Eine verbotene Heimreise

Herr M. ist seit 2008 in Österreich, wurde als Flüchtling anerkannt.
Als der Vater im Sterben lag, reiste Herr M. nach Afghanistan. Eine folgenreiche Entscheidung.

Als sein Bruder anrief, musste Herr M. eine Entscheidung treffen: "Unser Vater liegt im Sterben. Du musst kommen", flehte ihn der Bruder an. Herr M. wusste: Das kann ihn das Leben kosten – aus seiner Heimat Afghanistan musste er einst fliehen. Zum anderen könnte ihn das seinen Status als Asylberechtigter in Österreich kosten – Reisen ins Heimatland sind ausdrücklich verboten.

"Ich wusste, das ist nicht erlaubt. Aber in diesem Moment musste ich meinen Vater sehen", sagt Herr M.

651. Diese Zahl ging in den vergangenen Tagen oft durch die Medien. 651 Aberkennungsverfahren hat das Innenministerium bei Asylberechtigten heuer von Jänner bis Mai eingeleitet. Das ist ein Plus von 171 Prozent. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Entweder wird das Heimatland wieder als sicher bewertet, der Asylberechtigte hat schwere Straftaten begangen – oder er ist in seine Heimat gereist.

"Die meisten Aberkennungsverfahren oder Reisebewegungen gibt es bei Personen mit Staatsangehörigkeit Syrien, Afghanistan, Russische Föderation, Irak und Iran", heißt es aus dem Innenministerium dazu. Eine Aufschlüsselung zu den Gründen für die Aberkennungsverfahren gibt es nicht.

Herr M. ist schon seit 2008 in Österreich, arbeitet hier in der Flüchtlingsbetreuung, hat bereits einige Rollen als Schauspieler bekommen. Und wartet nun auf eine Entscheidung des Ministeriums, die sein Leben verändern kann. Denn die Heimatreise wurde bekannt, ein entsprechendes Verfahren eingeleitet.

Versteckspiel

Herr M. kam gerade noch rechtzeitig nach Nordafghanistan. Die Familie hatte den kranken Vater eigens in ein Spital, zwei Autostunden von der Heimatstadt entfernt, bringen lassen. Dort kannte Herrn M. niemand. "Ich konnte zwar nicht mehr mit meinem Vater sprechen, aber ich habe ihn noch gesehen", sagt der 47-Jährige. Zur Beerdigung konnte er allerdings nicht gehen. "Das wäre zu gefährlich gewesen."

Herr M. war noch ein Jugendlicher, als ihn Mudschaheddin aus einem Bus entführten und gefangen nahmen. "Sie haben mich und meinen Bruder in die Berge gebracht. Wir hatten keine Kleidung, in den Bergen hatte es Minusgrade. Mein Bruder ist erfroren", erzählt er. Nach zwei Monaten kaufte ihn der Vater frei.

Er bekam ein Stipendium für eine russische Schauspielschule, lernte seine (orthodoxe) Frau kennen. Als das Visum ablief, lebte er im Untergrund. Schließlich ging er nach Usbekistan und lebte dort als Händler – doch auch hier hatte er keine Zukunft.

Er kehrte mit seiner Familie – er hatte einen Sohn bekommen – nach Afghanistan zurück. Doch hier wurde die Familie bedroht. "Sie meinten, wir sollen das Land wieder verlassen – sonst werden sie uns steinigen."

2008 schließlich stieg er in der Ukraine mit seinem Sohn in einen Lkw. "Ich habe mich in einem Karton versteckt, mein Sohn war im Karton neben mir", erinnert er sich. Irgendwann kam er in Österreich an. Auch seine Frau konnte Jahre später nachkommen.

Doch die Zukunft von Herrn M. ist unklar. Eine Entscheidung der Behörden gibt es noch nicht.

Kommentare