Todesschütze: "Er war aggressiv und bedrohlich"

Massenhaft Proteste von der Ost- bis zur Westküste der USA: In Ferguson versuchen indessen über 2000 Soldaten der Nationalgarde, weitere Gewaltausbrüche und Zerstörungen zu verhindern
Wie Todesschütze Darren Wilson vor der Grand Jury die Erschießung eines schwarzen Teenagers rechtfertigte. Dass er nicht angeklagt wird, treibt weiter Tausende auf die Straßen.

Er dreht sich um und schaut mich an", schilderte Polizist Darren Wilson in seiner Zeugenaussage vor der Grand Jury in Ferguson die letzten Momente im Leben des schwarzen Teenagers Michael Brown. "Er macht einen ersten Schritt auf mich zu, er stolpert irgendwie, als er losläuft. Dann ballt er seine linke Hand zu einer Faust, mit der rechten greift er unter sein Shirt, hält den Gürtel fest und läuft auf mich zu."

Todesschütze: "Er war aggressiv und bedrohlich"
Police follow protesters during a march in Los Angeles, California, following Monday's grand jury decision in the shooting of Michael Brown in Ferguson, Missouri, November 25, 2014. U.S. President Barack Obama said on Tuesday anyone who destroys property in rioting against a Missouri grand jury's decision should be prosecuted, urging Americans upset by the court to work together to improve race relations. REUTERS/Lucy Nicholson (UNITED STATES - Tags: CIVIL UNREST CRIME LAW POLITICS)
Über 60 Zeugen hat die Grand Jury Jury angehört, die über 1000 Seiten umfassenden Dokumente, darunter die gesamte Aussage Wilsons, sind im Internet nachzulesen.

Dorian Johnson, der Freund Mike Browns, bezeugte hingegen: Die beiden jungen Männer hätten die Hände sehr wohl erhoben. Und Schüsse seien gefallen, noch ehe Brown in Richtung des weißen Polizisten loslaufen konnte. Im Gegenteil, Brown sei durch Schüsse im Rücken getroffen worden, als er davonlaufen wollte. Dies jedoch konnte wiederum die Obduktion nicht nachweisen.

"Keine Anklagepunkte"

Todesschütze: "Er war aggressiv und bedrohlich"
epaselect epa04504186 A protester blocks the road in Ferguson, Missouri, USA, 25 November 2014. Protestors have taken to the streets firing guns, burning property and looting in anger that Ferguson police officer Darren Wilson was not indicted by a grand jury for the shooting death of teenager Michael Brown in August 2014. EPA/ALEXEY FURMAN
Für Staatsanwalt Robert McCulloch existierte insgesamt "kein hinreichender Verdacht für irgendwelche Anklagepunkte". Und so kamen die Geschworenen der Ferguson-Grand-Jury zum Schluss: Darren Wilson wird nicht angeklagt. Der 28-jährige Polizist hat in den Augen der zwölf Schöffen den schwarzen Teenager erschossen, um sich zu verteidigen.

Wilson: "Es sah aus, als würde er sich extra groß machen, um gegen die Schüsse anzurennen. Als ob es ihn wütend machen würde, dass ich auf ihn schieße." Insgesamt 12-mal feuerte der Polizist innerhalb von nur 90 Sekunden auf den 18-jährigen, unbewaffneten Schwarzen. Kein Totschlag, sondern Notwehr, befand die Jury. Staatsanwalt McCullen: "Die Pflicht der Grand Jury ist es, die Fakten von Erfundenem zu trennen."

Tatsächlich besteht die Aufgabe einer Grand Jury darin, vorliegende Beweise zu prüfen und zu entscheiden, ob Anklage erhoben werden soll oder nicht. Ein Urteil fällt sie nicht. Weniger als die Hälfte der US-Bundesstaaten nutzt diese Vorermittlungsinstanz noch. Eingesetzt wird die Grand Jury meist in komplexen Verfahren oder im Fall schwerer Verbrechen mit Aussicht auf Todesstrafe. Einberufen wird sie vom Staatsanwalt. Robert McCulloch hätte also von sich aus Anklage erheben können, verzichtete aber darauf.

Todesschütze: "Er war aggressiv und bedrohlich"
epa04504263 National Guard stand behind the police to protect the police station the day after protesters burned buildings in protest of the Grand Jury decision not to indict police officer Darren Wilson in shooting death of Michael Brown in Ferguson, Missouri, USA, 25 November 2014. Protestors take to the streets of Ferguson, Missouri for another day to voice their outcry over the Grand Jury decision not to indict police officer Darren Wilson in the shooting of an unarmed black teenager in Ferguson, Missouri. EPA/LARRY W. SMITH
Die Identität der Schöffen ist geheim. Bekannt wurde im Fall Wilson lediglich, dass drei schwarze (zwei Frauen, ein Mann) und neun weiße (drei Frauen, sechs Männer) Personen das Gremium bildeten. Diese vielkritisierte Zusammensetzung entspricht geltendem Recht in Missouri. So werden Personen "zufällig aus einem fairen Querschnitt der Bürger", die in Wählerlisten registriert sind, ausgewählt. Im Bezirk St. Louis sind rund 70 Prozent der Bevölkerung weiß, im Bundesstaat Missouri rund 80. In Ferguson selbst sind hingegen zwei Drittel der Einwohner Schwarze.

Wie gegen Hulk Hogan

In seiner vierstündigen Aussage beschrieb Wilson den massigen Teenager Brown als "aggressiv und bedrohlich". Nach einem kurzen Wortwechsel verpasste Brown dem im Wagen sitzenden Polizisten durch die geöffnete Fensterscheibe zwei Faustschläge. Dafür ließ er sich später in der Nacht noch im Spital behandeln – die Akten sind online einsehbar.

Zeuge Dorian Johnson wiederum behauptete vor der Jury: Nie habe sein Freund "Big Mike" ins Auto gegriffen. Vielmehr habe der Polizist versucht, Brown ins Auto zu ziehen.

Dann, so die Darstellung des Polizisten, soll der Teenager nach der Waffe des Polizisten gegriffen haben. Da packte der Beamte Browns rechten Arm: "Ich fühlte mich wie ein fünfjähriges Kind gegen Hulk Hogan." (Hogan ist ein US-Wrestler, Anm.) Als Wilson seine Pistole zog und zwei Mal schoss, rannte Brown weg – Wilson hinterher.

Schließlich blieb Brown stehen und drehte sich um. "Er kam auf mich zu", sagte Wilson aus. "Und als er nur noch zwei bis drei Meter weg war ... alles was ich gesehen habe, war sein Kopf, und auf den habe ich geschossen. Ich weiß nicht, wie oft. Als ihn die Kugel traf, verschwand die Wut aus seinem Gesicht, die Aggression war weg. Ich wusste, die Bedrohung war vorüber."

Die Entscheidung der Ferguson-Jury, die seither USA-weit für Unruhen sorgt, bedeutet nicht, dass der Fall Wilson nicht doch noch juristisch aufgearbeitet wird. US-Justizminister Eric Holder kündigte an, dass auf Bundesebene wegen des Todes des 18-jährigen Brown ermittelt wird.

Krawalle in den USA

Im Umgang mit den vorwiegend weißen Polizisten in Ferguson hat der Afroamerikaner Sean Jackson seinem 25-jährigen Sohn zwei Überlebensformeln eingetrichtert: "Yes, Sir", "No, Sir", und alles tun, was die Uniformierten von ihm verlangen. Denn die Ordnungshüter in der US-Kleinstadt in Missouri haben einen äußerst schlechten Ruf – nicht erst, seit der Schwarze Michael Brown, 18, von dem weißen Polizisten Darren Wilson erschossen wurde.

Hier habe jeder Schwarze Angst vor "Polizeikontrollen, Angst, getötet zu werden. Die Nerven liegen blank", so Sean Jackson, 45. Die "falsche" Hautfarbe, eventuell Dreadlocks – schon sei man verdächtig. Und das könne tödlich enden. Die Statistik untermauert dies: Die Wahrscheinlichkeit, erschossen zu werden, ist für schwarze Männer sieben Mal höher als für weiße (wobei auch die normale Kriminalität einberechnet ist).

"Vor 70 Jahren war es erlaubt, Schwarze einfach umzubringen", sagt die afro-amerikanische Demonstrantin ShaCzar Brown in Atlanta, dem Geburtsort des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King, in Anspielung an die Lynchmorde in den Südstaaten. "Im Prinzip ist es das immer noch." Und eine schwarze Krankenschwester in Ferguson meint: "Wir fühlen uns an die Zeit der Sklaverei erinnert."

Zusätzlich Öl ins Feuer goss Todesschütze Wilson in einem Interview nach seinem Freispruch. Dem TV-Sender ABC sagte er, er habe ein reines Gewissen und würde es wieder tun. An jenem 9. August habe er um sein Leben gefürchtet und nur seinen Job erledigt. Demgegenüber gibt es Zeugenaussagen, dass Brown die Hände erhoben habe.

In 170 US-Städten kam es in der Nacht zum Mittwoch zu Protestkundgebungen, die teilweise in harten Konfrontationen mit der Polizei endeten. US-Präsident Barack Obama verurteilte jede Form von Gewalt, damit werde das Problem nicht gelöst. Zugleich aber räumte er ein, dass es polizeiliche Gewalt und juristische Ungerechtigkeiten gegenüber Minderheiten gebe. Das sei ein Erbe der Rassendiskriminierung.

Obwohl Darren Wilson von den mehrheitlich weißen Geschworenen freigesprochen wurde, ist er noch nicht ganz aus dem Scheider: Gegen ihn ermittelt das Bundesjustizministerium, ob er nicht aus rassistischen Motiven gefeuert und so die Bürgerrechte Browns verletzt habe.

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