Der Gerichtssaal ist sein Kino

Der Gerichtssaal ist sein Kino
Heinz Hofmann wohnt seit Jahren Tag für Tag den Verhandlungen im Wiener Landl bei.

Seine Premiere als Prozessbeobachter hat 1947 im Grauen Haus stattgefunden, wo der Burgschauspieler und Gestapo-Spitzel Otto Hartmann als Denunziant zu lebenslangem Kerker verurteilt wurde. Beim ersten Bawag-Prozess 60 Jahre später im selben historischen Großen Schwurgerichtssaal, noch mit Helmut Elsner in der Hauptrolle, hat Gerichtskiebitz Heinz Hofmann – mittlerweile Pensionist – „Blut geleckt“: „Das war Kino“.

Die Fortsetzung im Vorjahr war dann schon so, „wie wenn man sich den Film ‚Casablanca‘ zwei Mal anschaut.“ Aber zwischen 2007 und heute gab es genügend Highlights: Die Eissalon-Chefin Estibaliz Carranca, die zwei Männer erschossen und einbetoniert hat; das Attentat im indischen Tempel; Bierbarone; den Polit-Mord am Tschetschenen Umar Israilov; Ernst Strassers Agentenparodie; Graf Mensdorff-Pouilly als Tiefstapler ...

Heinz Hofmann war immer dabei. Tag für Tag pilgert der 85-Jährige, ein Sir vom Scheitel bis zur Sohle, im Wiener „Landl“ von Verhandlungssaal zu Verhandlungssaal. Er hat sich mit juristischer Literatur eingedeckt, sich in Strafgesetz und Strafprozessordnung eingelesen. Das Wort „Kiebitz“ hört er nicht so gern, einfach nur „Zuhörer“ ist ihm lieber. Professioneller Zuhörer muss man inzwischen sagen.

Wenn der Vorsitzende auftritt, springt er als Erster von seinem Sitzplatz auf. Die Undiszipliniertheit anderer Zuschauer, den Richtern nicht die Ehre zu erweisen, ärgert ihn. Überhaupt: Die Umgangsformen haben nachgelassen. „Da sitzen Leute mit Baseballmützen im Publikum. Und manche lassen die Türen zufallen. Das stört! Und wenn schon das Trinken während der Verhandlung toleriert wird, aber Essen ist eine Diskriminierung des Richtersenats.“ Und Zeugen, die zu spät oder überhaupt nicht kommen, das geht gar nicht.

Hofmann war Chef eines Großbetriebes und Fußball-Funktionär, die Finanzen waren seine Welt. Deshalb interessieren ihn vor allem Wirtschaftsprozesse. Die Korruption nimmt überhand, sagt er. „In meiner aktiven Zeit gab es das Vitamin B, Beziehungen. Und Geschenke von einer Flasche Wein bis zu Reisegutscheinen. Aber heute?“

Trefferquote

Herr Hofmann geht auch zu Mord und Totschlag. Vor der Urteilsverkündung gibt er einen Tipp ab: „Wie würde ich urteilen?“ In 50 Prozent der Fälle liegt er richtig. „Nur bei Geschworenen weiß man nie so genau“, sagt er. Da schaut er sich die Aufteilung zwischen Männern und Frauen an, und wenn es mehr Frauen sind, dann weiß er: Die Strafe wird milder ausfallen. Echt überrascht hat ihn das Urteil über einen Taxilenker, der durch ein Autofenster auf seinen Nebenbuhler geschossen hatte. Dieser überlebte mit knapper Not, der Schütze kam mit zwei Jahren Haft davon.

Auch die vier Jahre Haft (nicht rechtskräftig) für Strasser wundern ihn, im umgekehrten Sinn, „es ist ja kein Geld geflossen“, Hofmann hätte mit der Hälfte gerechnet. Mensdorff hätte auch er freigesprochen, dessen Verantwortung sei „diplomatischer“ gewesen als jene von Strasser. Ohne Topanwalt kommt man als Angeklagter nicht weit, meint Hofmann: „In der Medizin hast du ohne Zusatzkrankenkasse auch keine Chance.“

Morgen ist Hofmann ab 8 Uhr wieder zur Stelle. Auf seinem „Speiszettel“ stehen ein Medienverfahren, ein Prozess mit Walter Meischberger („Der wird nicht kommen“), eine Vergewaltigung („Da wird wahrscheinlich die Öffentlichkeit ausgeschlossen“) und ein Raub. Es gab schon spannendere Tage.

Kommentare