"Es kostet nicht die Welt, den Planeten zu retten"

Laut Weltklimarat lässt sich die Erderwärmung bremsen: Klimafreundliche Energien fördern.

Glaubt ma dem Weltklimarat, so gibt es Hoffnung: Trotz bedrohlich steigender Treibhausgas-Emissionen sieht der Weltklimarat (IPCC) noch immer eine Chance, die Erderwärmung in den Griff zu bekommen. In ihrem jüngsten Bericht, der am Sonntag in Berlin vorgestellt wurde, empfehlen Wissenschafter eine schnelle und deutliche Verschiebung von Investitionen: weg von Förderung und Verbrennung von Kohle, Gas und Öl - hin zu klimafreundlichen Energien. Eine Kernbotschaft lautet, dass dieser Wechsel nicht so teuer ist, wie viele Menschen vermuten. Nach IPCC-Berechnungen schlägt er bei einem Wirtschaftswachstum von 1,6 bis 3 Prozent im Jahr mit einem Minus von rund 0,06 Prozentpunkten zu Buche.

Ottmar Edenhofer, Co-Vorsitzender des aktuellen IPCC-Berichts:

"Es kostet nicht die Welt, den Planeten zu retten."

Das neue wirtschaftliche Argument sorgte auch bei vielen Umweltschutz-Organisationen für Enthusiasmus. Denn es könne all jene Politiker überzeugen, die durch mehr Klimaschutz eine Schwächung der Wirtschaft ihres Landes befürchteten.

"Das ist die Schwelle zum Durchbruch", sagte Karsten Smid für Greenpeace. "Wenn man das ernst nimmt, wird es zu einem wirtschaftlichen Umbruch führen." Die Technik für erneuerbare Energien sei heute ausgereift, verfügbar und erschwinglich. Als weiteren Vorteil gebe es weniger Luftverschmutzung, was etwa für China bereits jetzt eine große Rolle spiele. Zudem seien die Energien sicherer für Mensch und Natur als beispielsweise Atomkraft.

Bisher ist es ein politisches Ziel, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu halten - gerechnet im Vergleich zur Temperatur vor der Industrialisierung. In dieser Marge gilt der Klimawandel mit Gletscherschmelze, steigendem Meeresspiegel und Wetterextremen zwar als beherrschbar. Doch die Folgekosten reichen bis hin zu neuen Herausforderungen wie Klimaflüchtlingen.

Der jüngste IPCC-Bericht zeige, dass Klimaschutz möglich und finanzierbar sei, betont Samantha Smith von der Umweltstiftung WWF. Wer jetzt sage, das sei zu schwierig oder zu teuer, liege falsch, ergänzte sie. Für Investoren heiße das: "Nimm dein Geld raus aus den fossilen Energieträgern". Kohle und Gas unter der Erde seien nichts mehr wert, wenn sie politisch nicht gewollt seien - und dazu als ökologischer Wahnsinn gelten würden.

Skeptischer sieht Forscher Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik die Wirkung des aktuellen Berichts - auch mit Blick auf die große Weltklimakonferenz 2015 in Paris. "Politisch hat das nicht viel Überzeugungskraft", urteilt der Energiepolitik-Experte. Der Report des ehemaligen Weltbank-Chefökonomen Nicholas Stern, der Klimaschutz bereits 2006 als wirtschaftlich sinnvoll einstufte, habe in der politischen Praxis nicht viel verändert. Der neue Bericht wiederhole die "Fünf-vor-zwölf-Rhetorik" früherer IPCC-Reporte, kritisierte Geden. Diese Botschaft nutze sich für Politiker ab.

Vom Zwei-Grad-Ziel ist die Welt jedoch weit entfernt. Zwischen 2000 und 2010 gab es laut IPCC den stärksten Emissionsanstieg der vergangenen 30 Jahre - trotz vieler Klimaschutz-Bemühungen. Weltweit reichen die Bemühungen einfach nicht. Machen die Staaten weiter wie bisher, kommt der IPCC auf eine Erwärmung von voraussichtlich 3,7 bis 4,8 Grad bis zum Jahr 2100. Um dieses Szenario zu verhindern, müsse die Welt bis Mitte des Jahrhunderts die Treibhausgas-Emissionen um 40 bis 70 Prozent drosseln und bis zum Jahr 2100 nahezu auf Null bringen - so die Empfehlung an die Politik.

Rupprechter will auf erneuerbare Energie setzen

Umweltminister Andrä Rupprechter von der ÖVP sieht den Bericht des Weltklimarats als Auftrag für rasche und effektive Klimaschutzmaßnahmen. "Die EU muss in den Verhandlungen für eine globale Klimaschutz-Strategie eine Vorreiterrolle einnehmen", forderte er in einer Aussendung. Die Zeit bis zur Weltklimakonferenz 2015 in Paris dürfe nicht ungenutzt verstreichen. Wichtig ist für den Umweltminister, dass es bei den gesetzten Maßnahmen nicht zu einer Renaissance der Atomkraft kommt: "Die Trendwende ist mit dem Einsatz erneuerbare Energieträger und mehr Energieeffizienz zu schaffen. Die Atomkraft ist eine Technologie von gestern", hielt er fest.

Ein "mutiges Energieeffizienzgesetz" bis Mitte des Jahres forderten die Grünen. Bis Juni müsse die seit Dezember 2012 in Kraft befindliche EU-Energieeffizienzrichtlinie mit dem darin beinhalteten Energiesparziel von 1,5 Prozent pro Jahr in sämtlichen Mitgliedstaaten umgesetzt sein, betonte Parteichefin Eva Glawischnig ebenfalls in einer Aussendung. ÖVP-Energieminister Reinhold Mitterlehner habe angekündigt, die im vergangenen Jahr gescheiterten Verhandlungen dazu wieder aufzunehmen. "Nur wenn Mitterlehner den Mut hat, mit uns ein ambitioniertes Gesetz zu verhandeln, kann es am Ende auch eine Zustimmung der Grünen geben", so Glawischnig.

US-Außenminister Kerry: "Weckruf" für Unternehmen

US-Außenminister John Kerry sieht im neuen Bericht des Weltklimarats IPCC einen "Weckruf" für Unternehmen vor allem im Energiesektor. Es habe bereits "Warnsignal auf Warnsignal" gegeben, erklärte Kerry am Sonntag in Washington. Jetzt gehe es um eine "globale wirtschaftliche Gelegenheit", die ergriffen werden sollte.

Der Weltklimarat IPCC

Angesichts der Erderwärmung gründeten zwei UN-Organisationen im Jahr 1988 den Weltklimarat IPCC, der inzwischen fast 200 Mitgliedsländer hat. Er soll aufzeigen, wie sich der Klimawandel auf Natur und Mensch auswirkt, welche Anpassungsstrategien es gibt und wie er gebremst werden kann. Das Gremium mit Sitz in Genf forscht dabei nicht selbst, sondern sammelt wissenschaftliche Daten und wertet sie aus. Bisher hat es 1990, 1995, 2001 und 2007 umfassende Berichte veröffentlicht. Am 5. Report, dessen drei Teile 2013 und 2014 veröffentlicht wurden, waren insgesamt über 830 ehrenamtlich arbeitende Hauptautoren beteiligt.

Für seinen Kampf gegen den Klimawandel erhielt der IPCC 2007 den Friedensnobelpreis. IPCC steht für Intergovernmental Panel on Climate Change (Zwischenstaatlicher Ausschuss zum Klimawandel). Ins Leben gerufen hatten ihn das UN-Umweltprogramm (UNEP) und die Weltwetterorganisation (WMO). Der IPCC ist so erfolgreich, dass nach seinem Vorbild 2012 der Weltrat für Biologische Vielfalt IPBES initiiert wurde.

- Trotz vieler Klimaschutzaktionen steigt der Treibhausgasausstoß weltweit weiter an, und zwar von jährlich im Schnitt 1,3 Prozent in den Jahren 1970 bis 2000 auf jährlich 2,2 Prozent von 2000 bis 2010.

- Die Erderwärmung kann auf zwei Grad begrenzt werden, wenn wir deutlich mehr für den Klimaschutz tun. Insbesondere muss die Energieproduktion geändert werden. Das hätte auch direkte Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen und die Ökosysteme.

- Ohne zusätzlichen Klimaschutz wird sich die Luft bis 2100 um 3,7 bis 4,8 Grad im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung erwärmen. In Extremfällen können es 2,5 bis 7,8 Grad sein.

- Der Kohlendioxid-Ausstoß trug 2010 zu rund 76 Prozent zum menschengemachten Treibhauseffekt bei. Methan war für etwa 16 Prozent verantwortlich, Stickstoffdioxid für gut sechs Prozent und spezielle fluorhaltige Gase für zwei Prozent.

- Der rechtzeitige Wechsel auf alternative Energien kostet wenig und schlägt bei einem Wirtschaftswachstum von 1,6 bis 3 Prozent pro Jahr mit einem Minus von jährlich rund 0,06 Prozentpunkten zu Buche.

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