Facebook-Chat mit einem Dschihadisten

Facebook-Chat mit einem Dschihadisten
Gotteskrieger behauptet, er sei hier radikalisiert worden. "Absurd", heißt es in Wiener Moschee.

Über Faris H. ist derzeit viel zu lesen. Seine Eltern mit tunesischen Wurzeln erzählten einem Magazin, wie sie zusehen mussten, wie ihr in Österreich geborener Sohn von einem neugierigen Jungen zu einem Salafisten mutierte. Die Metamorphose blieb ihnen nicht verborgen – doch sie waren machtlos. Irgendwann verschmähte er ihr Essen, schimpfte sie "Ungläubige" und verschwand.

Faris H., 19, ist seit Mai ein Kämpfer der mordenden Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) in Syrien und wird von Interpol wegen "Anstiftung zur Begehung einer schweren Straftat" und "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" gesucht. Er ist einer von 130, die laut dem österreichischen Verfassungsschutz in den Heiligen Krieg zogen.

H. nutzte seinen Facebook-Account für seine Selbstdarstellung und islamistische Propaganda. Dem Fernsehsender Puls4 gelang es, ihm via Chat mehrere Fragen zu stellen (Der Fernsehbeitrag ist am Montag um 18.45 Uhr in den Puls4 News zu sehen). Die Antworten, die in Auszügen dem KURIER vorliegen, zeichnen das Bild eines Indoktrinierten, der vom "Paradies" halluziniert.

"Rüsten ja die Isis aus"

Und er bringt das Islamische Zentrum in Wien ins Spiel. Im Chat schreibt er auf die Frage, wie und wo er sich so radikalisiert habe, unter anderem: "Hallo, sämtliche Antworten hat der Direktor des Islamischen Zentrums in Floridsdorf. Sie rüsten ja die Isis aus (Anm. Isis ist ein Synonym für IS – Islamischer Staat)."

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Das Islamische Zentrum ist die größte Moschee Österreichs. Freitags beten hier 3000 Menschen. Imam Salim Mujkanovic ist der Pressesprecher des Hauses. "Wir haben von Beginn an ganz deutlich klargemacht, dass wir uns von der Terrorgruppe Islamischer Staat distanzieren." Das passiere nach außen und auch bei den Gebeten. Man halte sich an die Linie der Gelehrten und der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Mujkanovic übt zwischen den Zeilen auch Medienkritik: "Was einzelne Jugendliche sagen, die soziale Probleme haben, wird breit publiziert." Europaweit hätten die Klarstellungen von religiösen Gelehrten, die den Islamischen Staat als "unislamisch" kritisierten und alle Muslime aufforderten, sich von der Gruppe und ihren Taten zu distanzieren, nie Niederschlag gefunden. Faris H.’s Vorwurf sei "absurd". Das Haus stehe "jedem offen, ob Muslim oder Nicht-Muslim". Wer radikale Ideen vertrete, werde der Polizei gemeldet.

H.’s Facebook-Account wurde mittlerweile gesperrt. Dort berichtete er über einen Selbstmordanschlag eines Kämpfers, posiert auf einem "erbeuteten" Kampfjet und schreibt menschenverachtende Postings wie jenes: "Wie schön ist das Gefühl beim Einschlafen, wenn du weißt, dass unter dir im Keller 45 gefangene Soldaten des Assad-Regimes sind, die nur darauf warten, dass ihnen ein Messer an den Hals gedrückt wird ... Nach dem Verhör wird geschlachtet." Auf das Posting bekam er 98 Facebook-"Likes".

Wer ist IS?

Eine der radikalsten islamistischen Gruppen im Nahen Osten – der Name steht für „Islamischer Staat“, was die Absicht der Organisation andeutet, auf dem von ihnen besetzen Territorium ein Staatsgebilde – einen Gottesstaat - zu errichten. Umfassen soll dieses Kalifat den Irak, Syrien, Libanon, Israel und Jordanien.

Seit wann gibt es IS?

Gegründet wurde sie 2003, anfangs unter dem Namen „Al-Kaida im Irak“ – damals bekannte sich die Miliz auch zu den Absichten der Al-Kaida und bekämpfte die Regierung unter Al-Maliki. Schon damals verübte sie bewusst Anschläge auf Zivilisten aus, später führte die Organisation mehrere spektakuläre Bombenanschläge durch, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Mit dem Abzug der US-Truppen 2011 im Irak und dem Beginn des syrischen Bürgerkriegs begann der Aufstieg der Truppe, die immer radikaler vorging. Die Al-Kaida distanzierte sich Anfang des Jahres von IS – wegen ihrer „Sturheit und Brutalität“.

Wo operieren die Kämpfer?

Hauptsächlich im Irak und in Syrien, aber auch in Beirut (Libanon) wurden schon Anschläge verübt. In Syrien bekämpft IS hauptsächlich das Assad-Regime, seit kurzem aber auch andere Revolutionäre wie die Freie Syrische Armee. Seit Anfang 2014 hat IS unter den syrischen Rebellen keine Verbündeten mehr. Im Irak hat die Organisation 2014 eine Blitzoffensive gestartet und binnen weniger Tage die Stadt Mossul und anschließend die mehrheitlich von Sunniten bewohnten Provinzen Ninive, Salahaddin und Anbar im Nordirak eingenommen.

Was will IS?

Zunächst einen islamischen Staat in Irak, Syrien, Libanon, Israel und Jordanien, später auch darüber hinaus: Alle „modernen Grenzen“ zwischen dem Nahost-Staaten – also jene, die nach dem Ersten Weltkrieg gezogen worden waren – sollen dafür aufgehoben werden. Davon betroffen wäre auch Israel.

Welchen Glauben vertritt IS?

IS ist eine fundamentalistische, rückwärtsgewandte Strömung im Islam: Die salafistische Gruppierung fußt auf dem sunnitischen Glauben und stellt sich gegen jegliche „Neuerung“ innerhalb der Religionsgemeinschaft; IS tritt für den „puren Islam“ ein. Dementsprechend ist IS anti-westlich und erkennt keine andere Religion außer den sunnitischen Islam an. Um ihre Ziele durchzusetzen, wendet IS dschihadistische – also ausschließlich kämpferische – Methoden an.

Wie konnte IS im Irak so stark werden?

Im Irak hatten bis zum Jahr 2003 die Sunniten - obwohl eine Minderheit – mit Saddam Hussein die Herrschaft inne. Mit dem Einmarsch der US-Armee und dem Sturz Husseins verschoben sich die Machtverhältnisse in dem von drei Gruppierungen (Kurden, Sunniten, Schiiten) bewohnten Staat: Mit Premier Al-Maliki kam ein Schiit an die Macht, der die Befugnisse der Sunniten beschnitt – der Nährboden für die Kämpfer der IS. Seit dem Abzug der US-Truppen tritt IS noch ungehemmter auf.

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epa04349358 An Iraqi policeman flashes three fingers, referring to a third term for Iraqi Prime Minister Nuri al-Maliki in office, as he stands next to a picture of Maliki at Firdos Square in central Baghdad, Iraq, 11 August 2014. According to media reports, forces loyal to Prime Minister Nuri al-Maliki were deployed late 10 August around government buildings in Baghdad, as Maliki was delivering a speech saying he would take President Fouad Massoum to court for violating the constitution by failing to nominate him. Al-Maliki on 11 August won the backing of the country's top court in his efforts to gain a third term in office, state television reported. EPA/ALI ABBAS

Ein Bild Al-Malikis

Woher bekommt IS Geld?

Die Terrororganisation gilt als reichste Extremistengruppe der Welt – sie soll über 2 Milliarden Dollar Vermögen verfügen. Als Teil der Al-Kaida war sie in unzählige Entführungen verwickelt, die zum Teil große Summen einbrachten; zudem erpresst IS von vielen Irakern Schutzgeld. In Syrien und im Nordirak hat die Miliz Ölfelder erobert, sie soll mittlerweile in den globalen illegalen Öl-Handel eingestiegen sein. Im Nordirak hat IS zudem die Zentralbank überfallen, in der mehrere hundert Millionen Dollar gelagert waren.

Zudem heißt es, dass Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait und Katar IS finanziell unterstützen – weil die Sunniten-Gruppen den Einfluss des schiitisch geprägten Iran schmälern könnten. Beweise dafür gibt es nicht.

Woher rekrutiert IS die vielen Kämpfer?

Schätzungen zufolge hat die Miliz bis zu 20.000 Kämpfer. Viele von ihnen sind sunnitische Offiziere und Soldaten, die einst der Armee des gestürzten Diktators Saddam Hussein angehörten. IS hat zudem Gefängnisse überfallen, um inhaftierte Anhänger der Bewegung zu befreien. Auch aus anderen Ländern schließen sich Kämpfer an – vor allem aus Tsachetschnien, Ägypten, Pakistan und auch aus Europa.

Wer führt die Gruppe an?

Der Führer von IS ist Abu Bakr al-Baghdadi: Der 1971 geborene Iraker leitet die Terrororganisation seit 2010. Er hält einen Doktor der Islamwissenschaften und ist seit der US-Invasion im Irak in fundamentalistischen Terrororganisationen engagiert. Er steht auf der Liste der meistgesuchten Terroristen der Welt auf Platz zwei – auf ihn ist ein Kopfgeld von 10 Millionen Euro ausgesetzt. Seit 2013 lebt Al-Baghdadi in Syrien, dort operierte er gegen seinen Konkurrenten Aiman Az-Zawahari, den Führer der globalen Al-Kaida und meistgesuchte Terrorist der Welt. Im Juni 2014 wurde Baghdadi zum Kalifen des „Islamischen Staates“ ausgerufen und agiert seither als Befehlshaber der Muslime und oberster Führer des Staates.

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Baghdadi hat zwei Frauen, keiner der beiden wurde allerdings festgenommen.

Abu Bakr al-Baghdadi bei einer Ansprache

Wieso kann IS so schnell vorrücken?

Die Dschihadisten verfügen zum einen über hochwertiges Waffenmaterial, das sie erbeutet haben – viel davon stammt aus den USA. Zudem zielt die Bewegung speziell auf sunnitisch dominierte Gebiete ab, in denen sie bereits Rückhalt hat. Ihren Erfolg verdankt die Miliz aber auch ihrem besonders brutalen Vorgehen – und makabrer Propaganda: Man verbreitet über soziale Medien bewusst Fotos von enthaupteten und geschändeten Leichen, nährt seinen Ruf als besonders grausame Einheit. Körperlich oder psychisch kranke Menschen etwa sollen entführt und anschließend „benutzt“ werden, um Selbstmordattentate durchzuführen - diese Einschüchterungs-Taktik geht auf.

Wie unterdrückt IS die Bevölkerung?

Im IS-Herrschaftsgebiet basiert alles auf der Scharia – und auf einem 16 Punkte umfassenden Katalog, der das öffentliche Leben regelt. Verboten sind demnach Alkoholika, Tabakwaren und Drogen; auch öffentliches Tragen von Waffen ist untersagt – ebenso wie das Abhalten von Versammlungen. Frauen sind gezwungen züchtige und bedeckende Kleidung zu tragen und im Regelfall das Haus nicht zu verlassen.

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Displaced people from the minority Yazidi sect, fleeing violence from forces loyal to the Islamic State in Sinjar town, walk towards the Syrian border, on the outskirts of Sinjar mountain, near the Syrian border town of Elierbeh of Al-Hasakah Governorate August 11, 2014. Islamic State militants have killed at least 500 members of Iraq's Yazidi ethnic minority during their offensive in the north, Iraq's human rights minister told Reuters on Sunday. The Islamic State, which has declared a caliphate in parts of Iraq and Syria, has prompted tens of thousands of Yazidis and Christians to flee for their lives during their push to within a 30-minute drive of the Kurdish regional capital Arbil. Picture taken August 11, 2014. REUTERS/Rodi Said (IRAQ - Tags: POLITICS CIVIL UNREST) CONFLICT)

Jesidische Bevölkerung auf der Flucht vor IS

Ist der „Islamische Staat“ eine Gefahr für Europa?

Das wird sich erst weisen. Die irakische Armee zeigt sich derzeit relativ machtlos gegen IS – und die Terrororganisation hat ihre Fühler nach Europa bereits ausgestreckt: Jener Mann, der im Mai 2014 einen Anschlag auf das jüdische Museum in Brüssel verübt hat, soll mit IS in Syrien kooperiert haben.

Auch in Österreich sind die Extremisten Thema: Mordaufrufe gegen die in Wien lebende Jesiden-Gemeinde haben den Verfassungsschutz alarmiert. Ermittelt wird gegen eine neu entstandene Szene radikaler Islamisten, die den IS-Kämpfern nacheifern.

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