Panne bei Razzia in Deutschland: Polizei stürmte falsche Wohnung

Panne bei SEK-Einsatz in Rheinland-Pfalz (Archivbild)
Razzia bei "Hells Angels"-Mitglied fehlgeschlagen. Spezialeinsatzkommando riss Oma und Enkel aus dem Schlaf: "Es war wie im Krieg!"

Bei einer Razzia in Deutschland haben Polizisten eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) am Sonntag die falsche Wohnung in Rheinland-Pfalz gestürmt. Statt der Privaträume eines Mitglieds des Motorradclubs "Hells Angels Boppard" brachen die Polizisten um 6.00 Uhr eine andere Wohnung auf, wie die Staatsanwaltschaft Koblenz am Dienstag berichtete. Dort rissen sie eine Oma und ihre Enkel aus dem Bett.

"Es war wie im Krieg!"

"Es war wie im Krieg!", sagte die überraschte Großmutter. Die Männer gelangten demnach maskiert über die Terrassentür in die Wohnung, die sich in einem Mehrparteienhaus befand.

Die Enkelkinder hätten von Samstag auf Sonntag bei der Oma übernachtet. Die Frau zeigte laut Rhein-Zeitung aber auch Verständnis für den Irrtum der SEK-Spezialisten: "Irrtümer kommen nun einmal vor."

Panne bei Razzia in Deutschland: Polizei stürmte falsche Wohnung
A tattooed Hells Angels member from the German city of Hanover attends the funeral of Aygun Mucuk, shot president of the Giessen chapter of the Hells Angels in Giessen, Germany, October 12, 2016. REUTERS/Kai Pfaffenbach
Oberstaatsanwalt Rolf Wissen sagte, die Einsatzkräfte hätten sich sofort bei der Frau entschuldigt. "Die Schäden werden selbstverständlich ersetzt", versicherte er. Die Großrazzia erstreckte sich am Sonntag auf 26 Objekte des Motorradclubs "Hells Angels Boppard" im Raum Neuwied, Rhein-Hunsrück-Kreis und Kreis Mayen-Koblenz. Dabei stellten die Beamten Schuss-, Hieb- und Stichwaffen sowie geringe Mengen Drogen sicher.
Tote und Verletzte durch Revierkämpfe in der Rockerszene in Deutschland haben in den vergangenen Monaten zugenommen. Die Szene ist in Bewegung. Das Bundeskriminalamt (BKA) zählte im heurigen Sommer bundesweit rund 9.300 Rocker in mehr als 600 lokalen Ablegern. Es gebe aber mehr und mehr Gruppen, die die Organisationsstruktur und das äußere Erscheinungsbild von Rockergruppierungen übernehmen bzw. nachahmen.

Allein in Baden-Württemberg gibt es rund 2.400 Mitglieder von Rockergruppen und rockerähnlichen Gruppen. Nach Angaben des Innenministeriums hat der Südwesten Deutschlands die größte Dichte. Die meisten Rocker zählen sich zu den vier großen Gruppen Bandidos, Gremium, Hells Angels und Outlaws.

Neben den alten Motorradclubs wie den Hells Angels oder den Bandidos expandieren jüngere Gruppen - weniger Motorradromantik, weniger Ideologie, aber umso mehr Gewalt. Die Mitglieder sind laut BKA häufig junge Migranten, die dort "ein Zusammengehörigkeitsgefühl finden, das ihnen andernorts versagt wird", sagte Ulf Küch, Leiter der Kripo Braunschweig und stellvertretender Chef des Bunds Deutscher Kriminalbeamter (BDK).

Die Straßengangs bestehen aus Bodybuildern, Kampfsportlern, Türstehern. Auch ethnische Konfliktlinien werden ausgefochten, etwa zwischen den türkisch-nationalistischen Osmanen und den kurdischen Bahoz. Meist geht es aber ums Geschäft, um Geld und Geltung. "Die Konflikte entspringen weniger den alten Territorialstreitigkeiten von Rockern, die Reviere markieren, als vielmehr dem Streben nach Geld", sagt Rocker-Experte und "Spiegel Online"-Chefreporter Jörg Diehl.

Panne bei Razzia in Deutschland: Polizei stürmte falsche Wohnung
A tattooed Hells Angels member attends the funeral of Aygun Mucuk, shot president of the Giessen chapter of the Hells Angels in Giessen, Germany, October 12, 2016. REUTERS/Kai Pfaffenbach
Die Gangs verdienen ihr Geld mit Drogen, Prostitution und Schutzgelderpressung. "Da hilft ihr martialisches Auftreten, weil sie allein durch ihr Auftreten Angst und Schrecken verbreiten - das ist Teil der Geschäftsidee", erläuterte Küch.

"Was die Lage so brisant macht, ist, dass es keine klaren Fronten mehr gibt und dass die Clubs nicht mehr so diszipliniert funktionieren wir früher", warnt Diehl. Früher hätten Alphatiere Ansagen gemacht - wo es lang geht, gegen wen gekämpft wird und wann der Krieg auch wieder vorbei ist. Heute würden Fronten verschwimmen.

Der BDK fordert ein Verbot krimineller Rockergruppen. Die Polizei müsse sich besser vernetzen, sagt Küch. "Unser föderales System ist ein Handicap." Doch die Ermittler tun sich schwer in der Szene. Es gilt die Omerta, das Gesetz des Schweigens, wie in der Mafia. "Die Gruppen schotten sich sehr ab. Wer redet, setzt sich höchster Gefahr aus."

Vor allem die Migration und Rocker-Clubs, die sich in den vergangenen Jahren in Österreich gegründet haben, stellen die Spezialisten des Bundeskriminalamts (BK) für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OK) derzeit vor neue Herausforderungen. Dazu kommt mit Tätergruppen aus Eurasien und aus den Balkanstaaten ein weiterer Schwerpunkt.

Ein Lagebild, wie es im Oktober in Deutschland vom Bundeskriminalamt in Wiesbaden veröffentlicht wurde, gibt es hierzulande nicht. Allerdings berichtet das Büro für OK-Bekämpfung im Bundeskriminalamt jedes Jahr an Europol für den in Den Haag erstellten jährlichen Lagebericht (SOCTA-Bericht). Die Zahlen werden derzeit gerade im BK aufbereitet und werden in den SOCTA-Bericht 2017 einfließen. Daher liegen die wirklich aktuellen Zahlen nicht vor.

Doch die Ermittler haben in ihrer Arbeit derzeit vor allem drei Themen im Auge: "Wir wollen unter allen Umständen verhindern, dass sich aufgrund der Migrationslage Bandenkriminelle hier festsetzen und aktiv werden", sagte ein Experte am Freitag zur APA. Das betrifft demnach vor allem afghanische, tschetschenische und nordafrikanische Tätergruppen aus Marokko, Algerien und Tunesien. Vor allem Drogen, Schutzgeld, Cybercrime und Falschgeld sind die Sparten, in denen diese Gruppierungen aktiv sind. Man registriere auch einen zunehmend stärker werdenden Organisationsgrad bei tschetschenischen Banden, die bisher eher als Handlanger anderer Syndikate aufgetreten seien.

Tätergruppen aus Serbien, Montenegro und Albanien sind der zweite Schwerpunkt für die Ermittler des BK. Auch hier geht es in erster Linie um Drogen, Schutzgeld und nach wie vor Juwelier-Überfälle, bei denen die Täter noch immer im Stil der viel zitierten "Pink Panther" agieren.

Das dritte große Thema ist die Rockerkriminalität. "Wir wollen ein Überschwappen der Probleme aus Deutschland um jeden Preis verhindern", sagte der Experte. Der größte Club sind in Österreich noch immer die Hells Angels. Daneben drängen aber jüngere Clubs ins Rampenlicht, etwa die Osmanen und die United Tribuns. Bei diesen jüngeren Gruppierungen tritt das Motorradfahren zunehmend in den Hintergrund. Kontrolle der Türsteherszene, Prostitution, Waffenhandel sind hier durchaus Themen.

Ein Krieg wie in Deutschland ist zwischen Hells Angels und Bandidos hierzulande nicht zu erwarten, einfach, weil es in Österreich keine offizielle Bandidos-Filiale (Chapter) gibt. Wer mit wem in dieser Szene im Clinch liegt, sei eine sehr diffizile Geschichte und oft abhängig von den handelnden Personen.

Einen Trend beobachteten die heimischen OK-Ermittler in den vergangenen Jahren immer stärker: den zunehmenden Grad der Bewaffnung. "Zumindest ein Messer hat praktisch jeder Beteiligte eingesteckt, oft auch mehr", sagte der Insider.

"Klassische" Felder der Organisierten Kriminalität sind in Österreich ebenfalls ein Thema. Georgische "Diebe im Gesetz", wie die höchsten Autoritäten der OK in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion genannt werden, nutzen Österreich allerdings ebenso eher als Rückzugsgebiet und Ort für strategische Treffen wie Vertreter der italienischen Mafiaorganisationen, vor allem der 'Ndrangheta aus Kalabrien sowie der neapolitanischen Camorra. Weil diese Kartelle kaum einmal Österreich als Operationsgebiet nutzen, wird in der Öffentlichkeit nur wenig über deren Aktivitäten bekannt.

Kommentare