Aufdecker als geisteskrank abgestempelt

Aufdecker als geisteskrank abgestempelt
Vier Mal aufgrund falscher Expertisen in die geschlossene Anstalt. Entschädigung hat Erhard Pichler bis heute keine erhalten.

Ein Ehepaar erstattet Selbstanzeige beim Finanzamt. Wegen Steuer- und Abgabenhinterziehung. Was glauben Sie, passiert dann? Rehabilitierung? Strafminderung? Mitnichten.

Gehen wir etwa 40 Jahre zurück. Das Ehepaar Sieglinde und Erhard Pichler erstattete 1969 Selbstanzeige wegen oben genannter Vergehen. Kurz darauf kam die Polizei samt Amtsarzt zum streitbaren Erhard Pichler. Er wurde kurzerhand zwangsweise in die geschlossene psychiatrische Anstalt der Uni-Klinik Wien gesteckt. Der Grund: die Selbstanzeige.

Ganze vier Mal wurde P. in den Jahren 1969 bis 1972 für mehrere Wochen zwangspsychiatriert. Die Wiener Gutachter stellten bei ihm "unheilbare Geisteskrankheit" fest. Was war mit dem integren Baumeister Erhard Pichler bloß geschehen, dass er plötzlich als unheilbar krank eingestuft wurde?

Ehe es zur Selbstanzeige gekommen war, hatte Pichler einen Millionenskandal bei den österreichischen Bundesbahnen aufgedeckt.

Schwiegerpapa

Da legte sich Pichler jedoch mit den Falschen an – seinem Schwiegervater Wilhelm Mildner und dem willfährigen Polizisten H.

Gutachter und die Wiener Psychiatrie trugen ihren Teil dazu bei. Danach krachte Pichler auch mit den SPÖ-Ministern Erwin Lanc und Karl Lausecker zusammen, doch dazu morgen mehr.

"Die wollten mich aus dem Weg räumen", sagt Pichler, 74, heute über seine Zeit in geschlossenen Anstalten. Mehrfache Elektroschock-Therapien, die seinen Körper zum Aufbäumen brachten; Behandlung mit Psychopharmaka "in hohen Dosen", wie später, 1982, in einem ärztlichem Attest von Dr. Thomas Kroiss festgestellt wird. Dort steht auch, dass es Behandlungen gab mit Gitterbett und Fesseln, weil er protestierte. Pichler wurde ans Bett gefesselt, musste Wochen und in einem Fall auch Monate in einer geschlossenen Anstalt verbringen – am Steinhof und auch in der Klinik Hoff (Psychiatrie der Uni Klinik Wien; durch Malaria-Injektionen in den 1960er-Jahren jüngst in die Schlagzeilen geraten).

Auch wenn es von der werten Leserschaft etwas Geduld erfordert, ein kurzer Exkurs in die Folgeerscheinungen der Therapien: Dr. Kroiss berichtet in seiner Expertise (siehe Faksimile unten) von zahlreichen Folgeschäden durch die psychiatrische Behandlung: Bereits nach der ersten Behandlung 1969 sei von einem Arzt beträchtliche Irritation im Wirbelbereich festgestellt worden.

Angstzustände

Im Sophienspital wurden ebenfalls 1969 weitere Beschwerden wie Angstzustände und Schlaflosigkeit bei Pichler festgestellt. Ein Wiener Labor attestierte ein leicht abnormes EEG, wobei die leichten Allgemeinveränderungen durch einen chronischen Medikamentenabusus (sprich Missbrauch, Anm.) mitbedingt seien. Dr. Kroiss merkte dazu an: Siehe Behandlung mit den angeführten Medikamenten (etwa Truxal, Sordinol, Metadril, Tonitex, etc.).

Dennoch wurde Pichler noch weitere drei Mal zwangspsychiatriert. Nach der letzten Behandlung zeigt ein Röntgenbefund, dass sich bei Erhard Pichler das Becken schiefgestellt hat, Lendenwirbel haben sich verschoben. Folgen der Elektroschocks. Das Attest geht weiter: Migräne, Konzentrationsstörungen, Verspannungen im Kreuzbeinbereich und so weiter.

Dadurch ist eine wesentliche Verminderung der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit gegeben. Diese ist ab dem Einsetzen der E-Schock- und Psychopharmaka-Zwangsbehandlung aufgetreten, ergänzt der praktische Arzt Kroiss sein Attest.

Fehldiagnose

Und – so geht aus dem ärztlichen Befund weiters hervor – die stationären Behandlungen wegen angeblicher Schizophrenie haben sich als Fehldiagnosen herausgestellt.

Vier Mal Zwangspsychiatrierung in der geschlossenen Anstalt wegen Selbstanzeige beim Finanzamt und einer Fehldiagnose. Führerscheinentzug, Probleme im Berufsleben waren weitere Nebenerscheinungen.

Pichler hat später Privatgutachten erstellen lassen. Unter anderem von dem weltberühmten Psychologen Friedrich Hacker. Sie bescheinigen ihm völlige geistige Gesundheit. Hacker wies dem Gerichtsgutachter Dr. Rudolf Jech, der eine der negativen Expertisen über Pichler erstellt hatte, mehrere schwere Fehler nach. Hacker stellt abschließend fest, dass kein Anhaltspunkt vorliege, der das Bestehen einer Geisteskrankheit (...) bei Ing. Pichler gegenwärtig oder zu irgendeinem Zeitpunkt in der Vergangenheit vermuten lassen.

Erhard Pichler lebt heute im niederösterreichischen Langenlois. Auf einen Gehstock gestützt, durchwühlt er auch Jahrzehnte nach den Vorfällen noch Aktenberge, die er im Lauf der Zeit gesammelt hat. Pichler ist nicht der, den man als einfachen Menschen bezeichnen würde. "Er ist sicher ein Exzentriker", sagt einer seiner Weggefährten. Sein ehemaliger Anwalt Katary ist im Gespräch mit dem KURIER noch heute überzeugt: "Dass er den Skandal aufdecken wollte, war sicher die Ursache für die Einweisung in die Psychiatrie."

Überleben

Baumeister Pichler, der es später, allen Widerständen zum Trotz, zum Gerichtssachverständigen brachte, ist nach wie vor auf der Suche nach Gerechtigkeit. "Sie fragen, was ich gemacht habe? Ich habe ums Überleben gekämpft."

Sein damaliger Anwalt Ernst Knaipp forderte 1983 insgesamt zehn Millionen Schilling (nach heutiger Kaufkraft rund 1,6 Millionen Euro) Entschädigung für seinen Mandanten. Das Nachrichtenmagazin profil und der KURIER hatten bereits in den 1970er-Jahren ausführlich über die Causa berichtet. Genützt hat dies nichts.

Geld hat P. vom Staat also bis jetzt, 43 Jahre nach seiner ersten Einweisung in die Psychiatrie, keines gesehen. Heute sieht Pichler es als Fehler an, niemals Anzeige erstattet zu haben. Anwalt Katary meint, dass es jetzt wegen Verjährungsfristen schwierig sein könnte, auf zivilrechtlichem Weg mit einer Klage erfolgreich zu sein.

Kommentare