In Italien stauen sich die Flüchtlinge

Österreich droht mit Schließung der Grenze am Brenner als "letztes Mittel".

Äußerst besorgt blicken europäische Politiker Richtung Italien, wo täglich mehr und mehr Flüchtlinge aus Nordafrika ankommen. Allein in der letzten Mai-Woche (22. bis 30. Mai) landeten rund 10.000 Migranten an Italiens Küste. Davon wurden mehr als 30 Prozent der Seenot-Rettungen durch Nichtregierungsorganisationen in libyschen Gewässern durchgeführt. Diese Zahlen gehen aus internen Berichten des italienischen Innenministeriums hervor. Das Migrationsaufkommen auf der Mittelmeerroute liegt bis dato 30 Prozent über dem Niveau des Vorjahres. Von Jänner bis Ende Mai 2017 sind rund 189.000 Flüchtlinge in Italien angekommen.

"Wir erleben derzeit eine ähnliche Situation wie 2015, nur dass es diesmal die zentrale Mittelmeer-Route und nicht die Westbalkan-Route ist. Und genauso wie 2015 scheint es nur wenige in Brüssel zu interessieren", kritisiert Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil das bisherige Verhalten in der EU-Zentrale. "Und im Vergleich zum Sommer 2015 befindet sich Österreich, als direkter Nachbar Italiens, diesmal in einer noch exponierteren Lage", so Doskozil gegenüber dem KURIER.

Fluchtpunkt Libyen

Der zentrale Fluchtweg vieler Migranten aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern führt über Libyen. Verschiedenen Quellen zufolge warten bis zu einer Million Menschen im vom Bürgerkrieg wirtschaftlich völlig zerstörten und politisch zerfallenden nordafrikanischen Staat mit 6,5 Millionen Einwohnern auf die Weiterreise nach Europa. Das Wetter ist günstig, das ist auch ein Grund für die steigenden Zahlen der Ankünfte in Italien.

Italien appelliert an die EU, etwas zu tun – doch bisher ohne sichtbaren Erfolg. Vor gut zwei Wochen schloss die Regierung in Rom Verträge mit zwei afrikanischen Staaten, dem Tschad und Niger, um in diesen Transitländern Flüchtlingszentren nach internationalen Standards zu errichten. Einrichtungen, in denen auch Asylanträge gestellt und geprüft werden könnten, sind das nicht.

Geht es nach Doskozil, könnten diese Flüchtlingszentren ausgebaut werden. "Es ist fünf vor zwölf, um endlich Verfahrenszentren außerhalb der EU zu errichten. Der Vorstoß Italiens, Flüchtlingslager im Tschad und in Niger mitzufinanzieren, ist wichtig und ein Schritt in die richtige Richtung. Die EU sollte Italiens Initiative auf jeden Fall unterstützen", unterstreicht der Verteidigungsminister.

Immer stärker in den Fokus rückt neben Libyen auch ein anderes nordafrikanisches Land als Ausgangspunkt für die Flucht nach Europa: Algerien, von wo aus immer mehr Schlauchboote ablegen.

Ob Österreich auf einen möglichen neuen Flüchtlingsansturm aus Italien vorbereitet ist, beantwortet Doskozil mit einer deutlichen Warnung: "Österreich kann jederzeit das Grenzmanagement am Brennerpass hochfahren, die Vorbereitungen sind getroffen." Das würde eine Grenzschließung bedeuten – mit dramatischen Auswirkungen für Tourismus, Wirtschaft und Pendler. Doskozil meint allerdings: "Das ist für uns das letzte Mittel." Entschlossen bekräftigt der SPÖ-Minister, dass Österreich "eine Wiederholung von 2015 sicher nicht mehr zulassen wird".

„Willkommen zu afrikanischer Musik, mit der wir die ganze Welt glücklich machen wollen“, sagt der gut gelaunte Radiomoderator Numu, der sich „DJ Numu The Scientist“ nennt, ins Mikrophon des sizilianischen Webradios Asante. Der 17-jährige ist aus Gambia geflüchtet. Nach einer lebensgefährlichen Mittelmeer-Überfahrt landete er in Palermo, wo er im „Centro Asante“, einer Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge lebt. Der Großteil der alleine reisenden Kinder und Jugendlichen stammt aus Eritrea, Gambia, Nigeria, Ägypten und Guinea.

Im vergangenen Jahr kamen 92 Prozent aller Flüchtlinge unter 18 Jahren ohne Eltern nach Italien. Zum Vergleich: 2015 waren es 75 Prozent, die alleine auf dem Seeweg Europa erreichten. Die Kinder werden immer jünger, viele sind erst elf oder zwölf Jahre alt, beobachten Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. Die Ankünfte sind gestiegen: Im Jahr 2011 kamen 3.500 unbegleitete Jugendliche und Kinder nach Italien, 2016 waren es über 26.000 Minderjährige.

Minderjährige Geflüchtete sind besonderen Gefahren ausgesetzt: Sie riskieren Opfer von Gewalt, Sklaven- und Menschenhandel zu werden. Allein im vergangenen Jahr sind laut Behörden 6000 minderjährige Flüchtlinge verschwunden. „Wir wissen nicht, was mit ihnen passiert ist.“ Die Gefahr in die Illegalität abzugleiten ist, wie die Abgeordnete der Demokratischen Partei (PD) Sandra Zampa betont, groß: „Bei Jugendprostitution steigt der Ausländeranteil, ebenso wie bei Mikrokriminalität und Schwarzarbeit.“ In Italien wurde ein neues Gesetz verabschiedet, das geflüchteten Jugendlichen und Kindern stärkeren Schutz bieten soll.

Die „Legge Zampa“ sieht vor, dass Burschen und Mädchen bis 21 Jahre – und nicht wie üblich bis 18 Jahre - Unterstützung für Bildung, Betreuung und Unterkunft bekommen. Weiters dürfen laut Gesetz minderjährige Flüchtlinge nicht an der Grenze abgewiesen werden und haben volles Recht auf medizinische und schulische Versorgung. Zudem soll neben betreuten Wohngemeinschaften vor allem das Pflegeeltern-Modell forciert werden.

Vorreiterrolle.

Italien kann stolz zu sein, das erste Land in Europa zu sein, ein umfassendes System zu übernehmen, die Kinder zuerst alle Kinder, unabhängig von ihrem Status als Migranten oder Flüchtlinge“, erklärte Raffaela Milano vom „Save the Children“ -Italien-Europa-Programm.

„Menschenhandel bringt zehnmal so viel Geld wie Drogenhandel ein. Dagegen muss die italienische Regierung gemeinsam mit EU-Ländern auf internationalem Niveau vorgehen“, fordert der italienische Unicef-Generaldirektor Paolo Rozera. Am Strand Sant´Erasmo in Palermo hat Unicef kürzlich bei einer Demo hunderte Papierschiffchen ins Meer geschickt, um in Europa auf die fragile Situation von Kinderflüchtlingen aufmerksam zu machen.

NGOs appellieren an verantwortliche Politiker, wie wichtig Schulbildung ist, um Jugendliche zu integrieren. „Denn sonst haben wir bald eine Riesenzahl an Volljährigen, die zu Illegalität verdammt sind und so zu einem sozialen Problem werden.“

-Irene Mayer-Kilani

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