"Unwürdiges Geschacher" um Opfer

Das zweite Begräbnis der Absturzopfer in den französischen Alpen: Etwa 300 Angehörige kamen am Freitag nach Le Vernet
Am Freitag wurden die nicht identifizierten sterblichen Überreste in Frankreich beigesetzt.

"Wir haben ja unser Kind nur in Teilen zurückbekommen", schluchzte eine Mutter auf dem kleinen Ortsfriedhof von Le Vernet. Am Freitag wurden in dem kleinen französischen Bergdorf die sterblichen Überreste in einem Gemeinschaftsgrab beigesetzt, die nach dem Germanwings-Absturz keinem Absturzopfern zugeordnet werden konnten. Mehr als 300 Angehörige waren mit Sonderflugzeugen aus Düsseldorf und Barcelona an die Absturzstelle gebracht worden. Um die Intimsphäre der Trauergemeinde nicht zu stören, war für Sichtschutz gesorgt.

Würdevolle Zeremonie

Nicht dabei war Carsten Spohr, der Chef von Lufthansa, der Muttergesellschaft von Germanwings. Ihm werfen Angehörige in einem Brief vor, nie mit ihnen gesprochen zu haben, auf Einladungen zu Begräbnissen nicht einmal geantwortet zu haben. "Aufgrund der angespannten Atmosphäre" wollte Spohr durch seine Anwesenheit "die würdevolle Zeremonie" nicht belasten. Germanwings-Geschäftsführer Thomas Winkelmann und Lufthansa-Finanzvorstand Simone Menne nahmen teil. Viele Angehörige fühlen sich von Lufthansa im Stich gelassen. Sie kritisieren mangelnde Anteilnahme und Schuldeinsicht. Die Höhe des Schmerzensgeldes von 25.000 Euro für die Todesangst der Opfer sei eine Beleidigung.

Der zum Zeitpunkt des Absturzes fluguntauglich geschriebene Co-Pilot Andreas L. hatte den Airbus von Barcelona nach Düsseldorf am 24. März absichtlich in den Abgrund gesteuert. Er hatte den Kapitän aus der Kabine ausgesperrt und um 10.30:53 Uhr den Sinkflug eingeleitet. Die Maschine schlug um 10:41 Uhr im Bergmassiv Trois-Évêchés auf.

8 Minuten Todesangst

Die 149 Menschen an Bord haben vermutlich acht Minuten vor dem Absturz voll mitgekriegt, dass sie zum Tode verurteilt wurden.

Spätestens als der Kapitän versuchte, die verschlossene Kabinentür mit einer Axt zu zertrümmern, will man sich gar nicht mehr vorstellen, was in jedem Einzelnen vorgegangen sein muss. Wenn die Berge immer näher kommen.

Für das Leiden jedes Opfers will Lufthansa 25.000 Euro zahlen sowie 10.000 Euro an jeden nächsten Angehörigen, dazu kommt eine Soforthilfe von 50.000 Euro.

Streng genommen ist das Angebot großzügig, denn Angehörige haben nach deutschem Recht bei Todesfällen "durch Verschulden eines Dritten" kaum ein Anrecht auf Entschädigung. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern.

Nur das Opfer vererbt sein Schmerzensgeld. Der Angehörige müsste durch eine "Schockreaktion" krank werden, um Ansprüche erheben zu können.

Der Wert des Lebens

Der SPD-Rechtsexperte Johannes Fechner spricht in der Welt von einem "unwürdigen Geschacher". "Man kann einem Menschenleben kein exaktes Preisschild anhängen", sagt er. Aber Angehörige müssten sich aufgrund der unklaren Gesetzeslage "auf einen öffentlichen Basar begeben". Die deutschen Grünen fordern eine rasche Gesetzesänderung "noch in diesem Jahr".

Lufthansa-Anwalt Rainer Büsken kritisierte am Freitag Opferanwälte, die Klagen in den USA angekündigt haben. Nach einem Abkommen aus dem Jahr 1999 sei das Land für den Germanwings-Fall überhaupt nicht zuständig. Büsken verteidigt Carsten Spohr: Schon der Vorschuss von 50.000 Euro je Opfer sei "höher als gesetzlich vorgeschrieben". In Einzelfällen könnten die Schadenersatzansprüche durchaus "in Millionenhöhe liegen". Etwa bei Alleinverdienern mit Kindern.

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