"Hitler fiel nicht vom Himmel"

Wie der Diktator vor 80 Jahren die Macht an sich riss.

Es war der Beginn einer grausamen Ära: Am 30. Jänner 1933 wird der verkrachte Kunststudent Adolf Hitler aus dem oberösterreichischen Braunau und Anführer der Nationalsozialisten zum Reichskanzler in Berlin ernannt. Das Datum ist ein Schicksalstag der deutschen Geschichte.

"Und nun meine Herren, vorwärts mit Gott!", ruft Reichspräsident Paul von Hindenburg, nachdem er zu Mittag des vorletzten Jännertages 1933 Hitler zum Kanzler ernannt hat. Nach einem monatelangem Machtpoker hat der 85 Jahre alte Feldmarschall aus dem Ersten Weltkrieg den Vorsitzenden der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) mit der Regierungsbildung beauftragt.

20 Regierungen in 14 Jahren

Dabei hat Hindenburg noch kurz zuvor versichert, er gedenke nicht, den "böhmischen Gefreiten" Hitler in die Regierung zu holen. Hitlers NSDAP gilt lange als ein Haufen von Fanatikern. Ihre Hassparolen gegen Juden und Kommunisten, die Hetze gegen das "System" finden zunächst kaum Gehör. Vergeblich hatte die NSDAP 1923 in München den Umsturz versucht, bei den Wahlen 1928 hatte sie gerade einmal 2,6 Prozent erhalten.

Doch die Wirtschaftskrise und die fragile politische Verfassung der Weimarer Republik spielen den Braunen in die Hände. Die Arbeitslosigkeit steigt 1932 auf 30 Prozent. Ein Kabinett nach dem anderen scheitert in Deutschland. In den 14 Jahren der ersten deutschen Republik wechseln sich 20 Regierungen ab. Mit einer in Sozialdemokraten und Kommunisten gespaltenen Arbeiterklasse, einem verunsicherten Mittelstand und einem in autoritären Sehnsüchten schwelgenden Adel ist die spät vereinigte Nation eine Republik ohne Republikaner.

"Hitler fiel nicht vom Himmel"

Im deutschen Gedächtnis ist der 30. Jänner 1933 als Beginn der Nazi-Diktatur allerdings nicht ausreichend präsent, sagt der Weimarer Historiker Volkhard Knigge. Der Nationalsozialismus sei von der Geschichtswissenschaft zwar bestens erforscht, sagt Knigge. "In der Erinnerungskultur ist das Datum jedoch zu einem kalten Gedenktag geworden, der scheinbar keine Bedeutung mehr hat." Die Erinnerung habe sich auf die zweite Hälfte der NS-Zeit mit Holocaust und Zweitem Weltkrieg verlagert. "Ohne Vorgeschichte sind die Verbrechen des Nationalsozialismus aber nicht zu verstehen."

Knigge sagt, gerade der Blick auf die Anfänge der NS-Herrschaft offenbare, dass diese kein Zufall gewesen sei. "Hitler fiel nicht vom Himmel und kam auch nicht von einem anderen Stern." Es sei die konservative Elite in Politik und Wirtschaft der Weimarer Republik gewesen, die Hitler den Weg geebnet habe. Bei der Erinnerung an die Frühphase der NS-Diktatur werde auch deutlich, dass diese hätte verhindert werden können, sagte Knigge. "Es hätte nicht dazu kommen müssen."

Sehnsüchte erfüllt

Für den Historiker Michael Wildt hat der Nationalsozialismus an weitverbreitete Sehnsüchte der Deutschen angeknüpft und daraus scheinbar positive Gefühle wie "Volksgemeinschaft" oder "Ende des Parteienstaats" formuliert. Diese Vorstellungen hätten bis weit in die Zeit der Bundesrepublik Bestand gehabt, sagte Wildt, Professor für deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Humboldt-Universität Berlin, gegenüber der dpa.

Für Knigge besitzen die Erfahrungen aus dem Weg Deutschlands in die Nazi-Diktatur auch heute noch Gültigkeit. "Es ist nicht unwichtig zu fragen, wohin politische Eliten driften und was sie für Weltbilder haben." Keineswegs unaktuell sei auch die Frage nach dem Umgang mit wirtschaftlichen Abstiegsängsten und mit ethnischen Vorurteilen gegenüber einer ganzen Bevölkerungsgruppe. Die Wirtschaftskrise in der Weimarer Republik und die Not breiter Bevölkerungsschichten hatten den Nazis in die Hände gespielt. Und der von einem großen Teil der Deutschen geteilte Antisemitismus der Nazis gipfelte im Massenmord an den Juden.

30. Jänner: Reichspräsident Paul von Hindenburg ernennt Adolf Hitler zum Reichskanzler. Am Abend marschieren 15.000 Männer von SA und SS in einem Fackelzug in Berlin durch das Brandenburger Tor.

1. Februar: Auf Wunsch Hitlers löst Hindenburg den Reichstag auf.

4. Februar: Versammlungs- und Pressefreiheit werden per Notverordnung erheblich eingeschränkt.

20. Februar: Reichstagspräsident Hermann Göring lädt Wirtschaftsführer zu einem Geheimtreffen mit Hitler ein. Dieser präsentiert sein politisches Programm. Daraufhin werden der NSDAP drei Millionen Reichsmark für den Reichstagswahlkampf gespendet.

22. Februar: Göring bildet in Preußen eine Hilfspolizei aus SA und SS und ermuntert sie zum "fleißigen Gebrauch der Schusswaffe".

27. Februar: Der Reichstag wird in Brand gesteckt. Die Nazis nehmen das zum Anlass für politisch motivierte Massenverhaftungen. Der Niederländer Marinus van der Lubbe wird später als Brandstifter hingerichtet.

28. Februar: Mit dem Reichstagsbrand als Begründung werden weitere Notverordnungen erlassen, die politischen Grundrechte außer Kraft setzen. Die KPD wird verboten.

5. März: Bei der letzten Reichstagswahl wird die NSDAP stärkste Partei, verfehlt aber mit 43,9 Prozent die absolute Mehrheit.

21. März: Zum propagandistischen "Tag von Potsdam" verneigt sich Hitler vor Hindenburg. Die Verbindung "des Alten mit dem Neuen" soll das Ansehen der Regierung Hitler steigern.

21. März: In Oranienburg bei Berlin wird das erste Konzentrationslager errichtet, es folgt am 22. März das KZ Dachau bei München. Drei Wochen später werden in Dachau die ersten Häftlinge ermordet.

23. März: Der Reichstag verabschiedet das Ermächtigungsgesetz. Hitlers Regierung kann nun Gesetze ohne das Parlament erlassen.

31. März: Mit dem "Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich" werden bis auf den Landtag Preußens alle Länderparlamente aufgelöst. Ihre neue Zusammensetzung richtet sich nach der des Reichstags.

1. April: Die Nazis organisieren einen teilweise gewaltsamen Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte.

7. April: Die deutschen Länder verlieren mit der Einsetzung von Reichsstatthaltern ihre Eigenständigkeit. Ein weitgehendes Berufsverbot für jüdische und regimekritische Beamte wird verhängt.

1. Mai: Der 1. Mai wird als "Feiertag der nationalen Arbeit" begangen. Einen Tag später werden die Gewerkschaften zerschlagen.

10. Mai: Die Machthaber lassen öffentlich Bücher vor allem linker und jüdischer Autoren verbrennen.

17. Juni: Alle Jugendorganisationen werden Reichsjugendführer Baldur von Schirach unterstellt.

22. Juni: Die Sozialdemokratische Partei wird verboten.

14. Juli: Das "Gesetz gegen die Neubildung der Parteien" macht Deutschland zum Einparteienstaat.

13. September: Mit der Einrichtung des "Reichsnährstands" wird die deutsche Landwirtschaft einer staatlichen Kontrolle unterstellt.

14. Oktober: Deutschland verkündet seinen Austritt aus dem Völkerbund und den Verzicht auf weitere Abrüstungsgespräche.

15. November: Mit Gründung der Reichskulturkammer werden alle Kulturschaffenden der Aufsicht des Reichspropagandaministeriums von Joseph Goebbels unterstellt.

29. November: Die Reichsregierung erlässt ein Gesetz zur Gleichschaltung des deutschen Handwerks.

13. Dezember: Die Reichspressekammer untersagt für zunächst drei Monate die Gründung neuer Zeitungen und Zeitschriften.

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