"Das Herz schlägt serbisch"

"Das Herz schlägt serbisch"
Serie: Sie kamen als Gastarbeiter und blieben hier. Heute ist Wien eine der größten serbischen Städte der Welt.

Zur Begrüßung wird Sliwowitz getrunken, das ist Tradition. "Der Onkel macht ihn daheim selbst." Daheim, das ist die Gegend um Požarevac, 90 Kilometer südöstlich von Belgrad. Vor 20 Jahren verließ Dragan Zivkovic (43) mit Ehefrau Suncica (40) Serbien, weil er keine Arbeit fand. Sein Ziel: Wien. "Hier leben bis zu 30.000 Menschen nur aus unserer Region."

Doch der Anfang war schwer. Der HTL-Techniker musste Taxi fahren und Fenster putzen, um seine bald vierköpfige Familie ernähren zu können. "Es war deprimierend. Aber wir haben nie gejammert. Wir sind dankbar für das, was wir haben." Viele Jahre lebte die Familie im 20. Bezirk zu viert auf 30 Quadratmetern. "Die Eltern haben das Geld, das sie verdient haben, ins Haus der Familie in Serbien gesteckt", sagt Sohn Filip (16). Ein Haus, nur sechs Autostunden von Wien entfernt, in das die Eltern in der Pension zurückkehren wollen.

Die Zerrissenheit

"Wir fühlen uns hier sehr wohl", sagt Papa Zivkovic, der noch immer die serbische Staatsbürgerschaft hat. "Wien ist sauber und sicher, und Gesundheitssystem und Infrastruktur sind toll. Aber das Herz wird immer serbisch schlagen."


Tradition, das ist das eine große Thema bei Serben. Das heißt, man schaut serbische TV-Sender, hört serbische Musik, liest serbische Zeitungen und trifft seine Landsleute in serbischen Cafés und Discos – vor allem in Ottakring. Filip: "Man fühlt sich dort wie zu Hause." Dutzende serbische Vereine, in denen Feste gefeiert und Volkstänze aufgeführt werden, bestimmen das gesellschaftliche Leben.

Das heißt auch, dass die in Wien geborenen Söhne von Zivkovic mit Serbisch als Muttersprache aufwuchsen. "Daheim reden wir Serbisch. Wir wollen uns integrieren, aber nicht assimilieren." Und das heißt auch, dass Sohn Filip schon mit 16 Jahren weiß: "Heiraten will ich eine Serbin. Wegen der Mentalität und der Sprache."

Der Glaube

Mutter Suncica serviert den Gästen serbische Bohnensuppe – fleischlos. Fastenzeit. Vor Weihnachten – bei Serbisch-Orthodoxen am 6. und 7. Jänner – sind 40 Tage lang tierische Produkte tabu. Kein Fleisch, kein Fisch, keine Eier, keine Milch, keine Butter. Religion, das ist das andere große Thema.

"Mein Glaube gibt mir Kraft für die täglichen Aufgaben", sagt Dragan Zivkovic und blickt auf die zahlreichen Ikonen an der Wand. Regelmäßig besucht er den Gottesdienst in der Kirche zum Heiligen Sava, einem von drei serbisch-orthodoxen Gotteshäusern in Wien. Voriges Jahr feierte die serbisch-orthodoxe Kirche in Wien ihr 150-jähriges Bestehen; die Zahl ihrer Gläubigen liegt bei mehr als 93.000.

Das Zusammenleben

Suncica Zivkovic schenkt serbischen Rotwein nach. Die gelernte Schneiderin arbeitet sieben Tage in der Woche als Reinigungskraft. Mit den Wohnungsnachbarn – Burgenländer, Kroaten und ein muslimisches Paar aus Bosnien – habe es noch nie Probleme gegeben. Im Gegenteil: "Sie kommen zum Kaffeetrinken zu uns rüber. Wir haben auch schon gemeinsam Geburtstag gefeiert", erzählt die 40-Jährige.

Nicht alle Erfahrungen sind so positiv, erst kürzlich wurde sie auf der Straße wieder einmal als Tschusch beschimpft. Sie winkt ab. "Dafür, dass in Wien so viele Nationen und Religionen zusammenleben, sind die Wiener echt geduldig und freundlich. Die Frage ist nur: Wie lange noch?"

Serben: Größte Ausländergruppe in Wien

Geschichte Die ersten Serben siedelten sich in Wien schon zur Kaiserzeit an. 1670 erteilte Leopold I serbischen Händlern das Privileg, im Handel zwischen Ost und West in Wien als Mittler zu fungieren. Die erste orthodoxe Kirche wurde 1726 erbaut.

Statistik 133.000 Menschen leben in Österreich mit serbischem Pass, davon knapp 80.000 in Wien. Damit bilden die Zuwanderer aus Serbien, Montenegro und dem Kosovo in Wien die größte Migranten-Gruppe. Zehntausende kamen in den vergangenen Jahrzehnten, zuerst flohen sie vor der hohen Arbeitslosigkeit im Land, dann vor dem Krieg am Balkan.

Serbische Nachbarn In Wien wohnen die Zuwanderer aus Serbien, Montenegro und dem
Kosovo vor allem in den Bezirken außerhalb des Gürtels. Spitzenreiter sind Rudolfsheim-Fünfhaus, Ottakring, Hernals und Brigittenau.

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