Freispruch für den toten Aliyev

Mit dem Tod von Rakhat Aliyev fehlte der mutmaßliche Haupttäter ...
Gericht konnte den Mitangeklagten keine Schuld am Tod der kasachischen Banker nachweisen.

Es ging von Anfang an nur um Rakhat Aliyev. Das hat sich auch durch seinen Tod nicht geändert. Die Mordanklage war und blieb auf den mächtigen kasachischen Ex-Botschafter zugeschnitten. Als er vor Prozessbeginn erhängt in seiner Zelle aufgefunden wurde, rückten seine mutmaßlichen Komplizen unverhofft in eine Aufmerksamkeit, die ihnen gar nicht zugedacht war.

Die Freisprüche vom Mordvorwurf sind vor allem auch ein Urteil über Aliyev, bei diesem freilich posthum und ohne Rechtsgültigkeit: Der einstige zweite Mann in Kasachstan hat aus Habgier und um seine Macht zu demonstrieren die beiden kasachischen Bankmanager und Familienväter Zholdas Timraliyev und Aybar Khasenov mit Hilfe seiner Handlanger im Zweifel nicht ermordet.

Zumindest haben der Ex-Geheimdienstchef Alnur Mussayev und der Ex-Leibwächter Vadim Koshlyak dabei nicht mitgewirkt: Darüber hatten die Geschworenen formal zu entscheiden, und so lautete ihr Urteil.

Koshlyak wurde lediglich wegen Beihilfe an Freiheitsentziehung zumindest eines der beiden Opfer nicht rechtskräftig zu acht Monaten Haft (durch die U-Haft bereits verbüßt) plus 16 Monaten bedingt verurteilt, Mussayev gänzlich freigesprochen. Beide wurden sofort auf freien Fuß gesetzt.

Manipuliert?

Ob man nun wie die Verteidiger Martin Mahrer und Walter Engler sowie Aliyevs Rechtsvertreter Klaus und Manfred Ainedter der Ansicht ist, der kasachische Staatspräsident Nursultan Nasarbajew habe mit Hilfe seines Geheimdienstes KNB das Verfahren manipuliert oder nicht: Nasarbajew warf aus 4615 km Luftlinie entfernt jedenfalls seinen Schatten auf diesen am 14. April begonnenen Prozess im Wiener Landesgericht (und wird über die Freisprüche wütend sein). Aliyev war sein Schwiegersohn, und als dieser zu mächtig wurde, stand er auf der Abschussliste.

Reicht das schon für die Behauptung, Nasarbajew habe den KNB beauftragt, die Banker umzubringen und den Mord Aliyev in die Schuhe zu schieben? Dagegen spricht, dass die Opfer am 31. Jänner 2007 spurlos verschwanden und Aliyev gleich darauf zum zweiten Mal als Botschafter nach Wien entsandt wurde.
Wäre es für Nasarbajew nicht einfacher gewesen, dem verhassten Ex-Schwiegersohn in seinem Land eines auszuwischen?
Täuschen und Tarnen: Diese Kunst verstanden alle Seiten. Von den kasachischen Behörden über die Wiener Staatsanwälte (z. B. angebliches Briefing für Zeugen) und die Opferanwälte Lansky&Partner, die einem Belastungszeugen einen Anwalt finanzierten, bis zu den Verteidigern, die ständig (angeblich gefälschte) Mails der Gegenseite aus dem Hut zauberten.

Befangenheitsantrag

Dem Vorsitzenden Andreas Böhm waren Beweismittel, die aus Kasachstan kamen, von Anfang an nicht geheuer. Als er einem von den Verteidigern beantragten Zeugen das Wort abschnitt, weil dieser nicht – wie avisiert – für die Angeklagten aussagte, lehnten ihn Staatsanwälte und Opfervertreter als befangen ab.
Über einen solchen Antrag entscheidet – der abgelehnte Richter selbst, gemeinsam mit seinem Berufskollegen-Senat. Er wurde wenig überraschend abgewiesen.

Dass zumindest einer der beiden Bankmanager von Koshlyak (und Aliyev) verschleppt und gefoltert wurde, sah das Gericht als erwiesen an.
Mussayevs Beteiligung wurde im Zweifel nicht angenommen. Für die Mordvorwürfe mangelte es offenbar ebenfalls an stichhaltigen Beweisen.

Für Opferanwalt Lansky ist mit den Freisprüchen dennoch „der Kern der Geschichte bestätigt: Die Banker wurden entführt. Und wer entführt hat, hat auch ermordet. Die Geschworenen haben bei der Mordfrage im Zweifel für die Angeklagten geurteilt. Aber dass es der KNB war, ist damit vom Tisch.“

Privatbeteiligtenvertreter und Ankläger meldeten Rechtsmittel an. Für den durch Anwalt Richard Soyer vertretenen Generalstaatsanwalt Kasachstans sind die Freisprüche „das Ergebnis von richterlicher Befangenheit und im Verhandlungssaal zugelassener, diskriminierender Pauschalkritik an der Republik Kasachstan“.

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Die Angeklagten hätten in ihrer Heimat kein faires Verfahren erwarten können, hieß es. Deshalb wurde der Mordprozess in Österreich geführt, wo doch alles penibel rechtsstaatlich abläuft. Oder etwa nicht?

Mit Ruhm bekleckert hat sich jedenfalls niemand (wenn man von Goethe und Schiller als Aufputz für das Plädoyer von Verteidiger Martin Mahrer absieht). Opferanwalt Gabriel Lansky hat einen Staatsanwalt bespitzeln lassen und pensionierte hohe Justizfunktionäre auf deren Nachfolger angesetzt. Ehemalige Politiker wie Alfred Gusenbauer haben als Imagepolierer für den menschenrechtsfernen kasachischen Machthaber Nursultan Nasarbajew das Klischee erfüllt, dass Geld nicht stinkt. Staatsanwältin Bettina

Wallner hat Zeugen geschult, damit diese brav im Sinne der Anklage aussagen. Vorsitzender Andreas Böhm schließlich hat schon gleich nach Prozessbeginn kein Hehl daraus gemacht, was er von den Beweisen aus Kasachstan hält, und mit einer überschießenden Begründung für die Enthaftung der Angeklagten auch gleich sein Urteil postuliert: Freispruch. Der kam dann auch wenig überraschend. Ob sich die (allein über die Schuldfrage entscheidenden) Geschworenen davon haben beeinflussen lassen, wird man nie erfahren. Die Mehrzahl von ihnen war jedenfalls während der mehrwöchigen Monsterverhandlung hellwach. Insofern hat sich hier doch noch jemand ausgezeichnet.

Schon im Jahr 2009 musste sich ein Untersuchungsausschuss im Parlament mit der Causa Aliyev auseinandersetzen. Seit Freitag sind die Kasachen wieder ein Thema im Parlament. Der VP-Abgeordnete Werner Amon will in einer parlamentarischen Anfrage an den VP-Justizminister Wolfgang Brandstetter Details über den Stand der Ermittlungen gegen Anwalt Gabriel Lansky wissen. Konkret geht es um den Verdacht, dass Anwalt Lansky nach einigen Fehlversuchen des kasachischen Geheimdienstes KNB, der Gegner in Wien habhaft zu werden, den Job für die gescheiterten Geheimdienstler übernommen hätte. Er soll versucht haben, die Justiz für eine politisch motivierte Menschenjagd zu instrumentalisieren - was ihm aus der Sicht der Aliyev-Verteidiger zumindest bei der Staatsanwaltschaft Wien gelungen sei.

Es ist ungewöhnlich, dass ein Abgeordneter eine parlamentarische Anfrage an einen Minister seiner eigenen Partei richtet. Doch in diesem Fall haben VP-Funktionäre den Verdacht, dass hochrangige, SP-nahe Entscheidungsträger der Justiz eine „schützende Hand“ über Lansky halten könnten.

Amon will unter anderem vom Justizminister wissen, welche Befangenheitsgründe von Wiener Staatsanwälten dazu führten, dass das Verfahren von der Generalprokuratur an die Staatsanwaltschaft Linz zugeteilt wurde. Er will auch wissen, ob gegen Staatsanwälte in der Staatsanwaltschaft oder Oberstaatsanwaltschaft Wien strafrechtliche oder dienstrechtliche Schritte eingeleitet wurden. Bekannt ist bisher nur, dass zwei Staatsanwältinnen vorübergehend vom Dienst beurlaubt sind.

Anwalt Lansky hatte die Vorwürfe bisher stets bestritten. Er gibt zwar Kontakte zu einzelnen KNB-Mitarbeitern zu, die hätte er aber nur im Sinne seiner Tätigkeit als Opferanwalt gepflogen. Er gibt auch zu, dass er einen Wiener Staatsanwalt observieren ließ – aber nicht, um den Aufenthalt des von den Kasachen fieberhaft gesuchten Rakhat Aliyev zu ermitteln, sondern um eine vermutete Befangenheit des Staatsanwaltes zu dokumentieren.

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