Boulevardzeitung kreiert künstliche Kopftuch-Debatte

Im Februar demonstrierten Musliminnen in Wien für das Recht, Kopftuch zu tragen.
Aus einer theologischen Information für Muslime macht "Österreich" ein Kopftuch-Gebot.

Österreich ist um eine künstlich hochgespielte Kopftuch-Debatte reicher. Weil die Boulevardzeitung gleichen Namens über ein angebliches „Kopftuch-Gebot“ der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) berichtete, fühlten sich Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) und Staatssekretärin Muna Duzdar (SPÖ) am Montag zu Klarstellungen bemüßigt. Eine Kopftuch-Verpflichtung sei als Angriff auf die Freiheit und Selbstbestimmung von Mädchen und Frauen klar abzulehnen.

Allerdings rate die IGGÖ Musliminnen keineswegs zur Verhüllung, betont deren Präsident, Ibrahim Olgun. Wohl habe Österreich aus einem Gutachten des theologischen Beratungsrates der Glaubensgemeinschaft zum Thema Kopftuch zitiert – die Stellungnahme von Mufti Mustafa Mullaoglu sei aber „ihres eigentlichen Inhalts beraubt und völlig verkehrt wiedergegeben“ worden.

„Keine verbindliche Vorschrift“

Ursprünglich habe man den Beratungsrat (der Glaubensgrundsätze und -fragen aus theologischer Sicht erklärt) mit dem Kopftuch-Gutachten beauftragt, um Muslimen in der aktuellen politischen Debatte „eine Orientierungshilfe“ bieten zu können. Und der erklärt unter anderem: „Für weibliche Muslime ab der Pubertät ist in der Öffentlichkeit die Bedeckung des Körpers, mit Ausnahme von Gesicht, Händen und nach manchen Rechtsgelehrten Füßen, ein religiöses Gebot (fard) und damit Teil der Glaubenspraxis.“

Boulevardzeitung kreiert künstliche Kopftuch-Debatte
Interview mit dem Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft Ibrahim Olgun in Wien am 03.01.2017.
Diese Information sei aber kein Widerspruch zur Selbstbestimmung der Frauen und schon gar keine „verbindliche Kleidungsvorschrift“, sagt Olgun. Darum habe das Expertengremium auch dezidiert festgestellt, „dass Frauen und Männer, die sich nicht an die religiösen Kleidungsgebote halten, keinesfalls von anderen abgewertet werden dürfen“. Zudem empfiehlt er „hiesige Traditionen zu berücksichtigen und vom Tragen einer Gesichtsbedeckung abzulassen“.

Um die „böswillige Darstellung in Österreich“ geradezurücken, suchte die IGGÖ noch am Wochenende das Gespräch mit dem Staatssekretariat, sagt Olgun. Was dort auch bestätigt wird.

Allerdings stellt der Präsident auch klar, dass die Auslegung der Glaubenslehre nicht Politik und Medien zu klären hätten. Die sei „ureigenste Aufgabe der IGGÖ“. „Die Politik kann nicht vorschreiben, was Muslime glauben sollen und was nicht. Das ist keine Religionsfreiheit“, sagt er zum KURIER.

Kritik an dem religiösen Rechtsurteil (Fatwa) der IGGÖ kommt von Religionspädagoge Ednan Aslan. Werde doch „auf gegenwartsorientierte Selbstdeutungen des Korans verzichtet und auf Deutungen aus dem 8. und 9. Jahrhundert zurückgegriffen und deren Deutungen als fard (absolute Pflicht) bezeichnet. Damit werden die Meinungen der Rechtswissenschaftler und die göttlichen Aussagen auf eine gleiche Ebene gestellt“.

Frauensolidarität

Die Frauen, über die hier diskutiert wird, können die Debatte zum Teil schon nicht mehr hören. „Weil sie den Blick auf die eigentlichen Anliegen und Probleme muslimischer Frauen verstellt“, erklärt die Frauenbeauftragte der IGGÖ, Carla Amina Baghajati. Ihr seien die Anliegen aller Frauen gleich wichtig – „egal, ob sie ein Kopftuch tragen oder nicht“. In der aktuellen Situation pocht sie auf Frauensolidarität - "wir dürfen uns nicht auseinander dividieren lassen". Am Fatwa war sie nicht beteiligt.

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