75 Flüchtlinge im Mittelmeer vermisst

In Folge der Operation "Mare Nostrum" ist die italiensiche Marine im Mittelmeer aktiv.
Vor der Küste Siziliens wurde ein havariertes Schiff entdeckt, 27 Menschen konnten gerettet werden.

Im Mittelmeer werden nach UN-Angaben 75 Flüchtlinge vermisst, die nach Europa gelangen wollten. Die italienischen Marine habe am Dienstag vor der Küste Siziliens ein havariertes Schiff entdeckt, 27 Menschen konnten gerettet werden, teilte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR am Mittwoch mit. Die Überlebenden hätten berichtet, dass ursprünglich 75 weitere Menschen mit ihnen an Bord waren.

Die bisherigen Ermittlungsergebnisse deuteten darauf hin, dass "rund 70 Personen nach dem Unglück vermisst sind", erklärte der Staatsanwalt der sizilianischen Stadt Catania, Giovanni Salvi. "27 konnten gerettet werden." Wahrscheinliche Ursache für das Unglück, dass sich "in den vergangenen Tagen" ereignete, war demnach das schlechte Wetter sowie der Umstand, dass das Schlauchboot mit 101 Personen an Bord völlig überfüllt gewesen sei.

Die italienische Marine brachte allein am vergangenen Wochenende mehr als 5.000 Bootsflüchtlinge in Sicherheit, die über das Mittelmeer in Richtung Europa unterwegs waren. Damit stieg die Zahl der Flüchtlinge, die in diesem Jahr aus Nordafrika kommend in Italien eintrafen, auf mehr als 63.000. Nachdem im Jahr 2013 bei verschiedenen Flüchtlingsdramen mehr als 400 Menschen ertrunken waren, hat die italienische Marine die Operation "Mare Nostrum" gestartet, mit der ein rechtzeitiges Auffinden Schiffbrüchiger gewährleistet werden soll.

45 Leichen geborgen

Zuvor war an Bord eines ebenfalls vor Sizilien geretteten Flüchtlingsboots, das am Dienstagnachmittag auf Sizilien eingetroffen ist, die Leichen von 45 Migranten geborgen. Feuerwehrmannschaften mussten lang arbeiten, um die Leichen aus dem engen Lagerraum zu bergen, in dem die eingepferchten Flüchtlinge erdrückt, oder erstickt sind. "Es ist wie ein Massengrab, das an Auschwitz erinnert", berichtete der Polizeichef der sizilianischen Stadt Ragusa, Antonino Ciavola. Die Leichen werden jetzt in der sizilianischen Hafenstadt Pozzallo obduziert. Die Todesopfer - Männer aus Zentralafrika - wurden in einem Fischerboot entdeckt, auf dem sich 590 Migranten befanden, doppelt so viele wie es der Sicherheit entsprechen hätte. Das Fischerboot wurde von einem Schiff der italienischen Marine nach Pozzallo geschleppt. Die Überlebenden wurden befragt. Zwei mutmaßliche Schlepper wurden festgenommen.

Flüchtlingsproblematik wird EU-Thema

Mit dem Beginn der italienische EU-Ratspräsidentschaft will die Regierung Renzi inzwischen die heikle Flüchtlingsproblematik an die Spitze der europäischen Agenda setzen. EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström reist am Donnerstag nach Rom, wo sie mit der Regierung Renzi Gespräche zur Migrationsfrage führen wird. Das Kabinett will vor allem über die Zukunft des Einsatzes "Mare Nostrum" zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer beraten und von Brüssel eine Zusage für finanzielle Unterstützung der Mission aus EU-Kassen erhalten. Premier Matteo Renzi will auf den designierten EU-Kommissionspräsidenten Jean Claude Juncker für eine rasche Ernennung eines EU-Kommissars Druck machen, der sich mit dem Flüchtlingsproblem befassen soll.

"Italiens EU-Vorsitz ist eine einmalige Gelegenheit, um die EU zu überzeugen, dass sie sich konkret zur Bewältigung der Flüchtlingswelle engagieren muss", kommentierte der Senator der Regierungspartei NCD, Renato Schifani.

Rechtsparteien verschärfen indes den Druck auf die Regierung für ein sofortiges Ende des Einsatzes "Mare Nostrum", der ihrer Ansicht nach den Menschenhandel über das Mittelmeer nur noch fördern würde. "Wir haben zwar die Pflicht, Menschen in Seenot zu retten. Wir können jedoch diese verzweifelte Flucht aus Afrika nicht unterstützen, die kriminelle Schlepperbanden bereichert", betonte der Senator der oppositionellen Forza Italia Maurizio Gasparri.

Wie ein Star bewegte sich Matteo Renzi – begleitet von seiner Vertrauten, Außenminiterin Federica Mogherini, – zum Rednerpult. Dutzende Fernseh-Kameras umzingeln die beiden.

Der italienische Ministerpräsident sprach am Mittwoch im Europäischen Parlament. Eigentlich wollte er das EU-Vorsitzprogramm seines Landes vorstellen, aber dann wurde daraus eine flammende Rede über Europas Zukunft. Engagiert und mit geballten Fäusten plädierte er für ein "starkes Comeback" Europas in der Welt. Begleitet war seine Forderung aber auch von viel Selbstkritik und vielen Fragen an diese Europäischen Union. "Wenn heute Europa ein Selfie machte, welches Gesicht würde es zum Ausdruck bringen?" – "Es würde ein Gesicht zeigen, dass sehr müde geworden ist, das schon aufgegeben hat." Europa biete "ein Gesicht der Langweile", wiederholte der Sozialdemokrat.

Doch Resignation ist Renzis Sache nicht. Um die Finanzkrise endgültig zu bannen, verlangte er erneut, "eine größere Flexibilität" bei der Interpretation des Euro-Stabilitätspaktes. "Das dient ganz Europa und nicht nur Italien." Er wollte damit vom Verdacht ablenken, mit der Forderung nach Ende des rigiden Sparkurses wolle er nur etwas für das gigantisch verschuldete Italien tun. Nein, Renzi will tiefgreifende Reformen aller Länder. "Diese Aufgabe kann Europa nicht erledigen, das muss jeder für sich selbst tun, auch Italien."

Nach dem Streit mit Großbritannien, den David Cameron mit seiner Ablehnung von Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident initiierte, sandte Renzi versöhnliche Töne Richtung London aus. "Eine EU ohne das Vereinigte Königreich wäre weniger Europa."

Humanitäres Europa

Der Premier mag erst 39 Jahre alt sein, aber ihm schwebt mehr als anderen EU-Politikern eine Union vor, die mehr ist als ein Wirtschaftsverbund kalter Finanztechniker und Bürokraten. Er will ein sozialeres und menschlicheres Europa.

Zum wiederholten Mal wies der italienische Regierungschef darauf hin, dass die EU eine "gemeinsame Flüchtlingspolitik, einen Lastenausgleich und mehr Solidarität braucht". – In diesem Augenblick Mittwochnachmittag kam die Meldung, dass 75 Migranten nach einem Schiffsunglück vor Sizilien vermisst werden.

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