Bei minus12 Grad auf der Insel
Mario sagt: "Ich friere nicht." Doch es fällt schwer, dem 50-jährigen Obdachlosen zu glauben. Denn Mario wohnt in einem kleinen Zelt, versteckt zwischen verschlungenen Pfaden auf der Donauinsel. Zwei Schlafsäcke, ein Campingkocher und 15 Teelichter müssen genügen, um den Wiener bei zwölf Grad unter null zu wärmen. "Wichtig ist, nackt im Schlafsack zu liegen", sagt er, "sonst wird nur die Kleidung, nicht aber der Körper warm."
Mario ist einer jener Obdachlosen, die auch dann auf der Straße leben, wenn Einrichtungen wie die Caritas die Bettenzahl ihrer Notschlafstellen längst aufgestockt haben. "Die Lage ist weiter angespannt, aber unter Kontrolle", sagt Caritas-Chef Michael Landau. Er berichtet von einer Welle der Solidarität – von Socken strickenden Pensionisten und Taschengeld spendenden Schülern.
Es ist eine Welle, die Tausende Obdachlose dieser Tage wärmt. Mario wärmt sie nicht. "Ich bin wohl so was wie ein Einzelgänger", sagt er. Eine dünne Eisschicht bedeckt die Plane seines Vorzelts. "So lange das Eis nicht drinnen ist, geht’s", sagt er. Seit elf Jahren lebt er auf der Insel. Elf Jahre bedeuten auch elf Winter und ein Leben inmitten von Kälte, Schnee und Feuchtigkeit – nur durch ein Stück Stoff von der Umwelt getrennt. Wie er so dasitzt und an seiner Zigarette zieht, erinnert Mario an einen Indianerhäuptling. Einer der letzten Mohikaner, die dem Winter trotzen. Wieso er hier gelandet ist? "So viel Zeit haben Sie nicht", sagt er nur.
Schweizer Nachbar
Einige Hundert Meter weiter wohnt Jacques, der Schweizer. Schon einmal stattete ihm der KURIER einen Besuch ab. Damals war es noch wärmer. Nun hält der tiefe Winter Einzug, doch auch Jacques ist geblieben. "Ich will hier nicht weg", sagt er. Er habe 50 Decken in seinem Zelt. "Mein Thermometer zeigt an, dass es im Bett auch dann zehn Grad hat, wenn ich nicht drinnen liege." Jacques lebt auf einer kleinen, der Donauinsel vorgelagerten Insel. Immer, wenn er sie verlässt, muss er drei Schuttsäcke über seine Beine stülpen, um nicht nass zu werden. "Bis jetzt hat mich das Eis nicht getragen."
Lebensgefahr
Schweben Menschen wie Mario und Jaques nicht in Lebensgefahr? Immerhin ist diese Woche in der Steiermark ein Mann leblos auf einer Parkbank gefunden worden – erfroren. Ein ähnliches Schicksal ereilte eine Frau dieses Wochenende in Wien. "Wir versuchen, Menschen dazu zu bewegen, mit uns zu kommen. Bei vielen ist es schwierig", sagt Susanne Peter von der Caritas. Drei Mal in der Woche stattet sie den Insulanern einen Besuch ab. Nicht nur ihnen. Mehrere Hundert Menschen, genaue Zahlen fehlen, leben auf Toiletten in der Innenstadt oder in den Parks der Randbezirke. Die einen sehen sich psychisch nicht in der Lage, in die Quartiere zu gehen. Andere sind illegal im Land und fürchten die Behörden.
"Gegen ihren Willen liefern wir die Menschen nur ein, wenn eine massive Selbstgefährdung vorliegt", sagt Peter. "Dann kommen wir mit Amtsarzt und Polizei. Aber Mario und Jacques wissen, was sie tun."
Bei Mario haben die vielen Besuche gefruchtet. Peter organisierte ihm eine Wohnung. Im März baut er sein Zelt ab. Doch bis es soweit ist, bleibt Mario auf der Insel. "Vielleicht werde ich sie sogar ein wenig vermissen", sagt er, "nach all der Zeit." Und das Zelt? "Das bekommt dann jemand, der es dringender brauchen kann als ich."
Wer helfen möchte, findet Informationen unter www.gruft.at
Auf der Donau ist keine Schifffahrt möglich
Zwar ist die Donau in Österreich erst an einzelnen Stellen wegen Eisbildung unpassierbar, da aber in Bratislava und in Deutschland nichts mehr geht, kommt die Schifffahrt zum Erliegen. In Österreich ist die Donau von der Schleuse Aschach (OÖ) stromaufwärts gesperrt. Bei Altenwörth (NÖ) wird es bald soweit sein, sagt Reinhard Vorderwinkler von der obersten Schifffahrtsbehörde: "Der erste, der stecken bleibt, bekommt einen Eisbrecher, dann machen wir zu."
Das Problem: Durch den Eisbrecher wird Eis aufgetürmt, was zu einer längeren Schmelze führt, die Fahrrinne ist so länger blockiert. Wie lange die Donau noch zubleibt, kann Vorderwinkler nicht sagen. Sobald die Temperaturen wieder über null liegen, wird das Eis "mürbe" und bricht auf.
Um auf die Donau hinauszugehen, ist das Eis noch zu dünn, glaubt der Experte. "Ich würde noch sehr lange nicht auf die Donau gehen", wegen der Strömung entstehe ohnehin keine glatte Fläche zum Eislaufen.
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