Tomatina: Ein ganzes Dorf sah rot

Feierwütige aus aller Welt kamen am Mittwoch im spanischen Bunol zum "Paradeiserkrieg" zusammen.

Einmal im Jahr sieht der kleine ostspanische Ort Bunol rot, am Mittwoch war es wieder so weit: Etwa 22.000 Besucher - Einwohner und Touristen - stürzten sich in "La Tomatina", ein verrücktes Spektakel, bei dem sich alle mit Paradeisern bewerfen und in der Sauce wälzen.

Während der rund eine Stunde währenden Schlacht verwandelten sich dieses Mal 160 Tonnen überreifer Paradeiser erst in Wurfgeschoße und dann in Ketchup.

Tomatina: Ein ganzes Dorf sah rot
Revellers battle with tomato pulp during the annual 'Tomatina' (tomato fight) festival in Bunol near Valencia, Spain, August 31, 2016. REUTERS/Heino Kalis
Das Fest soll angeblich im Jahr 1945 aus einer Schlägerei unter jungen Leuten auf einem Markt entstanden sein. Die während der Franco-Diktatur verbotene "Tomatina" wird heute als Fest von nationalem Interesse eingestuft. Und die Behörden des 9.000-Einwohner-Orts in der Nähe von Valencia werden als moderne Alchemisten bewundert: Denn sie wissen um das Geheimnis, wie sich Paradeissauce in pures Geld verwandeln lässt.
2002 ließen sie die "Tomatina" als eigene Marke registrieren. Seitdem verdienen sie jedes Mal, wenn die Schlacht in Filmen oder in der Werbung auftaucht - bei jedem Dreh kann der Ort mit 300.000 Euro an Einkünften rechnen für die Rechte, die Unterkunft der Teams und ihr Essen, wie aus der offiziellen "Tomatina"-Website hervorgeht. Dazu kommen die vor drei Jahren eingeführten Eintrittsgelder für die Teilnahme an dem kindischen Vergnügen.
Tomatina: Ein ganzes Dorf sah rot
Revellers covered in tomato pulp participate in the annual "tomatina" festivities in the village of Bunol, near Valencia on August 31, 2016. Today at the annual Tomatina fiesta 160 tonnes of ripe tomatoes were offloaded from trucks into a crowd of 22,000 half-naked revellers who packed the streets of Bunol for an hour-long battle. / AFP PHOTO / BIEL ALINO
Wie ganz Spanien war auch Bunol von der Finanz- und Immobilienkrise schwer gebeutelt, doch dank der Paradeiser läuft es in dem kleinen Ort inzwischen wieder wie geschmiert. Kein Wunder, dass auch andere von dem lukrativen Spaß profitieren wollen: Kopien der "Tomatina" gab und gibt es in Kolumbien, Chile, Kuba, Indien, Südkorea und den USA.
Tomatina: Ein ganzes Dorf sah rot
A resident looks at a street pelted with tomato pulp during the annual "tomatina" festivities in the village of Bunol, near Valencia on August 31, 2016. Today at the annual Tomatina fiesta 160 tonnes of ripe tomatoes were offloaded from trucks into a crowd of 22,000 half-naked revellers who packed the streets of Bunol for an hour-long battle. / AFP PHOTO / BIEL ALINO
Das Rathaus von Bunol steht allen Nachahmern mit Rat und Tat zu Seite. Kostenlos, denn: "Am Ende des Tages will jeder das Original miterleben, das heißt unseres, und somit haben wir nur Vorteile davon", sagt Bürgermeister Rafael Perez.
In der Hoffnung auf ähnlichen finanziellen Segen sind inzwischen auch andere spanische Gemeinden auf die Idee gekommen, ihre Feste als Marke registrieren zu lassen.
Tomatina: Ein ganzes Dorf sah rot
A reveller is pelted with tomato pulp during the annual "tomatina" festivities in the village of Bunol, near Valencia on August 31, 2016. Today at the annual Tomatina fiesta 160 tonnes of ripe tomatoes were offloaded from trucks into a crowd of 22,000 half-naked revellers who packed the streets of Bunol for an hour-long battle. / AFP PHOTO / BIEL ALINO
Zu ihnen gehört der "Boloencierro" von Mataelpino, eine alternative Form der Stierhatz, bei der die Wagemutigen statt vor einem Stier vor einer 200 Kilogramm schweren Styroporkugel die abschüssigen Gassen hinunterlaufen.
Die Idee kam dem 1.700 Einwohner zählenden Dorf vor sechs Jahren, als es mitten in der Krise kein Geld mehr für seinen "Encierro", die traditionelle Stierhatz, hatte. Bald wollen sechs weitere Orte Mataelpinos Beispiel folgen.
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Revellers battle with tomato pulp during the annual 'Tomatina' (tomato fight) festival in Bunol near Valencia, Spain, August 31, 2016. REUTERS/Heino Kalis
Seinerseits hofft das Dorf Haro in der nordspanischen Region Rioja, das Prädikat "Fest von nationalem Interesse" für seine "Weinschlacht" zu erhalten. Dabei begießen sich tausende Einwohner und Touristen jedes Jahr im Juni mit Hilfe von Wasserpistolen, Kübeln und Weinschläuchen mit rund 75.000 Litern des Rebensafts.
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Revellers battle with tomato pulp during the annual 'Tomatina' (tomato fight) festival in Bunol near Valencia, Spain, August 31, 2016. REUTERS/Heino Kalis

Kaum ein anderes Volk ist im Sommer so in Feierlaune wie die Spanier. Wer glaubt, der Festival-Spaß beschränke sich auf Paella und die Stierhatz von Pamplona, der irrt. Tomaten-und Schlagobersschlachten, eine Sarg-Prozession und ein springender Teufel mischen auch mit.

Im spanischen Örtchen Bunol sieht es aus, als sei eine Ketchup-Flasche explodiert. Zehntausende Gemüsefreunde haben sich zuvor eine Stunde lang tonnenweise überreife Paradeiser um die Ohren geworfen. "La Tomatina" heißt das Spektakel, das jedes Jahr am letzten Mittwoch des Augusts in der Gemeinde nahe Valencia abgehalten wird. Hinter dem niedlichen Namen verbirgt sich eine handfeste Lebensmittelschlacht. Die Organisatoren raten deshalb, nicht unvorbereitet in das matschige Treiben einzugreifen: "Zieht euch was Altes an, das ihr sowieso wegwerfen wolltet", warnen sie auf der Webseite. Festes Schuhwerk, eine Taucherbrille und eine wasserfeste Kamera seien ebenfalls zu empfehlen.

An die Ursprünge der Tomatina erinnert sich niemand mehr so genau. Vor etwa 70 Jahren wurde die Tradition geboren, so viel scheint sicher. Eine Version besagt, dass damals eine Gruppe Jugendlicher einen Straßenmusikanten geärgert haben soll, der daraufhin zu Paradeisern griff, um sich zu wehren - und so die erste Schlacht entfachte. Andere meinen, die Tradition sei bei einem Festumzug geboren, bei dem Jugendliche die als Riesen verkleideten Teilnehmer mit Tomaten bewarfen, weil sie von dem Spektakel ausgeschlossen waren. Jedenfalls fand der Ort so viel Gefallen an dem matschigen Spaß, dass er bald zum Brauchtum aufgewertet wurde.
Unter der strengen Franco-Diktatur wurde die Tomatina Mitte der 1950er-Jahre zeitweise verboten, erinnert sich Bürgermeister Rafa Perez. Aber sie fand wieder ins Leben zurück und wurde 2002 zu einem "Fest von nationalem Interesse" erklärt. "Als Bürger bin ich sehr stolz auf diese Fiesta", meint Perez.
Tomatina: Ein ganzes Dorf sah rot
Revellers battle with tomato pulp during the annual 'Tomatina' (tomato fight) festival in Bunol near Valencia, Spain, August 31, 2016. REUTERS/Heino Kalis
Am Mittwoch kamen Feierwütige aus aller Welt, um dem Paradeiserkrieg beizuwohnen - "das nahm zeitweise so sehr Überhand, dass die Teilnehmerzahl 2013 auf 22.000 begrenzt wurde." 60 Prozent seien Ausländer. Dabei ist nach genau 60 Minuten schon wieder Schluss mit lustig.

In Spanien gibt es Tausende kuriose Festivals, die sich bei der Bevölkerung ebenso wie bei Touristen großer Beliebtheit erfreuen. Manche sprechen von 25.000 "Fiestas" - einige weltbekannt, wie etwa die Stierhatz von Pamplona, bei der im Juli aufgescheuchte Bullen durch die von Schaulustigen bevölkerten Gassen der baskischen Gemeinde getrieben werden. Andere sind weniger berühmt, aber dennoch höchst skurril - und auch ein wenig gruselig.

Tomatina: Ein ganzes Dorf sah rot
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Jedes Jahr am 29. Juli deutet im Örtchen As Neves in der galicischen Provinz Pontevedra alles auf eine Beerdigung hin. Aber der Schein trügt. Es ist derTag der Heiligen Martha von Bethanien, der Schwester von Lazarus, der laut Bibel wenige Tage nach seinem Tod von Jesus wieder zum Leben erweckt wurde. Auch in As Neves geht es um "Auferstandene", um Mitbürger, die sterbenskrank waren oder Nahtoderfahrungen hatten und wieder gesund geworden sind.

Die Genesenen legen sich aus Dankbarkeit mit gefalteten Händen in offene Särge, die dann von starken Männern durch das Dorf getragen werden. Im Durchschnitt hätten sich in den vergangenen Jahren vier oder fünf Mitbürger kurzzeitig in hölzerne Sarkophage gebettet, sagt eine Mitarbeiterin des Rathauses. "Es handelt sich um eine Art Opfer, das sie der Jungfrau darbringen." Die morbide Tradition locke auch viele Schaulustige an, erzählt sie stolz.

In Castrillo de Murcia bei Burgos geht es hingegen um Babys und um einen sprungwütigen Teufel. Am Sonntag nach Fronleichnam werden unter den Augen zahlreicher Neugieriger mehrere Neugeborene und Kleinkinder auf eine große Matratze gelegt. Dann kommt der gelb-rot gekleidete Beelzebub, der hier "El Colacho" heißt, nimmt Anlauf - und macht einen mächtigen Satz über die Kinder hinweg.

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ATTENTION EDITORS: SPANISH LAW REQUIRES THAT THE FACES OF MINORS ARE MASKED IN PUBLICATIONS WITHIN SPAIN A man dressed in a red and yellow costume representing the devil, known as El Colacho, jumps over babies placed on a mattress during traditional Corpus Christi celebrations in Castrillo de Murcia, near Burgos, northern Spain June 22, 2014. The northern Spanish town has for centuries chosen to protect its young from evil spirits with the unusual ritual in which a man dressed as the devil leaps over mattresses each holding four or five babies. REUTERS/Ricardo Ordonez (SPAIN - Tags: SOCIETY RELIGION)
Das sieht nicht ungefährlich aus, so manches Elternpaar mag bei dem Anblick schon ängstlich zusammengezuckt sein. Seit 1620 gibt es den seltsamen Brauch, der die Kinder vor Unheil und Krankheit schützen soll.
Andernorts geht es mehr um das leibliche Wohl und weniger um Religion und Aberglauben. In der berühmten WeinregionRioja bespritzen sich Leute mit Tausenden Litern "Vino tinto" (Rotwein), und erst Mitte August bewarfen und beschmierten sich amZurriola-Strand in San Sebastian Naschkatzen aus aller Welt mit 500 Litern Schlagobers.

Ekliger geht es in El Puig bei Valencia zu. "La batalla de ratas" heißt das tierische Volksfest - der "Rattenkrieg". Der Name ist Programm: Tatsächlich werden hier Ratten in Tongefäße gesteckt, erschlagen und durch die Luft geworfen. Obwohl die Behörden das Gemetzel an den Nagern schon länger verbieten wollen, lassen sich die Rattenfänger den Spaß nicht austreiben. Die Spanier und ihre Fiestas gehören eben zusammen wie Tortillas und Paradeiser. Außer bei der Tomatina. Da geht die Tomate solo.

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