Chorherr: "Sonst gibt es Kriege"

Chorherr: "Sonst gibt es Kriege"
Christoph Chorherr, Wegbereiter von Rot-Grün, will einen radikalen System-Umbau und mehr Transparenz - auch bei den Grünen.

Er gilt als Querkopf und einer der Väter der rot-grünen Koalition in Wien: In seinem ersten Buch schlägt Christoph Chorherr vor, Österreichs Demokratie radikal zu ändern - um sie zu retten.

KURIER: Herr Chorherr, Korruptionsskandale haben die Glaubwürdigkeit der Politik erschüttert, Umfragen belegen eine Vertrauenskrise. Wie schlimm ist es, und wie kommen wir da raus?
Christoph Chorherr:
Ich bin mit großer Leidenschaft Politiker, deshalb geht mir die Entwicklung der letzten Jahre nahe. Wir erleben eine Diskreditierung des gesamten Systems, die Österreicher sagen: "Das glaubt kein Mensch, dass wirklich große Fragen, wie eine Bildungs- oder Verwaltungsreform, auch nur annähernd gelöst werden." Die Krise hat tiefe systemische Ursache - deshalb schlage ich einen radikalen Umstieg vor.

Wie sieht der aus?
Zunächst muss das Parlament wieder Gesetzgeber werden. Heute macht die Regierung die Gesetze, das Parlament ist eine schlechte Schaubühne, wo lange vor den Debatten feststeht, wie die Abstimmungen ausgehen. Wen interessiert ein Fußball-Match, bei dem vorher klar ist, dass es 4:1 endet?

"Macht muss den Parteien weggenommen und den Wählern zurückgegeben werden"

Niemanden. Aber was schlagen Sie vor?
Eine radikale Änderung des Wahlsystems. Die Macht muss den Parteien weggenommen und den Wählern zurückgegeben werden. In meinem System erstellen die Parteien weiter Kandidaten-Listen. Wer ins Hohe Haus kommt, entscheiden aber nur die Bürger. Eine Partei listet alphabetisch 80, 90 oder auch 200 Leute, die für sie antreten. Die Wähler sortieren am Wahltag nach Belieben und die Partei garantiert, dass die erstgereihten im Parlament sitzen - da geht's plötzlich um etwas! Der Herr Mayer, der heute auf Platz 72 keine Chance auf ein Mandat hätte, kann Platz eins schaffen. Und er ist nicht der Partei, sondern direkt den Wählern verantwortlich.

Zwei Einwände: Vorzugsstimmen gibt es ja bereits. Und warum machen das die Grünen nicht schon längst?
Erstens: Vorzugsstimmen führen heute nur bei Betriebsunfällen zu Umreihungen. Zweitens: Geht's nach mir, dann machen die Grünen das.

Zusammengefasst heißt Ihr Vorschlag: Jeder kann ins Parlament und alles ist möglich. Wer soll sich zwischen Dutzenden, vielleicht Hunderten Kandidaten entscheiden?
Das ist kein Argument! Die Österreicher nehmen sich sehr viel Zeit für Fragen wie: Welchen Flachbildschirm oder welches Auto kaufe ich mir? Und soll mein Rotwein im Barrique ausgebaut sein - oder nicht? Wenn sie nur annähernd so viel Zeit auf die Entscheidung verwenden, wer ins Parlament soll, dann sehe ich kein Problem.

Und die Regierung?
Ich bin für eine Direktwahl des Kanzlers, der dann Regierungsmitglieder aussucht. In den USA sitzen Nobelpreis-Träger auf Minister-Posten, bei uns feilschen darum viertklassige ÖAAB-Funktionäre.

Ihr Buch beschäftigt sich mit Klimafragen. Sind diese angesichts der Finanzkrise nicht im Hintergrund?
Das Ausmaß, wie sehr sich unser Lebensstil ändern muss, wird unterschätzt. Im größten Automarkt der Welt, China, besitzen die Menschen pro Kopf nur ein Zehntel der Autos wie wir in Österreich. Es geht sich nicht aus, dass bald neun Milliarden Menschen nur halb soviel Öl oder Kohle verbrauchen.
Ich beschreibe eine Richtungsänderung: Besser leben mit viel weniger, auch dank schlauer Technik. Sonst gibt es Kriege um Rohstoffe.

Sie gelten als Architekt von Rot-Grün in Wien. Wie steht's um die Statik der Koalition?
Ich habe mir das von unserer Seite chaotischer vorgestellt. Wir waren Neulinge, heute steht fest: Wir können das! Erst kürzlich haben wir zum ersten Mal in der Geschichte der Stadt die Jahreskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel deutlich verbilligt und wir haben die höchste Mindestsicherung aller Bundesländer für Kinder. Die Ehrlichkeit gebietet aber zu sagen, wo's nicht gut lief.

Und zwar wo?

Grüne in der Regierung bedeutet: mehr Transparenz - und hier gibt's Defizite. Aus Angst, zerstritten zu wirken, haben wir viel hinter verschlossenen Türen verhandelt, das muss anders werden. Auch bei den öffentlichen Ausgaben gibt's Handlungsbedarf: Konkret denke ich an die Inserate der Stadt. Wien inseriert sehr viel, hat dafür ein meines Erachtens zu großes Budget. Ich wünsche mir eine Liste, die mir als Bürger sagt: Warum inseriert die Stadt wo und wie, wohin fließt Steuer-Geld? Da brauchen wir mehr Transparenz.

Zur Person: Der Querverbinder

Chorherr: "Sonst gibt es Kriege"

Karriere Christoph Chorherr (* 1960, Wien) wurde 1991 erster nicht amtsführender Stadtrat der Grünen in Wien. Der Sohn des langjährigen "Presse"-Chefredakteurs Thomas Chorherr war 1996/1997 Bundessprecher der Grünen.

Verbinder Der "Realo" war Architekt der rot-grünen Koalition in Wien. Sein Buch "Verändert!" erscheint am 18. Oktober.

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