Subjektives Sicherheitsgefühl: Frauen, die ihre Kraft entdecken

In der Volksschule Am Hundsturm veranstalten zwei Mitglieder der Exekutive Selbstverteidigungskurse für Frauen.
Nach den sexuellen Übergriffen von Köln und Innsbruck steht Selbstschutz hoch im Kurs.

Eins, kick, zwei, kick, drei kick – dumpfe Geräusche erfüllen den Turnsaal. 18 Frauen stehen einander am Dienstagabend paarweise gegenüber und kicken ihre Knie mit aller Wucht gegen einen Polster.

Der KURIER besuchte vor genau einem Jahr einen Kurs des Vereins Goshindo Women Defence und schaute nun wieder vorbei. Damals waren die sexuellen Übergriffe der Silvesternacht in Köln gerade das hochbrisante Thema – Selbstverteidigungskurse erlebten einen Boom.

Weniger Angst

Subjektives Sicherheitsgefühl: Frauen, die ihre Kraft entdecken
In der Volksschule Am Hundsturm veranstalten zwei Mitglieder der Exekutive Selbstverteidigungskurse für Frauen. Wien, 17.01.2017
Doch wie hat dieses eine Jahr Training die Teilnehmerinnen verändert? "Mein Selbstbewusstsein ist gestiegen, ich bin weniger ängstlich", sagt Ulli Rapatz. Die Lehrerin hatte sich nach einem brenzligen Vorfall in der U-Bahn zur Teilnahme entschieden. "Es geht mir dabei auch um meine Schüler. Wenn ich mit einer Gruppe unterwegs bin, kann ich meinen Schutzbefohlenen im Notfall helfen. Ich wäre dafür, dass Selbstverteidigungskurse in Schulen Pflicht werden", sagt Rapatz.
Subjektives Sicherheitsgefühl: Frauen, die ihre Kraft entdecken
In der Volksschule Am Hundsturm veranstalten zwei Mitglieder der Exekutive Selbstverteidigungskurse für Frauen. Wien, 17.01.2017
Im Kurs der Fortgeschrittenen wird während des Interviews mit der Lehrerin kräftig zugeschlagen. Das freiwillige "Opfer" ist Polizist Matthias Gastgeb. Er ist einer der Trainer des Vereins, von denen alle aus dem Profi-Kampfsport, dem Militär oder der Polizei kommen. "Wenn die Frauen mit dem Kurs beginnen, wissen sie meistens gar nicht, wie viel Kraft eigentlich in ihnen steckt. Doch sie sind alle stark, durch das Training werden sie sich dessen bewusst", sagt Gastgeb.

Neben den Kampftechniken schulen die Trainer die Frauen aber auch in rechtlichen Belangen. "Es ist wichtig zu wissen, wann ich mit der Verteidigung aufhören muss. Wenn man angegriffen wird, kann es, denke ich, leicht passieren, dass man es mit der Notwehr übertreibt", sagt Teilnehmerin Karoline Mrazek. Sie ist schon seit drei Jahren dabei und bezeichnet sich als Kampfsport-Interessiert. Warum sie beim Goshindo Women Defence Verein schon so lange dabei ist: "Weil es wichtig ist, die Übungen ständig zu wiederholen. Wenn ich länger nicht in den Kurs gehe, dann habe ich das Gefühl, nicht mehr zu hundert Prozent für den Ernstfall vorbereitet zu sein."

Subjektives Sicherheitsgefühl: Frauen, die ihre Kraft entdecken
In der Volksschule Am Hundsturm veranstalten zwei Mitglieder der Exekutive Selbstverteidigungskurse für Frauen. Wien, 17.01.2017
Dass Kontinuität beim Kampfsport wichtig ist, bestätigt auch der Trainer und Präsident des Jiu-Jitsu-Verbands Österreich, Michael Takács. "Wir versuchen, die Abläufe der Bewegungen zu automatisieren. Das ist ein wichtiger Punkt in unseren Kursen."

Trainingslager

Subjektives Sicherheitsgefühl: Frauen, die ihre Kraft entdecken
In der Volksschule Am Hundsturm veranstalten zwei Mitglieder der Exekutive Selbstverteidigungskurse für Frauen. Wien, 17.01.2017
Aber auch die sportliche Herausforderung und der Teamgeist reizen die Frauen. "Wir fahren regelmäßig auf Trainingslager, wo zusätzlich andere Fähigkeiten erlernt werden. Es gab zum Beispiel Schulungen für den richtigen Umgang mit Pfeffersprays", sagt Takács. Laut den Teilnehmerinnen sei es obendrein viel motivierender, als ins Fitnessstudio zu gehen.

Kaum eine Teilnehmerin wurde bereits selbst zum Opfer von Gewalt – die meisten besuchen die Selbstverteidigungskurse von Nur Sümeyye Yalcin (24) aus Angst. Vor sexuellen, aber auch vor rassistisch motivierten Übergriffen. Zum Teil, bestätigt die türkische Kampfsport-Trainerin, fühlen sich Musliminnen in Österreich als Teil einer Sonderrisikogruppe.

Attacken gegen Kopftuch-Trägerinnen und das aktuelle politische Klima tragen zur Verunsicherung bei. "Eine Schülerin hat mir zum Beispiel erzählt, sie stelle sich auf dem Bahnsteig der U-Bahn nur mehr in die zweite Reihe, damit sie nicht Gefahr läuft, auf die Gleise gestoßen zu werden", schildert Yalcin, die zurzeit fünf Kurse leitet.

"Keine Isolation"

Um das Selbstbewusstsein der Frauen zu stärken, erteilt die Trägerin des schwarzen Gürtels ihnen Lektionen in Unifight – einer Kombination aus Karate, Taekwondo, Judo und Boxen. In der Zentrale des Moscheevereins Atib in Favoriten lernen sie, sich gegen stärkere Angreifer zur Wehr zu setzen. In erster Linie durch gezielte Schläge gegen Augen, Hals oder Genitalbereich. (Für Kinder und Jugendliche werden eigene Kurse angeboten.) Ihre Klientel sei bunt gemischt, erklärt Yalcin. In ihre Selbstverteidigungskurse kommen Frauen unterschiedlichster Herkunft: mit afghanischen oder bosnischen Wurzeln, aber auch österreichische und deutsche Konvertitinnen, Kopftuch-Trägerinnen genauso wie "Unbedeckte". Wobei Erstere doch die Mehrheit ausmachen.

Dass ihre Schülerinnen lieber den Selbstverteidigungskurs im Moscheeverein besuchen, als den der Polizei, sei keine bewusste Isolation, meint Yalcin. "Es geht weniger darum, dass Musliminnen unter sich sein wollen. Sondern darum, dass sie beim Training den körperlichen Kontakt mit Männern vermeiden möchten. Außerdem ist ihnen wichtig, dass die Trainerin eine Frau ist", erklärt die 24-jährige angehende Architektin, die selbst ein Kopftuch trägt.

- Bernhard Ichner

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