6,5 Jahre Haft oder 5,4 Millionen Euro

6,5 Jahre Haft oder 5,4 Millionen Euro
Eine Krankenschwester wurde verurteilt, sich das Erbe einer Todkranken ergaunert zu haben. Ein Fehlurteil?

Sechseinhalb Jahre Gefängnis oder ein mehr als sorgenfreies Leben mit 5,4 Millionen Euro: Nicht mehr und nicht weniger steht für die Krankenschwester Natalie Morgenbesser auf dem Spiel. In der Hand hat das zunächst der Wiener Richter Harald Craigher. Er musste am Mittwoch bei einer Verhandlung im Grauen Haus prüfen, ob eine Kollegin ein Fehlurteil gefällt und die aus Turkmenistan stammende 37-Jährige fälschlich als betrügerische Erbschleicherin hinter Gitter geschickt hat.

Die Diplomkrankenschwester hatte eine 80-jährige krebskranke Witwe bis zu deren Tod quasi rund um die Uhr gepflegt. Mit Mann und kleinem Sohn war Morgenbesser sogar in das Haus der alten Frau B. in der Kärntner Straße eingezogen. Die kinderlose Millionärin revanchierte sich, wollte die lieb gewonnene Pflegerin adoptieren, wozu es aber nicht mehr kam, und setzte sie als Universalerbin in ihr Testament ein. Drei Zeugen bestätigten den Letzten Willen von Frau B. mit ihrer Unterschrift.

Deren in der Schweiz lebende Nichte und die zwei Kinder eines Anwalts, der Frau B. in den letzten Jahren zur Seite gestanden war, hatten das Nachsehen.

Die Retourkutsche kam umgehend: Morgenbesser wurde als Testamentsfälscherin angezeigt, ein Kriminaltechniker attestierte als Gerichtssachverständiger für das Schriftwesen, dass die Unterschrift von Frau B. nicht echt ist.

Diktiert

6,5 Jahre Haft oder 5,4 Millionen Euro

Die Krankenschwester erklärte im Prozess, zwischen ihr und Frau B. habe sich eine innige Beziehung entwickelt. Und weil sich die Witwe schon sehr schwach gefühlt habe, habe sie ihr das Testament diktiert und selbst unterschrieben.

Man glaubte ihr nicht, verurteilte die 37-Jährige rechtskräftig zu sechseinhalb Jahren Haft. Die Testamentszeugen bekamen je 18 Monate Haft, Morgenbessers Lebensgefährte, der die Zeugen organisiert hatte, sollte für drei Jahre ins Gefängnis.

Nach einem Fernseh-Auftritt in der ORF-Sendung "Ein Fall für Resetarits" gelang der Krankenschwester mithilfe des Strafverteidigers Hans-Christian Leiningen-Westerburg (der pensionierte Staatsanwalt machte sich als "Lucona"-Richter einen Namen) etwas, das höchst selten gelingt: Die Justiz erklärte sich bereit, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu prüfen. Es gab sogar eine Premiere: In einer (nicht öffentlichen) Verhandlung wurden erstmals Zeugen und der damalige Schriftgutachter noch einmal vernommen, ob man ihnen (noch) glauben kann (die Strafprozessreform macht das möglich) . Drei andere Sachverständige hatten das Gutachten nämlich inzwischen zerpflückt und festgestellt, dass nichts gegen die Echtheit der Unterschrift von Frau B. spricht.

Ein Zeuge zog auch noch seine belastende Aussage zurück: Er sei damals so verwirrt gewesen und habe sich geirrt, verkündete er jetzt vor dem Verhandlungssaal. Es ging dabei um den Wunsch von Frau B., ihre Pflegerin zu adoptieren, was nun glaubwürdig klingt.

Die Entscheidung, ob Morgenbesser einen Super-Jackpot geknackt hat oder ins Gefängnis gehen muss, wird Richter Craigher schriftlich bekannt geben. Beschließt er einen neuen Prozess, hat die Krankenschwester allerbeste Chancen.

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