Côte d’Azur: Überfälle und Selbstjustiz
Es gibt keine Wunderlösung“, gestand Manuel Valls. Dabei gilt der (spanisch-stämmige) Innenminister Frankreichs als harter Ordnungspolitiker, der deswegen zu den populärsten Persönlichkeiten des Landes zählt. Aber bei seiner Beruhigungsvisite am Dienstag in Nizza, nachdem drei Tage zuvor ein Juwelier einen Einbrecher erschossen hatte, konnte auch Valls nichts grundlegend Neues bieten: mehr Polizeistreifen, Videoüberwachung, Alarmsysteme.
Lokalpolitiker und Kaufmannschaft gaben sich zwar befriedigt, aber Frankreich steht unter dem Eindruck einer Kampagne auf „Facebook“ bei der 1,6 Millionen zustimmende Reaktionen („likes“) für die Reaktion des Juweliers registriert wurden. Der 67-jährige Stéphane Turk, ein aus dem Libanon stammender Muslim, war in seinem kleinen Laden am Freitag von zwei jungen Männern mit einer Pumpgun bedroht, geschlagen und ausgeraubt worden. Als die Räuber auf einem Motorrad wegfuhren, ergriff Turk eine Pistole und schoss auf die Flüchtenden. Zwei Schüsse trafen das Motorrad, ein Schuss tötete einen der beiden Burschen rücklings – der Juwelier behauptete, dieser habe auf ihn mit der Pumpgun gezielt.
Verhaftet und enthaftet
Der Staatsanwalt sprach daraufhin von Notwehrüberschreitung, Turk wurde festgenommen, ist aber inzwischen, in Erwartung eines Verfahrens, auf freiem Fuß.Ein Teil der Solidaritätsbekundungen für den Juwelier auf „Facebook“ gaben Anlass für Hasstiraden wie etwa: „Mein einziger Vorwurf an den Juwelier: er hat den zweiten Parasiten nicht getroffen“. In der Bevölkerung überwiegt aber das Gefühl, das einer der Nachbarn des Juweliers äußert: „Der Tod des Burschen ist eine Tragödie. Aber wenn man immer wieder überfallen, bedroht und gedemütigt wird, gehen einem die Nerven durch“.
Die Behörden verzeichnen zwar einen leichten Rückgang der Kriminalität, aber die Belästigungen und Übergriffe im Alltag durch verwahrloste Halbwüchsige und Gelegenheitsdiebe sorgen unvermindert für Stress. Vor allem aber hat die Verbreitung von Schusswaffen, hauptsächlich in Folge des Schmuggels nach den Balkankriegen, dazu geführt, dass inzwischen Dealerbanden und halbwüchsige Einbrecher diese Waffen immer enthemmter einsetzen. In Marseille haben in einem Jahr Unterweltler 30 Rivalen auf offener Straße erschossen.
Daher musste Minister Valls, erst am vorvorigen Samstag, nach einem Doppelmord auch nach Marseille zu einer Krisensitzung eilen. Eine populäre SP-Lokalpolitikerin aus einer arabischen Einwandererfamilie fordert den „Einsatz der Armee“. Valls bietet die Aufstockung von Polizeitruppen in städtischen Krisenzonen.
Auf dem Land häufen sich Klagen über den Diebstahl von Erntegut, Vieh und Agrarmaschinen. Bauern machen dafür den Abzug von Gendarmerie-Einheiten in die Städte verantwortlich.
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