Die gestrandeten Seelen Wiens

Die gestrandeten Seelen Wiens
Rund 400 Menschen leben auf Wiens Straßen. Für manche gibt es zu wenig Notbleiben. Zu Besuch bei Obdachlosen.

Es war ein guter Tag für Charly. Trotz Kälte und trotz des violetten Veilchens im Gesicht. Denn Charlys Rapidler schossen den Gegner aus Salzburg an diesem Sonntagabend mit einem 4 zu 2 aus dem Hanappi-Stadion. Der glühende Rapid-Fan nickt zufrieden. Er steht am Praterstern, trinkt Wein und erzählt aus seinem Leben. "I könnt ma jeden Tag selber in die Gosch'n hauen", sagt er. Dafür, dass er trinkt, und dafür, dass er keine fixe Bleibe für sich und seine Freundin aufstellen kann.

Doch auch wenn Charly obdachlos ist, weigert er sich seit Langem, in eine der Notunterkünfte von Caritas und Co. zu übersiedeln. "Da wohn ich lieber auf der Straße", sagt er. So wie ihm geht es vielen Menschen, die ohne Dach über dem Kopf leben.

Dunkle Orte

Die gestrandeten Seelen Wiens

Rund 400 Leute sind es, die allen Widrigkeiten und Minusgraden zum Trotz nur schwer für eine Notbleibe zu gewinnen sind. "Auch wenn viele von ihnen sagen, dass sie sich auf der Straße wohl fühlen", sagt Susanne Peter, "sind es meist die Behördengänge und der gesellschaftliche Druck, den sie fürchten. Nicht wenige leiden an psychischen Erkrankungen."

Die Mitarbeiterin der Caritas sucht oft Orte auf, an denen jene wohnen, die keine Wohnung haben. Auf ihren Touren besucht sie den Schwedenplatz und den Donaukanal. Sie zieht weiter zum Karlsplatz und sieht bei wärmenden Abluftschächten nach. Und schließlich fährt sie auf die Donauinsel.

Denn dort wohnt Jacques, der Schweizer. Seit 20 Jahren lebt er in Wien und seit eineinhalb Jahren auf der Insel. In einem Zelt. 365 Tage im Jahr. "Mir gefällt's hier", beteuert der 56-Jährige. Sein Essen sammelt er in Abfalleimern, und Geld vom Staat, das ihm zustünde, weil er lange in Wien gearbeitet hat, nimmt er nicht an. "Das würde mir den Existenzdruck nehmen", sagt er kurz bevor er sich die beiden Schuttsäcke wieder über die Beine stülpt und durchs eiskalte Donauwasser zurück auf seine Insel watet.

Offene Wunde

Die gestrandeten Seelen Wiens

Während für Obdachlose wie Jacques und Charly zumindest theoretisch eine Notunterkunft frei wäre, gibt es auch nicht wenige Menschen wie Ivan Lenic: Ein Ukrainer, der bereits seit zwölf Jahren in Wien und seit einigen Monaten am Praterstern lebt. "Für obdachlose EU-Bürger sind zu wenig Plätze vorhanden", sagt Peter. Denn geht es nach dem Wiener Sozialhilfegesetz dürfen nur jene eine Notunterkunft aufsuchen, die auch Mindestsicherung beziehen. "Es darf aber nicht vom Pass abhängen, ob jemand auf der Straße erfrieren muss", ärgert sich Klaus Schwertner von der Caritas.

Zurzeit gibt es nur vier Einrichtungen, die offiziell auch EU-Ausländer aufnehmen. Neben der 2. Gruft trifft dies noch auf drei Häuser der Vinzenzgemeinschaft zu. "Doch die 2. Gruft ist jeden Abend voll." Im Vinzibett ist die Situation ähnlich. "Auch wir müssen Klienten trotz Minusgraden abweisen", heißt es. Schwertner fordert deshalb eine Lösung wie in Hamburg, wo die Stadtregierung Anfang November eine Notschlafstelle für EU-Ausländer mit 160 Plätzen eröffnet hat. Im Büro von Gesundheits-Stadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) heißt es knapp: "Auf Wiens Straßen muss niemand erfrieren." Und an eine Änderung des Wiener Sozialhilfegesetzes werde derzeit nicht gedacht.

Obdachlose: Zahl stieg zuletzt deutlich

412 Plätze Akut obdachlosen Menschen stehen zwölf Nachtquartiere mit 412 Schlafplätzen zur Verfügung. Allerdings nur, wenn die Person Mindestsicherungsbezieher ist. Daneben gibt es noch die Gruft der Caritas mit 120 Plätzen. Die Zahl der Wohnungslosen stieg von 2008 auf 2009 deutlich (7160 Personen, plus 880). Allerdings gelang es, mehr Menschen vor einem Straßenschicksal zu bewahren und in Übergangswohnungen unterzubringen. Problematisch ist es für EU-Ausländer. Ihnen stehen in vier Einrichtungen nur 252 Betten zur Verfügung. "Zu wenig", sagen die Träger

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