Haben die Kelten Amerika entdeckt?

Figures representing snakes are seen on a wall of the Kuelap Fortress, 3000 meters (9840 feet) above sea level, in the Andean region of Chachapollas January 30, 2009. The archaeological site of Kuelap, constructed by the Chachapollas pre-Inca culture in about 800 AD, is a massive exterior of stone walls that rise up to 19 meters (62 feet) and contains more than four hundred buildings. Picture taken January 30, 2009. REUTERS/Pilar Olivares (PERU)
Auf der Flucht vor den Römern kamen Mittelmeer-Bewohner in der Antike bis Südamerika.

Erschöpft und erleichtert blicken die gut tausend Menschen auf dem Schiff Richtung Küste vor ihnen. Nach Wochen – getrieben von günstigen Winden und Strömungen, mit zehn Mann an jedem der 50 Ruder – ist den Auswanderern die Flucht vor den Römern gelungen. Sie haben vom Mittelmeer kommend ihre neue Heimat erreicht, die erst Jahrhunderte später ihren heutigen Namen erhalten sollte – Südamerika.

So oder so ähnlich könnte es gewesen sein, denn glaubt man dem deutschen Kulturhistoriker Hans Giffhorn, haben weder Columbus noch die Wikinger Amerika als Erste erreicht, sondern – die Kelten.

Blonde Indianer, eine rätselhafte, unerforschte Kultur hoch in den Anden, die scheinbar aus dem Nichts entstanden war, und peruanische Mumien, die Spuren von Tuberkulose in den Genen tragen – einer Krankheit, die es nur in Europa gab: Das ist der Stoff, aus dem Mythen, Filme und die Theorien von Giffhorn sind, die er dieser Tage im konservativen, durchaus vorsichtigen Verlag C. H. Beck veröffentlicht („Wurde Amerika in der Antike entdeckt?“ 18,95 €).

14 Jahre hat der Kulturwissenschaftler der Universität Göttingen und Hildesheim geforscht, ehe er sich an die Öffentlichkeit wagte. Er erzählt: „Ich hielt das alles für Quatsch, habe mich mit Fachleuten in Verbindung gesetzt, von denen ich mir klare Argumente erhoffte, dass es keine Atlantik-Überquerungen in der Antike gegeben haben konnte.“ Fehlanzeige. „Was ich erhielt, war die pauschale Weigerung, sich Gedanken in diese Richtung zu machen.“ Also beschloss er, der Sache auf den Grund zu gehen.

Haben die Kelten Amerika entdeckt?
Mummies from the Chachapoyas culture are displayed at the Museum of Leymebamba, in the Andean region of Chachapollas, March 16, 2007. The archaeological site of Kuelap, constructed by the Chachapollas pre-Inca culture in about 800 AD, is a massive exterior of stone walls that rise up to 19 meters (62 feet) and contains more than four hundred buildings. Picture taken March 16, 2007. REUTERS/Mariana Bazo (PERU)
Giffhorn geht davon aus, dass spanische Kelten im 2. Jahrhundert vor Christus gemeinsam mit phönizischen Seefahrern, den Karthagern, über den Atlantik kamen. Ebenfalls per Schiff hätten sie dann das Amazonas-Gebiet durchquert und in Peru eine neue Kultur begründet: die der Chachapoya.

Neu ist die Theorie nicht, kursieren doch immer wieder Berichte der Conquistadoren über hellhäutige, hellhaarige Chachapoya. Bis heute gibt es übrigens blonde Peruaner, „Gringuitos“ genannt. Giffhorn: „Viele der Theorien dazu sind derartig haarsträubend, dass kein ernst zu nehmender Wissenschaftler daran anstreifen möchte. Ich kann die Vorbehalte gut nachvollziehen“, sagt er und hat akribisch Spurensuche betrieben – am Amazonas und in den Anden, aber auch in Labors, Museen und Archiven.

Vorläuferkultur

Am Anfang stand die Frage: Welche mindestens 2000 Jahre alte Kultur kommt als Vorläufer der Chachapoya infrage? Im Laufe der Recherchen stieß der Forscher auf viele Parallelen mit zwei kleinen Völkern: spanische Kelten und vorrömische Bewohner Mallorcas. Dann fragte Giffhorn: „Hatten Menschen die Fähigkeiten und ein Motiv, zur Zeitenwende aus der alten in die neue Welt zu reisen?“ Hier ist die Zerstörung Karthagos durch die Römer im 3. Punischen Krieg für ihn der Angelpunkt: Über Jahrzehnte hatte sich unendlicher Hass zwischen den Feinden aufgebaut, der 146 v. Chr. in der Erstürmung der Stadt durch die Römer gipfelte. Den Karthagern blieb nur Sklaverei – oder Flucht.

Laut Giffhorn entschieden sich einige dafür, das Weite zu suchen – übers Meer. Möglich wäre das gewesen, denkt die Archäologin Karin Hornig, die Ihre Doktorarbeit über antike Seefahrt geschrieben hat und von enormen Strecken spricht, die damals zurückgelegt wurden. „Transatlantikfahrten in der Antike halte ich für machbar. Winde und Strömungen führen die Schiffe mehr oder weniger automatisch auf die andere Seite.“

„Ich brauchte auch ein Motiv für die lange Reise durch Brasilien den Amazonas hoch bis nach Peru“, sagt Giffhorn und denkt, dass Angst vor Verfolgung durch die Römer die Auswanderer tief ins Landesinnere trieb.

Indizien, die für eine Herkunft der Chachapoya aus dem antiken keltisch-karthagischen Raum sprechen, gäbe es viele: ähnliche Götterdarstellungen, fast identische Steinschleudern, da wie dort Zickzack-Ornamente als Häuser-Verzierung und uralte Stein-Rundbauten, die keltischen Wohnhäusern im nordwestlichen Spanien glichen; weiters gewaltige Festungen, die nirgendwo in Amerika ihresgleichen finden, aber bis ins Detail den zweitausend Jahre alten Bauten spanischer Kelten entsprechen. Sogar in der Musik will Giffhorn Parallelen zur Volksmusik auf Ibiza gefunden haben. Mehr noch: Genetische Untersuchungen deuten auf eine Verwandtschaft von Chachapoya-Nachkommen mit spanischen Kelten hin.

Kollegenkritik

Trotzdem gibt es Kritik: So meint der deutsche Archäologe und Chachapoya-Kenner Klaus Koschmieder, dass viele der Riten und Symbole einfach in zahlreichen Weltgegenden verbreitet gewesen seien und die ursprüngliche Heimat der Chachapoya im Amazonas-Tiefland zu vermuten wäre. „Die Herkunft der Chachapoya ist in der Tat unklar“, sagt Horst Seidler. Der österreichische Anthropologe hat vor Jahren erste Mumien der Wolkenmenschen für Analysen nach Wien gebracht und meint zur gewagten Theorie Giffhorns: „Ich habe mir abgewöhnt zu sagen, ,So etwas gibt es nicht‘. Der Wert seiner Hypothese, steht und fällt aber mit den wissenschaftlichen Studien, die er zitiert.“

Sie wohnten hoch oben im Anden-Urwald, bauten Festungen mit 20 Meter hohen Mauern, in denen drei Mal so viele Steine stecken wie in der Pyramide von Gizeh. Sie waren groß, hellhäutig, kriegerisch und beherrschten 500 Jahre lang den Nordosten Perus, ehe sie um 1470 n. Chr. von den Inkas unterworfen wurden – die Chachapoyas (chacha: „Wald“, poya: „Wolke“).

Woher sie kamen, ist unbekannt, und auch, woher sie ihre angeblich blauen Augen hatten. Nur so viel weiß man: Sie gründeten lose Verbände von Fürstentümern, liebten farbenfrohe Gewänder und siedelten ausschließlich auf Berggipfeln – über den Wolken. Daher auch ihr Beiname: Wolkenmenschen. Im 15. Jahrhundert kamen sie den eroberungswütigen Inka in die Quere, die es auf die Koka-Plantagen und prachtvollen Vogelfedern der Chachapoya abgesehen hatten. In die Inka-Hauptstädte Cusco und Quito deportiert, gewannen die stolzen Chachapoya-Krieger rasch Einfluss – als Leibgarde der Herrscher. Letztlich dürften europäische Krankheiten (Pocken, Masern) sie endgültig dahingerafft haben.

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