Inderinnen sind stets in Lebensgefahr

Women hold placards as they march during a rally organized by Delhi Chief Minister Sheila Dikshit (unseen) protesting for justice and security for women, in New Delhi January 2, 2013. The ashes of the Indian student who died after being gang-raped were scattered in the Ganges river on Tuesday as reports of more attacks stoked a growing national debate on violence against women. The death of the 23-year-old woman, who has not been named, prompted street protests across India, international outrage and promises from the government of tougher punishments for offenders. REUTERS/Adnan Abidi (INDIA - Tags: CRIME LAW CIVIL UNREST POLITICS TPX IMAGES OF THE DAY)
Vergewaltigung, Mord und Abtreibung: Indien ist für Frauen das viertgefährlichste Land der Welt.

Was ist das für ein Land, in dem Gruppenvergewaltigungen auf der Tagesordnung stehen? Was ist das für eine Gesellschaft, in der Polizei und Militärs selbst den Mord an Frauen durch Männergewalt vertuschen, bis der Aufschrei der Empörung nicht mehr zu ignorieren ist?

Frauenrechtlerin Kavita Krishnan klagte bei Protesten nach dem Tod einer vergewaltigten 23-Jährigen in Neu Delhi an, dass Frauen nirgendwo im Milliardenstaat gleich viel wert wie Männer sind. Das zeige sich auch bei der Strafverfolgung: Wenn sich eine Frau einmal überwinde, nach einer Vergewaltigung zur Polizei zu gehen, sei diese oft nicht gewillt, ihre Anzeige aufzunehmen. Und wenn doch, verschleppten die Gerichte die Fälle oft jahrelang, 100.000 Akten sollen verstauben. Nur in einem von vier Fällen kommt es zu einer Verurteilung.

Die jüngsten Ereignisse scheinen die Gesellschaft zu verändern. Einige Frauen reden nun öffentlich über Massenvergewaltigungen durch Soldaten. Sie erzählen, wie sie nach einer Schändung zur Polizei gingen und dort noch einmal vergewaltigt wurden. Und sie berichten von Zwangsehen mit ihren Vergewaltigern, um die „Ehre“ der Familie wiederherzustellen. In einer Talkshow fragte die Moderatorin ins Publikum, wer in einem öffentlichen Verkehrsmittel schon begrapscht worden sei. Alle weiblichen Hände gingen nach oben. Wer protestierte? Nur eine. Das dürfte sich jetzt ändern.

In Neu Delhi, wo die meisten sexuellen Übergriffe stattfinden, wird nach Polizeidaten alle 18 Minuten eine Frau vergewaltigt. In ganz Indien stieg die Zahl der Vergewaltigungen von 2007 auf 2011 um fast 17 Prozent.

Fehlende Frauen

Indien ist für Frauen ein lebensgefährlicher Staat, sie sind nichts wert – und das von Anfang an. Weibliche Föten werden abgetrieben, kleine Mädchen aus Angst vor der hohen Mitgift getötet: Dadurch „fehlen“ Indien 50 Millionen Mädchen und Frauen, wie es die Thomson Reuters Foundation in einer Studie 2012 formulierte. Den Männern fehlt es an Partnerinnen. Auf 1000 Männer im Land kommen derzeit nur 940 Frauen. In Neu Delhi sind es sogar nur 866 Frauen.

Mitgift als Mordgrund

Fast 45 Prozent aller Mädchen werden der Reuters-Studie zufolge im Kindesalter verheiratet, weil die Mitgift dadurch geringer ist. Dennoch laufen sie Gefahr, nach Zahlung der Mitgift ums Leben zu kommen – etwa bei einem „Unfall“ mit siedendem Öl am Herd. Der Reuters-Studie zufolge sind zudem 100 Millionen Inderinnen Opfer skrupelloser Menschenhändler. Für Frauen gibt es nur drei Länder, die noch gefährlicher sind: Afghanistan, der Kongo und Pakistan.

Die Vergewaltiger der 23-jährigen Studentin in Neu Delhi haben nach der brutalen Tat in einem Bus offenbar versucht, ihr Opfer zu überfahren. Medien berichteten unter Berufung auf den tausendseitigen Polizeibericht, dass der Begleiter der Frau sie gerade noch wegziehen konnte, als er sah, wie der Bus wendete und auf die beiden zukam. Der junge Mann war mit seiner Freundin nach der Gruppenvergewaltigung aus dem Bus geworfen worden. Die junge Frau erlag in einem Krankenhaus in Singapur ihren schweren Verletzungen.

Die Täter – fünf erwachsene Männer und ein Jugendlicher – müssen sich bereits ab heute, Donnerstag, wegen Mordes und Vergewaltigung vor einem Schnellgericht verantworten. Alle in dem Bezirk Saket zugelassenen Anwälte weigerten sich, die mutmaßlichen Täter zu verteidigen. Die Regierung muss möglicherweise Pflichtverteidiger bestimmen. Den Männern droht die Todesstrafe durch Erhängen.

In zahlreichen indischen Städten wurde erneut gegen sexuelle Gewalt demonstriert. Und immer mehr Frauen beantragen Waffenscheine: Seit 18. Dezember – zwei Tage nach der Massenvergewaltigung – haben bereits 1200 Frauen aus Neu Delhi um eine Lizenz angesucht. Mehrere Hundert Frauen kamen persönlich auf die Polizeiwachen, um einen Waffenschein zu beantragen.

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