Roma in Europa: Leben mit Verachtung und Hass
Die meisten Behausungen der Roma-Siedlung am Rande der zentralgriechischen Kleinstadt Farsala gleichen rostenden Schiffscontainern. Draußen toben spielende Kinder, drinnen drängen sich die Erwachsenen mit besorgter Miene um die TV-Geräte. „Im Fernsehen nennen sie uns Roma, aber in der Stadt draußen beschimpfen sie uns als Zigeuner und spucken auf uns“, schildern sie einer Gruppe griechischer Reporter.
Die Roma von Farsala fürchten, dass sie nun noch öfter die Wut und Ablehnung ihrer Umgebung zu spüren bekommen werden, nachdem die kleine, blonde, mittlerweile weltberühmte Maria (siehe unten) aus ihrer Siedlung geholt worden war. „Sie sagen, wir stehlen, wir entführen sogar Kinder. Das ist eine riesige Beleidigung für uns“, schimpfte Farsalas Roma-Führer Babis Dimitriou in die laufenden Kameras. Alle Roma in Griechenland würden jetzt in Sippenhaft genommen, glaubt er, zumindest so lange nicht einwandfrei bewiesen sei, dass Maria nicht entführt wurde.
Roma als Kinderverschlepper – dieses uralte Vorurteil geht absurderweise auf ein Unrecht zurück, das einst den Roma zugefügt wurde. „Unter Kaiserin Maria Theresia wurden den Roma-Familien die Kinder weggenommen, um sie fern von daheim einzuschulen“, schildert Barbara Liegl, Politologin am Ludwig Boltzmann Institut. „Doch die Familien wollten das nicht. Und wenn sie dann kamen, um ihre Kinder wieder heimzuholen, hieß es: Versteckt die Kinder, die Zigeuner kommen.“
Ressentiments
Ein Spruch, der sich über Jahrhunderte hielt. Und nur eine von vielen Stereotypen („faul, heimatlos, kriminell“), die mit der bis zu zwölf Millionen Menschen zählenden und damit größten Minderheit Europas in Verbindung gebracht wird. Diskriminierung und Hass gegenüber den Sinti und Roma fanden ihren Höhepunkt, als die Nazis nahezu eine halbe Million von ihnen ermordeten.
Heute leben die Roma über ganz Europa verteilt, die Mehrheit von ihnen jedoch in Südosteuropa – unter meist elenden Bedingungen. Von Ostrava in Tschechien bis Belgrad, vom slowakischen Kosice bis Bukarest leben Millionen Familien in Slumsiedlungen am Rande der Städte. Müllberge türmen sich, Wasseranschlüsse sind die Ausnahme, bei Regen versinken die ungeteerten Straßen im Schlamm. In Kosice zogen die Stadtväter eine Mauer zur Abgrenzung gegen die Roma hoch. Andere Städte überlassen die Slums mitsamt ihren Bewohnern, ihren Papphütten und halb kaputten Wohnwägen einfach sich selbst. Wer hier lebt, stirbt zehn Jahre früher als der Durchschnittseuropäer. Und hat fast nie Arbeit.
Teufelskreis
Zwischen 80 und 90 Prozent der osteuropäischen Roma sind ohne Job. Wer zudem nie ein Schule besuchte, wie viele erwachsene Roma noch heute, hat kaum Chancen, sich je aus dem Teufelskreis von Armut und Not zu befreien.
In ihrer Not sehen viele im Auswandern ihre einzige Chance – wie die kosovarische Roma-Familie Dibrani. Zusammen mit ihren fünf Kindern ließen sich die Dibranis in Ostfrankreich nieder, schickten ihre Kinder in die Schule und lebten unauffällig – bis Frankreichs Polizei die 15-jährige Leonarda und ihre Familie gegen den Protest Tausender Schüler wieder in den Kosovo abschob.
Tausende Roma, viele von ihnen mittlerweile EU-Bürger, werden jährlich aus westlichen EU-Ländern in ihre alte Heimat zurückgebracht. Mit einer Rückkehrprämie ausgestattet gehen viele auch freiwillig – nur um kurz darauf wiederzukehren.
EU: Aktionsplan
Hier nicht willkommen und dort nicht erwünscht – dieses Schicksal von zwölf Millionen Menschen mitten in Europa hat die EU auf den Plan gerufen. Vor zwei Jahren verabschiedeten die EU-Mitgliedsstaaten für jedes Land einen eigenen nationalen Aktionsplan – doch tief greifende Verbesserungen sind noch lange nicht zu erwarten.
Ungarische Roma dürfen etwa seither nur noch mit staatlicher Hilfe rechnen, wenn sie die auch vom Staat vorgegebene Sozialarbeit leisten – haben damit aber noch lange keinen richtigen Job. Kroatische Roma-Kinder gehen zwar in die Schule, meist aber nur in reine Roma-Klassen – und erhalten dort wiederum nur qualitativ schlechte Ausbildung. Und ein osteuropäischer Regierungschef liebäugelte gar mit der Idee, Roma-Kinder aus ihren Familien zu holen und sie in Internaten zwangseinzuschulen. Erst dessen Roma-Beauftragter winkte ab: Geht gar nicht.
Nach der Veröffentlichungen von Bildern der in einer griechischen Roma-Siedlung gefundenen Maria, meldete sich ein Paar aus Kansas City (USA) bei den Behörden. Ihre Tochter Lisa wurde im Jahr 2011 ebendort entführt, die Suche blieb bis heute erfolglos. Nun schöpfen sie auf Grund der Ähnlichkeit mit Maria neue Hoffnung.
Ein beinahe identer Fall ist nun auch in Irland bekannt geworden. Offenbar ist in einem Vorort von Dublin ein sieben Jahre altes blondes Mädchen in einer Roma-Siedlung gefunden worden. Die Kleine befindet sich bereits in einer Betreuungseinrichtung, berichtet CNN. Mehr Details sind bisher nicht bekannt.
Interpol
Indes hat sich die internationale Polizeiorganisation Interpol in die Suche eingeschatet. Interpol verbreitete am Dienstag auf Bitten der griechischen Behörden eine Aufforderung an alle 190 Mitgliedstaaten, ihre Datenbanken mit den Daten des kleinen Mädchens abzugleichen, wie die Behörde in Lyon mitteilte. Generalsekretär Ronald Roble sagte bei der Generalversammlung der Organisation im kolumbianischen Cartagena am Dienstag, die Interpol-Datenbank habe bei der Suche nach Verwandten des Mädchens keinen Treffer ergeben.
In der sogenannten Gelben Notiz, einer Vermisstensuche, schickte die Organisation neben dem Foto auch das DNA-Profil der kleinen Maria um die Welt - allerdings ergab auch die Abgleichung mit der DNA des Mädchens bisher keinen Treffer. Außerdem veröffentlichte Interpol eine Blaue Notiz, mit der weitere Informationen über das Paar, bei dem das Mädchen gefunden wurde, gesammelt werden sollen.
Mädchen gibt Rätsel auf
Die griechische Polizei hatte die kleine Maria am Mittwoch in einem Roma-Lager in der Stadt Farsala entdeckt. Es war aufgefallen, weil es mit seiner hellen Haut und den blonden Haaren seinen angeblichen Eltern überhaupt nicht ähnelte. DNA-Tests bestätigten, dass es sich bei dem Paar nicht um die leiblichen Eltern handelte.
Der 39-jährige Mann und die 40 Jahre alte Frau wurden am Montag wegen des Vorwurfs der Kindesentführung in Untersuchungshaft genommen. Ihren Angaben zufolge wurde ihnen das Kind von der Mutter, einer bulgarischen Roma-Frau, übergeben. Laut einer zahnärztlichen Untersuchung ist Maria fünf bis sechs Jahre alt.
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