2,5 Jahre Haft statt 72 Jungfrauen

Der mutmaßliche Dschihadist Oliver N.
Nicht die Reue, sondern eine lebensgefährliche Verletzung trieb Oliver N. nach Österreich zurück.

g

von Michaela Reibenwein

h

Selbstmord-Attentäter, Kämpfer oder Chirurg: Die Auwahlmöglichkeiten beim IS sind beschränkt. Der Wiener Oliver N., damals 16 Jahre alt, meldete sich in Syrien zum Kämpfen. „Und wie viele haben sich als Selbstmord-Attentäter gemeldet? Nur um zu wissen, was da auf uns zukommt …“, fragt Norbert Gerstberger, beisitzender Richter beim Prozess im Straflandesgericht Wien. „300 bis 400 Leute waren bei der Selektion“, schildert Oliver N. „60 bis 70 haben sich als Selbstmord-Attentäter zur Verfügung gestellt.“ Darunter ein Mexikaner. „Er wollte zu seinen 72 Jungfrauen (die warten angeblich auf Märtyrer im Paradies, Anm.).“

Oliver N. hat seinen Ausflug in den Krieg überlebt – schwer verletzt nach einem Bombenangriff. Auf den Heimkehrer warten keine Jungfrauen, sondern eine Haftstrafe. Zweieinhalb Jahre Haft (fünf waren möglich) verhängte das Schöffengericht über den IS-Heimkehrer; nicht rechtskräftig.

Unbewaffnet?

2,5 Jahre Haft statt 72 Jungfrauen
epa04817874 A picture taken from the Turkish side of the border shows smoke rising after renewed attack by Islamic State in Kobane, Syria, 25 June 2015. According to media reports, Islamic State jihadists once again advanced into the town of Kobane in northern Syria after being driven from the area by Kurdish forces at the end of January. There was heavy fighting in several districts between Kurdish troops and the extremists during the night. Sanliurfa governorate said that 41 victims of the fighting have been brought to hospital in the Turkish city of Suruc, and one of them has died. EPA/STR

Bis zuletzt bestritt der Wiener, jemals in Kriegshandlungen verwickelt gewesen zu sein. Kontakt mit Waffen habe er ebenfalls kaum gehabt. „Nur als Rettungsfahrer“, erzählt er. Und als Aufpasser vor einem Haus des Islamischen Staates in Kobane. Auch an einem Ausbildungslager will er nie teilgenommen haben.

Gegen all diese Behauptungen sprechen Nachrichten, Bilder und Videos (mit bis zu 35.000 Klicks) des Jugendlichen. Mit schweren Feuerwaffen und riesigen Messern posiert er, ruft zum Abschlachten der Ungläubigen auf. „Je größer das Messer, desto kleiner der Selbstwert“, analysiert Jugendpsychiaterin Gabriele Wörgötter.

Dass Oliver einen schweren Start hatte, ist unbestritten: Seine Eltern ließen sich scheiden, als er vier Jahre alt war. Ab dem sechsten Lebensjahr wurde er durch Krisenzentren und Kinderheime gereicht. „Er hat schon früh eine Außenseiterrolle eingenommen“, sagt Wörgötter. „Werte wie Respekt, Gewaltlosigkeit oder Rücksicht wurden ihm nicht vermittelt.“

2,5 Jahre Haft statt 72 Jungfrauen
ABD0034_20150713 - WIEN - ÖSTERREICH: Journalisten vor dem Großen Schwurgerichtssaal vor Beginn des Prozesses gegen einen 17-jährigen Angeklagten der in Syrien für die der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) gekämpft haben soll, vor Prozessbeginn am Landesgericht in Wien am Montag, 13. Juli 2015. - FOTO: APA/HERBERT PFARRHOFER

Die Suche nach Anerkennung trieb ihn zu radikalen Islamisten. „Er hat unkritisch und rasch die Werte übernommen.“ Erst die eigene Verletzung habe ihn zur Umkehr bewegt. „Den Schmerz anderer kann er nicht wahrnehmen“, sagt die Psychologin. Ob Oliver tatsächlich geläutert ist, wie er laufend betont? „Das ist in einem halben Jahr absolut unmöglich.“ Auf den heute 17-Jährigen kommt eine lange Therapie zu. „Kann man Fanatismus therapieren?“, fragt Gerstberger. „Das ist keine psychische Erkrankung. Nur die Folge davon“, betont die Gutachterin.

Angeber

Oliver ist ein heranwachsender Jüngling, der angibt und übertreibt und sich als jemand darstellen will, der er nicht ist“, relativiert sein Verteidiger Wolfgang Blaschitz. Und: „Burka ist der neue Punk.“ So locker sieht das das Schöffengericht nicht. „Es muss ein Signal nach außen geben, was passiert, wenn man sich auf so etwas einlässt“, stellt Richterin Alexandra Skrdla bei der Urteilsbegründung fest.

Weiterführende Links

Vergleichsstudien von Urteilen und Rückfallsquoten zeigen: Strafen schrecken kaum ab. Schon gar nicht Täter, die zuvor einer Gehirnwäsche unterzogen wurden.

Hohe Strafen mögen als Signal dienen, aber sie machen aus solchen Leuten Märtyrer, die von IS-Ideologen als Propagandafutter verwendet werden. Es kommt weniger auf die Höhe als mehr darauf an, was im Gefängnis mit den jungen Leuten passiert.

Bei dem, was man über unseren Strafvollzug hört, lässt das nichts Gutes erahnen: Jugendliche sind mit erwachsenen Häftlingen zusammengesperrt, geisteskranke mit normalen, weibliche Gefangene putzen das Männerklo, es fehlt an Psychiatern und Sozialpädagogen.

So lange sich das nicht ändert, sind (hohe) Strafen bloß ein automatischer „Hau drauf“-Reflex ohne Anspruch auf Wirkung.

Kommentare