Ernie Mangold: „Aufarbeiten und entschuldigen“
Kammerschauspielerin Erni Mangold liest am kommenden Mittwoch gemeinsam mit ihrem Kollegen Karl Markovics aus dem eben erschienenen Buch „Verwaltete Kindheit – der österreichische Heimskandal“ (siehe Bericht unten). Mit dem KURIER sprach sie über die Notwendigkeit der Aufarbeitung dieses Themas, die Rolle der Nationalsozialisten in Kinderheimen und über ihre persönliche Erfahrung als Äbtissin in einem Klosterheim und ehemalige Heimerzieherin.
KURIER: Frau Mangold, sie lesen demnächst aus dem Buch „Verwaltete Kindheit“, einer Aufarbeitung der Geschichte der Kinderheime ...
Erni Mangold: Dass diese ganzen Geschichten so spät herausgekommen, ist schlimm. Aber noch schlimmer ist, dass man jetzt mit Geld und vielleicht mit tröstenden Worten versucht zu helfen, aber sich niemand entschuldigt. Dass sich von höherer Seite noch niemand entschuldigt hat und dann natürlich sagen kann: „Ich hab damit gar nichts zu tun gehabt, ich weiß das ja gar nicht“, so wie sie es immer tun, das ist furchtbar. Dass das bis jetzt von ganz hoher offizieller Stelle noch nicht stattgefunden hat, finde ich nicht richtig.
Woher rührt Ihrer Meinung nach die Gewalt, die Kindern in Heimen angetan wurde?
Es ist ja eine Tatsache, dass es schon vor dem Zweiten Weltkrieg diese Institutionen gab, die damals schon grauslich waren. Aber die Nazis haben dann die Grausamkeiten gesteigert, medizinische Versuche durchgeführt und Kinder in Heimen umgebracht. Die Ärzte und die Forschung haben da mitgespielt. Und nach der Hitlerzeit ist es weitergegangen. Sie konnten die Heimkinder nicht mehr umbringen, aber Versuchskaninchen waren sie weiterhin, wenn man sich etwa die Malaria-Versuche in den 1960er-Jahren anschaut.
Sie kennen sich mit dem Thema erstaunlich gut aus.
Vor Kurzem habe ich einen Film in der Nähe von Hamburg gedreht. Er heißt „Von jetzt an kein zurück“ und wird wahrscheinlich nächstes Jahr herauskommen. Es ist ein sehr, sehr gutes Drehbuch, das auf wahren Geschichten beruht. Da geht es unter anderem um ein kirchliches Heim. Ich spiele da eine Äbtissin. Da gibt es Züchtigungen in ganz, ganz grausamen Maße. Ein Mädchen wird zum Beispiel in den Karzer geworfen, an Hals und Händen angekettet und geschlagen. Das sind alles Sachen, die wirklich passiert sind.
Sie spielen auch in der ORF-Serie „Paul Kemp“ eine ehemalige Heimerzieherin, die zum Pflegefall wird und ihre Pflegerin ist ein ehemaliges Heimkind.
Es ist ein sehr brisantes Thema. Diese Art der Peinigung, die in den Heimen passiert sind, kann man nicht nachmachen. Das ganze Leben eines Heimkindes ist damit gepflastert und diese Alte wird halt ein paar Stunden geärgert. Das kann man nicht vergleichen.
Haben Sie persönliche Erfahrungen mit ehemaligen Heimzöglingen?
Ich kannte ja selber einen, der war im Kloster Mehrerau in Vorarlberg. Er ist leider schon verstorben, aber ich bin überzeugt, dem ist dort auch Schlimmes widerfahren. Der wollte mit zehn Jahren vehement hinaus aus diesem Klosterinternat. Da muss etwas vorgefallen sein.
Aus der Politik sind bereits Töne zu vernehmen, dass genug zur Aufarbeitung der Geschichte von Kinderheimen gemacht wurde. Nach dem Motto „Lass ma’s gut sein“.
Nix lassen wir gut sein. Wie beim Holocaust. Es gibt Sachen, die nicht gut werden. Da bin ich ganz dagegen. Die Aufarbeitung muss sein. In Österreich ist das ohnehin so schwierig, wie man in den 80er-Jahren gesehen hat, als das Thema Restitution von geraubter Kunst endlich in der österreichischen Gesellschaft angekommen ist. Es dauert bei uns alles sehr, sehr lange. Gerade bei diesen Leuten, die so gequält worden sind, vergewaltigt worden sind ... Ehemalige Heimkinder brauchen Zeit, bis sie darüber reden können und an die Öffentlichkeit gehen. Das muss man aufarbeiten und sich von offizieller Seite entschuldigen.
Zwei Experten aus unterschiedlichen Bereichen haben gemeinsam ein Buch zum österreichischen Kinderheim-Skandal geschrieben. Die Sozialwissenschaftlerin und ehemalige Politikerin Irmtraut Karlsson und KURIER-Journalist Georg Hönigsberger sind profunde Kenner der Materie. Karlsson veröffentlichte bereits im Jahr 1975 die erste Studie über Wiener Kinderheime, Hönigsberger deckte 2011 die Zustände im Kinderheim Wilhelminenberg auf.
Man wusste es
Im Buch „Verwaltete Kindheit“ kommen zahlreiche ehemalige Heimkinder zu Wort. Daraus ergibt sich kaleidoskopartig ihre Situation vor dem Heim, sie schildern den Alltag im Heim und erzählen von ihrer Zeit danach. Das Buch räumt mit der Mär auf, dass in den Jahren 1970 bis 1980 über die bundesweiten gewalttätigen Erziehungsmethoden in den Heimen nichts bekannt gewesen wäre. Arbeitskreise kritischer Sozialarbeiter und auch die Spartakus-Bewegung haben sich gebildet; das von Günther Nenning gegründete Neue Forum und der ORF berichteten schon Anfang der 1970er-Jahre über die Zustände. Das Buch ist die Aufarbeitung eines Teilaspektes der Geschichte der Zweiten Republik.
Karlsson lieferte die wissenschaftliche Expertise, durchforstete Archive und zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten. Hönigsberger wühlte sich durch Medienarchive und steuerte Dutzende Interviews mit ehemaligen Heimkinder bei.
Es wird aufgezeigt, welche Kinderheime totale Institutionen waren und bereits in den 1970er-Jahren geschlossen hätten werden müssen. Das Buch holt aber noch weiter aus. Es werden die ideologischen Wurzeln der Gewalt in Erziehungsheimen beleuchtet, die schon vor die Nazi-Zeit zurückreichen – vor allem in die Jahre der austrofaschistischen Diktatur. Und sogar noch weiter, wie ein Fund aus den 1920er-Jahren zeigt, als der hochgelobte Sozialreformer und Gründer des Kinderheimes im Schloss Wilhelminenberg, Julius Tandler, die Vernichtung „unwerten Lebens“ und somit die Tötung behinderter Kinder forderte.
Das Ausland
Schließlich wird auch noch ein Blick über den Tellerrand gewagt. Wie geht man in Deutschland mit der Geschichte ehemaliger Heimkinder um? Warum greifen in Irland Staat und Kirche gemeinsam tief in die Tasche, um ehemalige Heimkinder zu entschädigen? Wie gelang es in Schweden, Entschädigungen zu zahlen und eine würdige Versöhnungszeremonie zu gestalten?
In Österreich ist die Aufarbeitung angelaufen. Ein würdevoller Umgang mit den Betroffenen hat sich jedoch noch nicht überall durchgesetzt.
„Verwaltete Kindheit – der österreichische Heimskandal“, Kral-Verlag, 300 Seiten, 26,90 €. Ab sofort im Buchhandel erhältlich.
Buchpräsentation
13. November,
20 Uhr Theater Hamakom, Nestroyplatz 1, 1020 Wien. Einleitende Worte: Karl Welunschek; es lesen Erni Mangold und Karl Markovics.
28. November,
19 Uhr, Republikanischer Club, Rockhgasse 1, 1010 Wien; Gespräch mit Irmtraut Karlsson und Georg Hönigsberger; Moderation: Christine Grabner.
6. Dezember,
19 Uhr, Volkskundemuseum, Laudongasse 15–19, 1080 Wien. Lesung im Rahmen einer Tagung zur Heimerziehung.
Kommentare