ist es ein wenig besser. Hier beträgt der Fahrerinnenanteil 14 bzw. 15 Prozent. Alexandra Reinagl, erste Geschäftsführerin bei den Wiener Linien, zerbricht sich seit Längerem den Kopf darüber, wie man das ändern kann (siehe Interview rechts). "Wir versuchen, die Rahmenbedingungen zu verbessern, etwa eine Teilzeitausbildung zu ermöglichen. Es gibt einen Nachtkindergarten. Und wir organisieren Info-Veranstaltungen."

Wie wichtig weibliche Vorbilder sind, weiß Netsch. In ihrer Stamm-Supermarktfiliale gab es eine Verkäuferin, von der Netsch bei jedem Einkauf ausgefragt wurde, weil sie der Beruf so faszinierte. Sie traue sich aber nicht, habe nicht das Zeug dazu. Netsch sprach ihr immer gut zu.

Und heute? Heute kann es passieren, dass Gabriele Netsch in einen Bus einsteigt – und ihre ehemalige Verkäuferin sitzt hinterm Steuer.

Lust bekommen? BuslenkerInnen werden übrigens aktuell gesucht: wienerlinien.at/karriere

Alexandra Reinagl ist seit 2011 kaufmännische Geschäftsführerin bei den Wiener Linien. Sie ist die erste Frau in dieser Position.

KURIER: Frau Reinagl, wieso gibt es so wenige Fahrerinnen?

Alexandra Reinagl: Ich glaube, man muss schon im Kindergartenalter ansetzen. Mädchen muss klar werden, dass sie alles werden können. Technische Berufe werden immer noch viel mit Männern assoziiert. Und ich glaube, Frauen denken drei Mal nach, bevor sie sich etwas zutrauen. Gleichzeitig versuchen wir, die Rahmenbedingungen anzupassen. Wir arbeiten etwa gerade daran, eine Teilzeitausbildung zu ermöglichen.

FahrerInnen werden fast rund um die Uhr gebraucht. Das ist nicht sehr familienfreundlich ...

Das stimmt. Wir bemühen uns, bei der Diensteinteilung auf Eltern (nicht nur Frauen) Rücksicht zu nehmen. Seit zwei Jahren bieten wir auch einen Nachtkindergarten an. Vereinbarkeit betrifft uns alle: Frauen, Männer und Unternehmen.

Bei den Busfahrern ist der Frauenanteil mit drei Prozent am geringsten. Wieso?

Wenn man bei einer bekannten Suchmaschine Autobusfahrerin eingibt, wird nachgefragt, ob man nicht Autobusfahrer meinte. Das ist symptomatisch, es fehlen Vorbilder. Klischees sind da nicht förderlich. Wenn Mädchen immer hören, dass Frauen nicht einparken können, bleibt das nicht ohne Folgen.

Sie sind Mutter und die erste Geschäftsführerin bei den Wiener Linien. Welche Karrieretipps können Sie Frauen geben?

Mutig sein! Sich klarmachen, dass man genauso gut ist, wie die anderen – auch wenn man nicht bei jedem Netzwerktreffen dabei ist. Und sich nicht kleinmachen lassen. Zu mir hat man am Anfang oft gesagt: "Da kommt die Reinagl wieder mit ihren Soft-Themen." Davon darf man sich nicht unterkriegen lassen – sondern zur eigenen Arbeit stehen.

Frauen im Öffi-Dienst: "Bei Ihnen steige ich nicht ein"
Portrait der Geschäftsführerin Alexandra Reinagl.

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