Erdbebenopfer fühlen sich verlassen

Bauern protestieren in Rom, weil ihnen keiner hilft, viele leben noch immer in Turnhallen.

Hunderte Bauern haben ihre Schafe und Ziegen mitgebracht und demonstrieren vor dem Parlament im Rom für mehr Unterstützung ihrer Arbeit. Wie viele Bewohner im mittelitalienischen Erdbebengebiet fühlen sich die Viehzüchter von der Regierung im Stich gelassen. "Viele Bauern haben Probleme, genügend Wasser und Futter für ihre Tiere zu finden. Außerdem ist es schwierig die Produkte auszuliefern, da viele Straßen in der Region schwer beschädigt wurden", klagt ein Landwirtschafts-Sprecher. 25.000 Bauernhöfe befinden sich in dem weitläufigen Erdbebengebiet von Latium, Marken, Umbrien und Abruzzen.

Das Beben am 24. August

Doch seit am 24. August um 3.36 Uhr die Erde heftig bebte, ist nichts mehr wie zuvor. Die Bergdörfer Amatrice, Accumoli und Arquata del Tronto wurden verwüstet. Auf einer Fläche von 1000 km² ist jedes zweite Haus unbewohnbar. Das Beben riss fast 300 Menschen in den Tod. Es war der Beginn einer Erdbebenserie, die bis heute nicht aufhörte. "Nach wie vor sind immer wieder starke Nachbeben zu spüren", erzählt Rinaldo Serafini. Bei stärkeren Erdstößen macht sich schnell Panik breit. Serafini arbeitete in dem einst 3000-Einwohner-Dorf Amatrice als Friseur, seine Frau betrieb eine Putzerei. Die Geschäfte liefen bis zur Katastrophe gut.

Erdbebenopfer fühlen sich verlassen
A sheep is seen in front of the Montecitorio Palace during a protest held by farmers from the earthquake zones of Amatrice, in Rome, Italy March 7, 2017. REUTERS/Max Rossi

Die soziale Struktur in den Bergdörfern ist zusammengebrochen. Nur mehr ein harter Kern ist in Wohnwägen vor Ort. Dieses Jahr war der Winter in der Apenninregion mit den stärksten Schneefällen der vergangenen fünfzig Jahre besonders hart. "Es dauert alles sehr lang. In die Containerhäuser konnte bisher auch noch niemand einziehen. Ursprünglich war von der Eröffnung bis Ostern die Rede, aber das wird sich verzögern, weil es geht alles sehr langsam voran. Aber wozu die ganze Bürokratie notwendig ist, verstehe ich nicht", wundert sich Carmine Monteforte. Sein altes Steinhaus, das in der "roten Zone", dem verwüsteten Stadtkern, liegt, wurde komplett zerstört. Der Direktor des "Pro Loco"-Verbandes zur Pflege lokaler Tradition und Kunsthandwerk ist dennoch um Optimismus bemüht: "Wir sind Bergbewohner und geben nicht so schnell auf."

Feuerwehrleute, Militär, Carabinieri und Zivilschutz-Mitarbeiter sind in Amatrice auch sechs Monate nach der Katastrophe im Dauereinsatz. Zur Stärkung gönnen sie sich einen Espresso in der "Bar del Rinascimento", der "Bar der Wiedergeburt". Fabio Magnifici, früher Antiquitätenhändler hat das Lokal neu eröffnet: "Es ist wichtig, dass die Leute, die in Amatrice geblieben sind, einen Treffpunkt haben. Wenn auch wir den Ort verlassen, dann kümmert sich keiner mehr."

Fußballstar Roberto Baggio feierte seinen 50. Geburtstag mit der betroffenen Bevölkerung. Nach vielen Selfies wird er später in die TV-Kameras sagen, dass es sein bisher berührendster Geburtstag war. "Man muss sich selbst ein Bild von der Lage machen. Im Fernsehen ist nicht zu sehen, was die Leute hier wirklich durchmachen."

Leben in Sporthallen

Viele Menschen müssen in Containern ausharren, knapp 2000 Menschen schlafen noch immer in Sporthallen und Schulen. Wann die vierhundert Notunterkünfte in provisorischen Fertigteilhäusern, "Casette", genannt, in Amatrice und Accumoli bezugsfertig sind, kann niemand genau sagen. Die Schäden belaufen sich insgesamt auf geschätzte 23 Milliarden Euro. Der Zivilschutz betreut derzeit 12.000 Personen. Knapp 10.000 Menschen sind in Hotels an der Adriaküste untergebracht. Die Regierung hat bisher 22 Millionen für die Unterbringung der Menschen ausgegeben. Bei Solidaritätsaktionen wurden zwölf Millionen Euro gespendet. In der umbrischen Gemeinde Norcia konnten Familien kürzlich in neu errichtete Holzhäuser einziehen. "Wir kämpfen um ein normales Leben, auch wenn die Schwierigkeiten enorm sind", betonte Bürgermeister Nicola Alemanno.

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