So erlebte eine jüdische Familie in Wien den Sechstagekrieg und den Sieg Israels

So erlebte eine jüdische Familie in Wien den Sechstagekrieg und den Sieg Israels
Der Mitherausgeber des jüdischen Magazins NU, Martin Engelberg, öffnete sein Familien-Archiv.

Juni 1967: Eine veritable Schlacht fand auch im 8. Wiener Gemeindebezirk statt. Eine Polsterschlacht in unserer Wohnung nämlich. Unsere Eltern waren, wie jedes Jahr im Juni, in Italien auf Kur. Es kam, wie es kommen musste: Auch in Wien gab es einen ordentlichen Kollateralschaden. Der wunderschöne Kristallluster in unserem Wohnzimmer ging in Brüche. Mit größtem Bangen erwarteten wir den Tag der Rückkehr unserer Eltern. Ein fürchterliches väterliches Donnerwetter war gewiss. Doch dann kam alles ganz anders: Vater war in Jubelstimmung. Israel hatte den historischen Sieg im Sechstagekrieg errungen. Weg die Sorge um seine beiden in Israel lebenden Schwestern, die einzigen Überlebenden der einstmaligen Großfamilie.

Fanatismus in Kairo

Mit Bangen hatten meine Eltern in den Wochen vor Ausbruch des Krieges die Geschehnisse verfolgt. Hatten besorgt die Berichte über die fanatisierten Massen in den Straßen Kairos verfolgt, welche die Juden ins Meer werfen wollten. Nur zwanzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges schien ein nächster Holocaust bevorzustehen.Wie bekannt, kam alles ganz anders. Es wurde ein triumphaler Sieg des jungen israelischen Staates. Getilgt schien die Schmach des Holocaust. Zum ersten Mal seit biblischen Zeiten hatte das jüdische Volk einen militärischen Sieg errungen. Der kaputte Kristallluster war zu einem Detail der Geschichte verkommen, das zu erwähnen völlig lächerlich gewesen wäre.Tatsächlich hatte sich auch in unserer Familie mit dem Triumph des Sechstagekrieges vieles geändert. Mit größtem Stolz sprachen unsere Eltern mit ihren jüdischen und nichtjüdischen Freunden immer wieder aufs Neue über Israel. Über diese neue Generation von Juden, die "Sabres", die bereits in Israel geborenen Helden des Krieges. Ihre Gesichter entsprachen so gar nicht den Stereotypen über die Juden aus dem Schtetl, den Ghettos und Konzentrationslagern. Die Fotos zeigten verwegene Burschen und Mädchen mit Maschinenpistolen, braun gebrannt, die stolz und dennoch mit großer Ehrfurcht auf die soeben eroberte Klagemauer blickten. Auf die heiligste Stätte des Judentums in der Altstadt von Jerusalem. Jenes Jerusalem, das viele Generationen von Juden dreimal täglich in ihr Gebet eingeschlossen hatten und über das wir Juden nach 2000 Jahren endlich wieder die Souveränität erlangt hatten. Was für ein historischer Moment!Der große militärische Erfolg Israels gab der Generation unserer Eltern ein völlig neues Selbstbewusstsein im doch noch sehr antisemitisch geprägten Österreich der 1960er-Jahre. Man genoss auch die Bewunderung ehemaliger Wehrmachtssoldaten und erzählte sich so manchen Witz über die vermeintliche Verblüffung der Antisemiten. Am liebsten hatte mein Vater diesen: Der Chef eines Unternehmens, ein ehemaliger Nazi, kommt während des Sechstagekrieges jeden Tag ein Stück euphorischer ins Büro, schwärmt über die Verwegenheit und den Schneid der Israelis und doziert über deren militärisches Genie. Am sechsten Tag kommt er jedoch völlig niedergeschlagen zur Arbeit und geht wortlos in sein Zimmer. Seine Mitarbeiter gehen zu ihm und fragen ihn, was denn passiert sei, wo doch der Sieg der Israelis nun endgültig vollbracht sei. Woraufhin er nur knurrend erwidert: "Ich bin draufgekommen, dass das ja alles Juden sind."

Spenden für Israel

Die Solidarität und auch finanzielle Unterstützung Israels kannte keine Grenzen. Mein Vater begab sich, wie viele andere, persönlich in die israelische Botschaft, um dort einen größeren Geldbetrag zu spenden. Meine ältere Schwester flog mit einem der ersten Flugzeuge nach Israel, um dort gemeinsam mit vielen Freiwilligen aus aller Welt mitzuhelfen. Bald darauf emigrierte sie überhaupt nach Israel.In dieser Euphorie legte mein Vater auch ein eigenes Album an. Er betitelte es mit "Der Sechstagekrieg in Wort und Bild" und ordnete die gesammelten Zeitungsartikel und Fotos fein säuberlich ein. Auch italienische und englischsprachige Ausschnitte waren darunter, waren doch meine Eltern, wie erwähnt, gerade in Italien auf Kur. Oft und mit viel Stolz holte er dieses Album immer wieder hervor und ging es mit mir durch, und selbstverständlich hat es in meinem Familienarchiv einen Ehrenplatz.Die Reportage ist soeben im jüdischen Magazin NU erschienen.

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