Das Binnen-I auf gut Wienerisch

Das Binnen-I auf gut Wienerisch
Eine ewige Debatte spaltet wieder einmal das Land. In Wien wird der Gender-Plan strikt verfolgt.

Männer kommen vom Mars, Frauen von der Venus – und manche kommen aus Wien, wo das alles völlig egal sein sollte. Die Bundeshauptstadt setzt zumindest viel daran, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern wegzuradieren. Das Dezernat für "Gender Mainstreaming" steht an oberster Stelle in Sachen Geschlechter-Fairness. Über die aktuelle Debatte rund um das Binnen-I kann frau im Rathaus nur schmunzeln. "Das ist, als hätte es unsere Bemühungen nie gegeben", sagt die Leiterin des Gender-Dezernats, Ursula Bauer. Mit Bemühungen meint Bauer Kampagnen, Leitfäden und zahllose Broschüren, in denen erklärt wird, wie man und frau denn richtig gendern. In der Stadtregierung sei das Konzept problemlos angenommen worden, sagt die Expertin. Um das Gendern aber nicht im Rathaus, hinter verschlossenen Türen zu halten, wandte man sich auch an die Öffentlichkeit.

Das Binnen-I auf gut Wienerisch
Gender-Beauftragte Wien Ursula Bauer
Auf Verkehrszeichen und Piktogrammen wurden Frauen abgebildet, das Projekt bekam viel Aufmerksamkeit. "Wir haben zum Beispiel auf einem Exit-Schild eine Frau abgebildet, um der Bevölkerung klar zu machen, wie sehr unser ganzes System auf Männer aufgebaut ist", sagt Bauer. Die Reaktion eines Herrn auf dieses Schild machte sie mehr als stutzig: "Er hat gemeint, dass Männer ja dann nicht wüssten, wohin sie flüchten sollen."

Besagter Herr kann sich aber beruhigen – die weiblichen Fluchtweg-Schilder verstießen nämlich gegen die EU-Norm und mussten deshalb wieder den herkömmlichen Schildern weichen, auf denen ein Mann wegrennt.

Männer am Wickeltisch

Nur ein Piktogramm überlebte die EU-Norm. Das Schild zeigt einen Mann, der ein Baby wickelt. "Früher waren die Wickelmöglichkeiten fast immer in den Damentoiletten. Es wurden Umbauten gemacht, so dass auch Väter ihre Kinder versorgen können", erklärt Bauer. Kurioserweise hat die Kampagne, die Frauen fördern soll, also den Männern geholfen. Diese Ansicht korrigiert die Expertin aber gleich: "Beim Gendern geht es ja nicht allein darum, Frauen zu fördern. Auch Männer sollen aus der klischeebehafteten Rolle befreit werden." Um das in die Köpfe der Menschen zu bringen, sei eben auch der Sprachgebrauch wichtig, sagt Bauer.

Ein Leitfaden für geschlechtergerechte Formulierungen dient im Rathaus und den Magistratsabteilungen als Hilfe. Darin findet sich etwa die Erklärung des "Titanic-Prinzips", also Frauen und Kinder zuerst – im Gender Mainstreaming heißt das, dass zuerst die weibliche Form geschrieben werden soll. Der "Arztbrief" wird zum "medizinischen Abschlussbericht", und wenn eine Dame kaufmännische Fähigkeiten hat, sagt man in Gender-Wienerisch, dass sie wirtschaftliches Verständnis bzw. Kostenbewusstsein hat.

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gender - frage
Beatrice J., 43:„Für mich stellt sich die Frage, ob es gut oder schlecht ist, nicht mehr – denn für mich ist die gegenderte Form schon zum Alltag geworden. Und ich hoffe, dass diese Variante trotz der großen Debatte, die gerade herrscht, weiter verwendet wird und irgendwann einmal für alle zum Usus gehört. Die Argumente, dass diese Formen Text zerstören könnten, kann ich nicht nachvollziehen.“
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gender - frage
Markus R., 40:„Ganz ehrlich? Diese Diskussionen um das Binnen-I oder die neue Hymnen-Versionen sind doch einfach nur sinnlos. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Frauen in der Realität auch nur irgendetwas bringt, wenn wir beim Sprechen oder Schreiben weibliche Formen dranhängen. Im Prinzip ist es mir aber egal. Wenn es also sein muss, dann schreibe ich auch gerne ,liebe MitarbeiterInnen‘.“
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gender - frage
Anke P., 29:„Ich finde Gendern unnötig. Und ich fühle mich auch dann angesprochen, wenn nur die männliche Form verwendet wird. Als Studentin muss ich aber Gendern. Bei meiner Bachelor-Arbeit habe ich vorne hingeschrieben, dass ich der Einfachheit halber nur die männliche Form verwende, mich aber auf beide beziehe.“ (Anm.: Das gilt allerdings nicht mehr als Gender-konform.)
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Stefan F., 27:„Diese Diskussion ist meiner Meinung nach reichlich übertrieben. Hier wird doch ein Problem geschaffen, wo es eigentlich gar keines gibt. Sprache wächst und verändert sich, das ist ja schön und gut. Aber das sollte doch auf natürlichem Weg passieren und nicht von oben diktiert werden. Und dass Frauen durch diese Veränderung im echten Leben geholfen wird, wage ich sehr zu bezweifeln.“

Das Wort "Budget" ist ohnehin geschlechtsneutral. Was mit den öffentlichen Geldern passiert, aber keineswegs. Dass man bei der Planung von Projekten in der Stadt nämlich auch spezifisch auf die Geschlechter eingehen kann, beweist ein Pilotprojekt der Stadt Wien. Seit zehn Jahren wird in Meidling schon darauf geachtet, wie man den verschiedenen Bedürfnissen der Geschlechter am Besten nachkommen kann. Das betrifft vor allem die Planung neuer Einrichtungen.

Keine Puppenecke

Wer etwa im Meidlinger Kindergarten die Puppenecke sucht, tut das vergeblich. Das dortige Gender-orientierte Konzept soll den Kindern nämlich die Möglichkeit geben, nicht in klischeebehafteten Geschlechterrollen aufzuwachsen.

Die Spielsachen sind in Kisten verstaut. Möchte ein Bub lieber mit Puppen spielen anstatt mit den obligatorischen Autos oder Bauklötzen, dann kann er sich die Puppenkiste holen.

Auch 24 Stunden beleuchtete WC-Anlagen und mehr Sitzgelegenheiten auf dem Friedhof waren Teil des Gender-Budgeting-Projekts. Der "Gender-Bezirk" Meidling hat es damit sogar zu internationaler Anerkennung geschafft. Das Projekt wurde mit dem französischen Preis "Prix Territoria Europe" für Innovation ausgezeichnet.

Die durch Andreas Gabaliers strittige Interpretation der Bundeshymne wieder losgetretene Diskussion um geschlechtsneutrale Formulierungen ist um eine Facette reicher: Am Montag haben insgesamt 800 Uni-Professoren, Lehrer, Journalisten und andere Sprachkritiker in einem offenen Brief einen Aufruf zur Abschaffung des Genderns gefordert.

Prominente Unterzeichner

"Ein minimaler Prozentsatz kämpferischer Sprachfeministinnen darf nicht länger der nahezu 90-prozentigen Mehrheit der Staatsbürger ihren Willen aufzwingen", so das Argument der Unterzeichner – unter ihnen finden sich auch so einige prominente Namen. Die Philosophen Konrad Paul Liessmann und Peter Kampits, Mathematiker Rudolf Taschner, Verfassungsrechtler Heinz Mayer, Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder, der deutsche Journalist und Sprachpfleger Bastian Sick oder die Schauspielerin Chris Lohner sind in dem an die Minister Mitterlehner und Heinisch-Hosek gerichteten Schreiben angeführt. Daneben scheinen etwa Schulleiter bzw. Lehrer auf; mehr als die Hälfte der Unterzeichner soll laut einer Aussendung der Initiatoren weiblich sein.

Konkret will man eine "Rückkehr zur sprachlichen Normalität": Die Minister sollen, so die Forderung, "dem Wildwuchs durch das sprachliche 'Gendern'" Einhalt gebieten. "Was die Mehrheit der Sprachteilhaber als richtig empfindet, wird als Regelfall angesehen. Wo immer im Laufe der Geschichte versucht wurde, in diesen Prozess regulierend einzugreifen, hatten wir es mit diktatorischen Regimen zu tun."

Unlesbar & unverständlich

Die Briefschreiber verwehren sich gegen eine "von oben her verordnete konsequente getrenntgeschlechtliche Formulierung" in Gesetzen, Behördentexten, aber auch Schulbüchern und universitären Facharbeiten. Geschlechtersensible Sprache (mit Binnen-I, Anführung beider Geschlechter mit Schrägstrichen im Wortinneren etc.) stoße nicht nur auf sehr geringe Akzeptanz, sie "zerstört die gewachsene Struktur der deutschen Sprache bis hin zur Unlesbarkeit und Unverständlichkeit" und widerspreche "zum Teil den Grundregeln unserer Sprache". Diese Maßnahmen "sind daher wieder aus dem Sprachgebrauch zu eliminieren".

Textverständlichkeit vor politischen Anliegen

Als Lösung sehen die Autoren des Briefes den umstrittenen ÖNORM-Entwurf zu geschlechtergerechter Sprache, der u.a. vorschlägt "beide Geschlechter getrennt und vollständig anzuführen". Damit würden feministische Anliegen maximal berücksichtigt und eine "Rückkehr zur sprachlichen Normalität" ermöglicht. Schließlich sei die Sprache einzig und allein der problemlosen Verständigung und nicht der Durchsetzung partikularer Interessen. Es müsse gewährleistet sein, dass "die Verständlichkeit von Texten wieder den Vorrang vor dem Transport feministischer Anliegen eingeräumt bekommt".

Kritik seitens der SP

Aus der Politik kommen zu dem Vorstoß vorets krische Stimmen: "Ich bin wirklich verwundert über den 'Offenen Brief zum Thema sprachliche Gleichbehandlung', der seit gestern die Runde macht", so SPÖ-Bundesfrauengeschäftsführerin Andrea Brunner. Für sie sei geschlechtersensible Sprache "ein unverzichtbares Element einer Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleichgestellt sind" - dies möchte Brunner allen Unterzeichnenden dieses Offenen Briefes mit auf den Weg geben. Sie verweist zudem auf Studien, in denen bewiesen wurde, dass es keine "geschlechtsneutralen" Formulierungen gibt, so Brunner. "Wer Frauen sprachlich ausblendet, macht sie unsichtbar", so Brunner.

Heinisch-Hosek weist Forderungen zurück

Bildungs- und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) hat die von Sprachkritikern per offenem Brief an sie erhobene Forderung zurückgewiesen, geschlechtersensible Formulierungen etwa mit Binnen-I "aus dem Sprachgebrauch zu eliminieren". "Sprache schafft Wirklichkeit. Weibliche Formen unerwähnt zu lassen und Frauen damit auszublenden, das wäre ein völlig falsches Zeichen", so die Ministerin.

Mitterlehner für gängige Praxis

Im Wissenschaftsministerium verweist man auf die gelebte Praxis im Ministerium, wo - sofern lesbar - die "geschlechtsneutrale" Formulierung (z.B. "Studierende" statt "Studentinnen" und "Studenten") verwendet wird. "Wo das nicht möglich ist, werden - wie gesetzlich vorgesehen - durchgehend beide Geschlechter angeführt", so Ressortchef Reinhold Mitterlehner (ÖVP) in einer Stellungnahme zur APA.

ÖH: Abschaffung widerspricht EU-Richtlinien

Bestürzt auf den offenen Brief reagierte indes die Österreichische Hochschüler_innenschaft (ÖH): "Bei wichtigen Texten wie Gesetzen und Normen weibliche Bezeichnungen wegzulassen, ist mehr als bedenklich und ist absolut unzeitgemäß. Angebliches 'Frauen mitmeinen' reicht noch lange nicht", betonte der ÖH-Vizevorsitzende Florian Kraushofer (Fachschaftslisten/FLÖ). Geschlechtergerechte Sprache sei ein wichtiger Schritt für absolute Gleichstellung von Frauen und nicht mehr wegzudenken, eine Abschaffung widerspräche außerdem zahlreichen EU-Richtlinien und gültigen Gesetzen.

FPÖ: Gender-Geldhahn abdrehen

Die FPÖ hat Mitterlehner indes am Montag aufgefordert, er solle "dem Genderwahn den Geldhahn abdrehen" und Gender-Lehrveranstaltungen aus allen Studienplänen der Unis streichen. "Die sogenannte Genderwissenschaft entwickelt sich zu einem Korsett für unsere Sprache und unser Denken", so der Nationalratsabgeordnete Gerhard Deimek. "Reinhold Mitterlehner muss zeigen, ob der noch christlich-soziale Wurzeln in sich hat, oder ob er längst zum angepassten Klon des grün-affinen Rupprechter wurde."

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