Angebliche Amokfahrt in Wien: Anklage vor Zusammenbruch

Der wegen versuchten Mordes nach einer Amokfahrt in Wien Angeklagte
Ein 21-Jähriger soll im September mit einem Pkw in Favoriten auf Passanten losgefahren sein. Zeugen relativierten bzw. widerriefen ursprüngliche Angaben. Verhandlung wurde auf 6.Juli vertagt.

Die angebliche Amokfahrt in Wien-Favoriten vom Herbst des vergangenen Jahres, die für Schlagzeilen und anhaltendes mediales Aufsehen gesorgt hatte, dürfte in Wahrheit keine solche gewesen sein. Das hat sich am Donnerstag im Prozess gegen den 21-jährigen Installateur gezeigt, der mit dem Pkw seines Vaters in Tötungsabsicht auf Passanten losgefahren sein soll.

Laut Anklage soll der junge Mann am 29. September 2016 gezielt und mit überhöhter Geschwindigkeit eine dreiköpfige Personengruppe angesteuert haben, die im Kreuzungsbereich Laxenburger Straße - Quellenstraße einen Schutzweg überquert hatte, um auf einer Verkehrsinsel die Straßenbahnhaltestelle der Linie 6 zu erreichen. Der 21-Jährige soll dabei auch eine rote Ampel missachtet haben. Ein 53-jähriger Mann habe sich nur im letzten Moment mit einer Art Hechtsprung vor dem Zusammenstoß retten können, heißt es in der Anklage, die dem 21-Jährigen versuchten Mord ankreidet.

Angebliche Amokfahrt in Wien: Anklage vor Zusammenbruch
ABD0024_20170518 - WIEN - ÖSTERREICH: Der wegen versuchten Mordes nach einer Amokfahrt in Wien-Favoriten Angeklagte (m.) am Donnerstag, 18. Mai 2017, vor Prozessbeginn im Straflandesgericht Wien. - FOTO: APA/HERBERT NEUBAUER

Der 53-Jährige relativierte im Landesgericht für Strafsachen als Zeuge jedoch seine ursprünglichen Angaben. Zunächst räumte er unter Wahrheitspflicht ein, er selbst habe möglicherweise bei Rot die Kreuzung überquert: "Ich weiß nicht mehr, ob die Ampel rot oder grün war." Er sei dann praktisch schon auf der Verkehrsinsel gewesen, als sich das Auto seitlich in seinem Rücken annäherte: "50 Zentimeter haben gefehlt, als er gekommen ist." Um sich in Sicherheit zu bringen, hätte es eines "schnellen Sprungs auf die Insel" bedurft: "Das war alles." Er hätte zwar kurz Angst gehabt, vom Pkw erfasst zu werden - die dahin gehende Frage von Richterin Martina Krainz beantwortete der Zeuge mit: "Naja, schon." Zugleich betonte er aber: "Er (der Angeklagte, Anm.) wollte mich sicher nicht töten." Und weiter: "Ich verzeihe ihm alles. Das ist ein junger, dummer Junge."

Eine Bekannte des Mannes, die diesen damals begleitet hatte - die beiden hatten sich in einer Notschlafstelle der Caritas kennengelernt, weil sie im Tatzeitpunkt obdachlos waren -, zog ihre den Angeklagten belastenden Angaben zur Gänze zurück. Sie hätte sich vor ihrer polizeilichen Einvernahme vom 53-Jährigen "eintrichtern" lassen, dessen Version zu bestätigen, verriet die Frau dem Schwurgericht. Sie sei damals psychisch schwer angeschlagen gewesen, unter starken Psychopharmaka gestanden und ständig betrunken gewesen, gab die Zeugin zu Protokoll: "Ich bin total betrunken zur Polizei gekommen. Ich hab mir eine Gaudi gemacht mit der Polizei."

"Kleiner Hupfer" statt Hechtsprung

In Wahrheit sei die Situation entgegen der medialen Berichterstattung bei weitem nicht so brenzlig gewesen. Ihr Bekannter sei mit der Geschichte "in der Zeitung hausieren gegangen". Sie habe sich dafür "total geschämt". Der 53-Jährige habe "keinen Hechtsprung", sondern "einen kleinen Hupfer" machen müssen, um sich in Sicherheit zu bringen. Das Auto sei außerdem "nie so nahe an den Gehsteig gekommen, wie gesagt worden ist". Ihr Bekannter sei "überhaupt einer, der sich wichtig macht". Sie selbst geniere sich heute dafür, unter dem Einfluss von acht Dosen Bier vor der Polizei die Unwahrheit gesagt zu haben. Sie sei "manisch-depressiv, bipolar", habe sich mittlerweile aber sehr gut erholt, erklärte die Zeugin abschließend: "Ich hab' eine Wohnung, einen Freund. Es geht mir besser."

Der beisitzende Richter Christoph Bauer fragte die Zeugin berechtigterweise recht forsch, weshalb sie ihre polizeiliche Aussage bis zur Hauptverhandlung nicht korrigiert hätte: "Immerhin sitzt der Angeklagte seit 29. September in U-Haft." "Ich habe nicht gedacht, dass ich so ernst genommen werde", lautete die Antwort.

Der Angeklagte und sein Verteidiger Wolfgang Blaschitz hatten zuvor betont, es sei niemand gefährdet worden. "Ich bin normal gefahren mit normaler Geschwindigkeit", so der 21-Jährige. Nachdem er die Moschee besucht hatte, um als gläubiger Muslim sein Gebet zu verrichten, habe er sich eine Pizza holen wollen und keinen Parkplatz gefunden: "Dann hat jemand die Polizei gerufen, weil ich jemanden gefährdet habe. Aber ich habe keinen gefährdet. Ich habe keinen gesehen." Er habe auch keine Ampel ignoriert: "Es hat grün geblinkt."

"Mein Mandant ist kein Mörder. Er hat auch nicht versucht, einer zu sein"

"Mein Mandant ist kein Mörder. Er hat auch nicht versucht, einer zu sein", versicherte Blaschitz. Amokfahrer würden sich üblicherweise eines Lkw oder SUV bedienen und mit diesen Fahrzeugen "Fußgängerzonen, Strandpromenaden oder Weihnachtsmärkte ansteuern", spielte der Verteidiger auf die Anschläge in Graz, Nizza und Berlin an. Sein Mandant sei dagegen mit dem alten Peugeot 206 seines Vaters unterwegs gewesen: "Baujahr 2001. Eine Rostschüssel. Mit 70 PS." Der angebliche Tatort habe sich obendrein "in Sichtweite seiner Wohnung" befunden, erklärte der Anwalt: "Wäre er ein Amokfahrer, wäre er auf den Viktor-Adler-Markt oder in die Favoritenstraße gefahren."

Fest steht allerdings, dass der junge Mann mit türkischen Wurzeln während der Fahrt lautstark und für Passanten deutlich vernehmbar "Allahu Akbar" (Gott ist groß) geschrien hatte und ein markantes Gebetstuch trug. Noch bei seiner Festnahme soll er gebetsmühlenartig "Allahu Akbar" von sich gegeben und erklärt haben, er habe "das für Gott getan", gab ein Polizist im Zeugenstand bekannt.

Der Familie des Angeklagten war wiederum aufgefallen, dass der 21-Jährige wenige Wochen vor dem inkriminierten Geschehen ein verstärktes Interesse am Islam entwickelt hatte. Er betete plötzlich fünf Mal am Tag, trug dabei die Kopfbedeckung, die an sich nur für Vorbeter vorgesehen ist, nannte Angehörige "Teufel" und verlangte, diese müssten sich mehr mit dem Glauben befassen. In seiner Firma fiel der Installateur auf, weil er Arbeitskollegen in Glaubensfragen beeinflussen wollte.

Die Verhandlung wurde schließlich zu weiteren Zeugenbefragungen auf den 6. Juli vertagt. Ein Enthaftungsantrag des Verteidigers wurde abgewiesen. "Am dringenden Tatverdacht hat sich nichts Wesentliches geändert", begründete Richterin Krainz die Entscheidung. Die vernommene Zeugin habe "gravierende psychische Probleme", ihre Angaben wären "in sich nicht schlüssig" gewesen. Der Hauptbelastungszeuge habe seine bisherigen Angaben "nicht so wesentlich abgeschwächt, dass sie die Enthaftung rechtfertigen würden". Die vorsitzende Richterin verwies zudem auf das Gutachten der Gerichtspsychiaterin Gabriele Wörgötter, demzufolge der Angeklagte eine "problematische Persönlichkeitsstruktur" haben soll.

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