Finanzskandal um Bahn und Blumen

Entgleisung: Wie die ÖBB eine Millionenschuld freundschaftlich negierte.

Im dichten Gewirr um das Schicksal von Psychiatrie-Opfer Erhard Pichler und dem Amtsschimmel, der menschenverachtende Blüten trieb, stehen zu Beginn Blumen. Genauer: ein Blumenkiosk in Wien.

1952 Die Direktion der Österreichischen Bundesbahnen verpachtet den neuen Blumenkiosk am Wiener Westbahnhof – ohne Ausschreibung. Der Vertrag wird mit Ludmilla Mildner abgeschlossen. Eingefädelt hat den Deal Wilhelm Mildner, ihr Ehemann. Der Mittelschullehrer und ehemalige Nationalsozialist (im Jahr 1952 längst Mitglied des BSA – Bund sozialistischer Akademiker) brüstet sich später damit, den Pachtvertrag über Intervention bei seinem SPÖ-Parteifreund Verkehrsminister Karl Waldbrunner erhalten zu haben. Der Kiosk entwickelt sich zu einer wahren Goldgrube.

1959 Nach dem Tod Ludmilla Mildners geht der Pachtvertrag an die älteste Tochter Sieglinde Mildner über. Die Finanzfäden hält weiterhin ihr Vater in der Hand.

1961 Steuerberater Hans Androsch (Vater des späteren Finanzministers und nunmehrigen Unternehmers Hannes Androsch) erkennt Unregelmäßigkeiten in den Unterlagen Mildners und warnt vor „steuerstrafrechtlichen Folgen“. Wilhelm Mildner kündigt Androschs Vertrag und verschweigt seiner Tochter Sieglinde, die ja offiziell den Blumenkiosk führt, die Hintergründe.

1965 Eine OHG wird gegründet: Mit Sieglinde und ihren beiden Schwestern Freya und Gerhild. Die Verbindungen zur Finanz und ÖBB hält weiterhin der Vater aufrecht.

1968 Wilhelm Mildner zieht sich aus dem Geschäft zurück.

1969 Das Jahr der Eskalation: Sieglinde (mittlerweile verheiratete Pichler) bemerkt in den Büchern Malversationen in Millionenhöhe. Sie und ihr Mann Erhard erstatten beim Finanzamt am 10. April Selbstanzeige. Diese wird als eine der Begründungen vorgeschoben, um Erhard Pichler in die Psychiatrie einzuweisen.

Das Finanzamt stellt am 21. Juli fest, dass zwischen 1965 und 1968 sechs Millionen Schilling (entspricht heute der Kaufkraft von 1,76 Mio. Euro) nicht versteuert und 1,9 Millionen an ÖBB-Pachtzins hinterzogen wurden. Die Betriebswirtschaftsstelle der ÖBB errechnet hingegen 1,5 Millionen Schilling Schaden. Am 31. Oktober kündigen die Bundesbahnen der OHG fristlos. Sieglinde Pichler, die den Fall ins Rollen gebracht hat, wird von den ÖBB als einzig Schuldige geführt. Ihre Schwestern bekommen einen neuen Pachtvertrag für den Blumenstand. Einzige Bedingung: 525.067 Schilling an Pacht nachzuzahlen, „um die Schäden abzudecken“. Dass Sieglinde Pichler bereit ist, die restlichen 1,4 Millionen Schilling nachzuzahlen, wenn sie auch wieder als Pächterin aufgenommen wird, negieren die ÖBB.

Verschwundener Akt

1971 Nach Rücksprache sendet Pichler ihren gesamten Akt ans Bundeskanzleramt. Wo er am 21. September auch einlangt, kurz darauf aber unter mysteriösen Umständen verschwindet, um später in Klosterneuburg sichergestellt zu werden.

1974 Zwei Wiener, die in das Verschwinden des Aktes involviert waren, werden in einem anderem Zusammenhang wegen Betrugs verhaftet. Den Regierungsrat im Bundeskanzleramt hatten sie schlicht überrumpelt.

1975 Der Rechnungshof (RH) überprüft die Causa Blumenkiosk, lässt an der Handlungsweise der ÖBB kein gutes Haar und weist zahlreiche Unrichtigkeiten nach. Unter anderem wird in dem Bericht, der dem KURIER vorliegt, kritisiert, dass der Aufdeckerin des Skandals, Sieglinde Pichler, seitens der Bahn die Alleinschuld gegeben wurde: Auch gab der RH zu bedenken, dass es die ÖBB alleine der Selbstanzeige der ältesten Schwester verdanken, für vergangene Jahre Entgeltnachzahlungen erhalten zu haben; die beiden Schwestern hatten nichts in dieser Richtung unternommen. Außerdem stellt der RH fest, dass die Pacht-Nachzahlung von 525.067 Schilling bei Weitem zu niedrig angesetzt sei: Es verblieb eine Restforderung der ÖBB an die OHG in der Höhe von 928.000 Schilling. Die ÖBB lehnen jedoch weitere Zahlungen ab.

1976 Den drei Schwestern wird wegen Steuerhinterziehung ein Prozess gemacht. Sie werden zu 800.000 Schilling Strafe verurteilt und berufen.

1979 Blumen verwelken, Straftaten verjähren, ist im KURIER vom 21. Juni nachzulesen. Die drei Mildner-Schwestern werden frei­gesprochen – wegen Verjährung des Tatbestandes.

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