© dpa/Friso Gentsch

Gendern

Das Binnen-I auf gut Wienerisch

Eine ewige Debatte spaltet wieder einmal das Land. In Wien wird der Gender-Plan strikt verfolgt.

von Birgit Seiser, Anna-Maria Bauer

07/18/2014, 04:00 AM

MĂ€nner kommen vom Mars, Frauen von der Venus – und manche kommen aus Wien, wo das alles völlig egal sein sollte. Die Bundeshauptstadt setzt zumindest viel daran, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern wegzuradieren. Das Dezernat fĂŒr "Gender Mainstreaming" steht an oberster Stelle in Sachen Geschlechter-Fairness. Über die aktuelle Debatte rund um das Binnen-I kann frau im Rathaus nur schmunzeln. "Das ist, als hĂ€tte es unsere BemĂŒhungen nie gegeben", sagt die Leiterin des Gender-Dezernats, Ursula Bauer. Mit BemĂŒhungen meint Bauer Kampagnen, LeitfĂ€den und zahllose BroschĂŒren, in denen erklĂ€rt wird, wie man und frau denn richtig gendern. In der Stadtregierung sei das Konzept problemlos angenommen worden, sagt die Expertin. Um das Gendern aber nicht im Rathaus, hinter verschlossenen TĂŒren zu halten, wandte man sich auch an die Öffentlichkeit.

Auf Verkehrszeichen und Piktogrammen wurden Frauen abgebildet, das Projekt bekam viel Aufmerksamkeit. "Wir haben zum Beispiel auf einem Exit-Schild eine Frau abgebildet, um der Bevölkerung klar zu machen, wie sehr unser ganzes System auf MĂ€nner aufgebaut ist", sagt Bauer. Die Reaktion eines Herrn auf dieses Schild machte sie mehr als stutzig: "Er hat gemeint, dass MĂ€nner ja dann nicht wĂŒssten, wohin sie flĂŒchten sollen."

Besagter Herr kann sich aber beruhigen – die weiblichen Fluchtweg-Schilder verstießen nĂ€mlich gegen die EU-Norm und mussten deshalb wieder den herkömmlichen Schildern weichen, auf denen ein Mann wegrennt.

MĂ€nner am Wickeltisch

Nur ein Piktogramm ĂŒberlebte die EU-Norm. Das Schild zeigt einen Mann, der ein Baby wickelt. "FrĂŒher waren die Wickelmöglichkeiten fast immer in den Damentoiletten. Es wurden Umbauten gemacht, so dass auch VĂ€ter ihre Kinder versorgen können", erklĂ€rt Bauer. Kurioserweise hat die Kampagne, die Frauen fördern soll, also den MĂ€nnern geholfen. Diese Ansicht korrigiert die Expertin aber gleich: "Beim Gendern geht es ja nicht allein darum, Frauen zu fördern. Auch MĂ€nner sollen aus der klischeebehafteten Rolle befreit werden." Um das in die Köpfe der Menschen zu bringen, sei eben auch der Sprachgebrauch wichtig, sagt Bauer.

Ein Leitfaden fĂŒr geschlechtergerechte Formulierungen dient im Rathaus und den Magistratsabteilungen als Hilfe. Darin findet sich etwa die ErklĂ€rung des "Titanic-Prinzips", also Frauen und Kinder zuerst – im Gender Mainstreaming heißt das, dass zuerst die weibliche Form geschrieben werden soll. Der "Arztbrief" wird zum "medizinischen Abschlussbericht", und wenn eine Dame kaufmĂ€nnische FĂ€higkeiten hat, sagt man in Gender-Wienerisch, dass sie wirtschaftliches VerstĂ€ndnis bzw. Kostenbewusstsein hat.

Was halten Sie vom Gendern?

Beatrice J., 43:„FĂŒr mich stellt sich die Frage, ob es gut oder schlecht ist, nicht mehr – denn fĂŒr mich ist die gegenderte Form schon zum Alltag geworden. Und ich hoffe, dass diese Variante trotz der großen Debatte, die gerade herrscht, weiter verwendet wird und irgendwann einmal fĂŒr alle zum Usus gehört. Die Argumente, dass diese Formen Text zerstören könnten, kann ich nicht nachvollziehen.“
Markus R., 40:„Ganz ehrlich? Diese Diskussionen um das Binnen-I oder die neue Hymnen-Versionen sind doch einfach nur sinnlos. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Frauen in der RealitĂ€t auch nur irgendetwas bringt, wenn wir beim Sprechen oder Schreiben weibliche Formen dranhĂ€ngen. Im Prinzip ist es mir aber egal. Wenn es also sein muss, dann schreibe ich auch gerne ,liebe MitarbeiterInnen‘.“
Anke P., 29:„Ich finde Gendern unnötig. Und ich fĂŒhle mich auch dann angesprochen, wenn nur die mĂ€nnliche Form verwendet wird. Als Studentin muss ich aber Gendern. Bei meiner Bachelor-Arbeit habe ich vorne hingeschrieben, dass ich der Einfachheit halber nur die mĂ€nnliche Form verwende, mich aber auf beide beziehe.“ (Anm.: Das gilt allerdings nicht mehr als Gender-konform.)
Stefan F., 27:„Diese Diskussion ist meiner Meinung nach reichlich ĂŒbertrieben. Hier wird doch ein Problem geschaffen, wo es eigentlich gar keines gibt. Sprache wĂ€chst und verĂ€ndert sich, das ist ja schön und gut. Aber das sollte doch auf natĂŒrlichem Weg passieren und nicht von oben diktiert werden. Und dass Frauen durch diese VerĂ€nderung im echten Leben geholfen wird, wage ich sehr zu bezweifeln.“

Auch die Finanzen werden gegendert

Das Wort "Budget" ist ohnehin geschlechtsneutral. Was mit den öffentlichen Geldern passiert, aber keineswegs. Dass man bei der Planung von Projekten in der Stadt nĂ€mlich auch spezifisch auf die Geschlechter eingehen kann, beweist ein Pilotprojekt der Stadt Wien. Seit zehn Jahren wird in Meidling schon darauf geachtet, wie man den verschiedenen BedĂŒrfnissen der Geschlechter am Besten nachkommen kann. Das betrifft vor allem die Planung neuer Einrichtungen.

Keine Puppenecke

Wer etwa im Meidlinger Kindergarten die Puppenecke sucht, tut das vergeblich. Das dortige Gender-orientierte Konzept soll den Kindern nÀmlich die Möglichkeit geben, nicht in klischeebehafteten Geschlechterrollen aufzuwachsen.

Die Spielsachen sind in Kisten verstaut. Möchte ein Bub lieber mit Puppen spielen anstatt mit den obligatorischen Autos oder Bauklötzen, dann kann er sich die Puppenkiste holen.

Auch 24 Stunden beleuchtete WC-Anlagen und mehr Sitzgelegenheiten auf dem Friedhof waren Teil des Gender-Budgeting-Projekts. Der "Gender-Bezirk" Meidling hat es damit sogar zu internationaler Anerkennung geschafft. Das Projekt wurde mit dem französischen Preis "Prix Territoria Europe" fĂŒr Innovation ausgezeichnet.

Offener Brief: Absage an "Gender-Wildwuchs"

Die durch Andreas Gabaliers strittige Interpretation der Bundeshymne wieder losgetretene Diskussion um geschlechtsneutrale Formulierungen ist um eine Facette reicher: Am Montag haben insgesamt 800 Uni-Professoren, Lehrer, Journalisten und andere Sprachkritiker in einem offenen Brief einen Aufruf zur Abschaffung des Genderns gefordert.

Prominente Unterzeichner

"Ein minimaler Prozentsatz kĂ€mpferischer Sprachfeministinnen darf nicht lĂ€nger der nahezu 90-prozentigen Mehrheit der StaatsbĂŒrger ihren Willen aufzwingen", so das Argument der Unterzeichner – unter ihnen finden sich auch so einige prominente Namen. Die Philosophen Konrad Paul Liessmann und Peter Kampits, Mathematiker Rudolf Taschner, Verfassungsrechtler Heinz Mayer, Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder, der deutsche Journalist und Sprachpfleger Bastian Sick oder die Schauspielerin Chris Lohner sind in dem an die Minister Mitterlehner und Heinisch-Hosek gerichteten Schreiben angefĂŒhrt. Daneben scheinen etwa Schulleiter bzw. Lehrer auf; mehr als die HĂ€lfte der Unterzeichner soll laut einer Aussendung der Initiatoren weiblich sein.

Konkret will man eine "RĂŒckkehr zur sprachlichen NormalitĂ€t": Die Minister sollen, so die Forderung, "dem Wildwuchs durch das sprachliche 'Gendern'" Einhalt gebieten. "Was die Mehrheit der Sprachteilhaber als richtig empfindet, wird als Regelfall angesehen. Wo immer im Laufe der Geschichte versucht wurde, in diesen Prozess regulierend einzugreifen, hatten wir es mit diktatorischen Regimen zu tun."

Unlesbar & unverstÀndlich

Die Briefschreiber verwehren sich gegen eine "von oben her verordnete konsequente getrenntgeschlechtliche Formulierung" in Gesetzen, Behördentexten, aber auch SchulbĂŒchern und universitĂ€ren Facharbeiten. Geschlechtersensible Sprache (mit Binnen-I, AnfĂŒhrung beider Geschlechter mit SchrĂ€gstrichen im Wortinneren etc.) stoße nicht nur auf sehr geringe Akzeptanz, sie "zerstört die gewachsene Struktur der deutschen Sprache bis hin zur Unlesbarkeit und UnverstĂ€ndlichkeit" und widerspreche "zum Teil den Grundregeln unserer Sprache". Diese Maßnahmen "sind daher wieder aus dem Sprachgebrauch zu eliminieren".

TextverstÀndlichkeit vor politischen Anliegen

Als Lösung sehen die Autoren des Briefes den umstrittenen ÖNORM-Entwurf zu geschlechtergerechter Sprache, der u.a. vorschlĂ€gt "beide Geschlechter getrennt und vollstĂ€ndig anzufĂŒhren". Damit wĂŒrden feministische Anliegen maximal berĂŒcksichtigt und eine "RĂŒckkehr zur sprachlichen NormalitĂ€t" ermöglicht. Schließlich sei die Sprache einzig und allein der problemlosen VerstĂ€ndigung und nicht der Durchsetzung partikularer Interessen. Es mĂŒsse gewĂ€hrleistet sein, dass "die VerstĂ€ndlichkeit von Texten wieder den Vorrang vor dem Transport feministischer Anliegen eingerĂ€umt bekommt".

Kritik seitens der SP

Aus der Politik kommen zu dem Vorstoß vorets krische Stimmen: "Ich bin wirklich verwundert ĂŒber den 'Offenen Brief zum Thema sprachliche Gleichbehandlung', der seit gestern die Runde macht", so SPÖ-BundesfrauengeschĂ€ftsfĂŒhrerin Andrea Brunner. FĂŒr sie sei geschlechtersensible Sprache "ein unverzichtbares Element einer Gesellschaft, in der Frauen und MĂ€nner gleichgestellt sind" - dies möchte Brunner allen Unterzeichnenden dieses Offenen Briefes mit auf den Weg geben. Sie verweist zudem auf Studien, in denen bewiesen wurde, dass es keine "geschlechtsneutralen" Formulierungen gibt, so Brunner. "Wer Frauen sprachlich ausblendet, macht sie unsichtbar", so Brunner.

Heinisch-Hosek weist Forderungen zurĂŒck

Bildungs- und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) hat die von Sprachkritikern per offenem Brief an sie erhobene Forderung zurĂŒckgewiesen, geschlechtersensible Formulierungen etwa mit Binnen-I "aus dem Sprachgebrauch zu eliminieren". "Sprache schafft Wirklichkeit. Weibliche Formen unerwĂ€hnt zu lassen und Frauen damit auszublenden, das wĂ€re ein völlig falsches Zeichen", so die Ministerin.

Mitterlehner fĂŒr gĂ€ngige Praxis

Im Wissenschaftsministerium verweist man auf die gelebte Praxis im Ministerium, wo - sofern lesbar - die "geschlechtsneutrale" Formulierung (z.B. "Studierende" statt "Studentinnen" und "Studenten") verwendet wird. "Wo das nicht möglich ist, werden - wie gesetzlich vorgesehen - durchgehend beide Geschlechter angefĂŒhrt", so Ressortchef Reinhold Mitterlehner (ÖVP) in einer Stellungnahme zur APA.

ÖH: Abschaffung widerspricht EU-Richtlinien

BestĂŒrzt auf den offenen Brief reagierte indes die Österreichische HochschĂŒler_innenschaft (ÖH): "Bei wichtigen Texten wie Gesetzen und Normen weibliche Bezeichnungen wegzulassen, ist mehr als bedenklich und ist absolut unzeitgemĂ€ĂŸ. Angebliches 'Frauen mitmeinen' reicht noch lange nicht", betonte der ÖH-Vizevorsitzende Florian Kraushofer (Fachschaftslisten/FLÖ). Geschlechtergerechte Sprache sei ein wichtiger Schritt fĂŒr absolute Gleichstellung von Frauen und nicht mehr wegzudenken, eine Abschaffung widersprĂ€che außerdem zahlreichen EU-Richtlinien und gĂŒltigen Gesetzen.

FPÖ: Gender-Geldhahn abdrehen

Die FPÖ hat Mitterlehner indes am Montag aufgefordert, er solle "dem Genderwahn den Geldhahn abdrehen" und Gender-Lehrveranstaltungen aus allen StudienplĂ€nen der Unis streichen. "Die sogenannte Genderwissenschaft entwickelt sich zu einem Korsett fĂŒr unsere Sprache und unser Denken", so der Nationalratsabgeordnete Gerhard Deimek. "Reinhold Mitterlehner muss zeigen, ob der noch christlich-soziale Wurzeln in sich hat, oder ob er lĂ€ngst zum angepassten Klon des grĂŒn-affinen Rupprechter wurde."

Kommentare

Kurier.tvMotor.atKurier.atFreizeit.atFilm.atImmmopartnersuchepartnersucheSpieleCreated by Icons Producer from the Noun Project profilkat