Wer mit wem und warum

Aus Knochen rekonstruieren Forscher unsere Vergangenheit
Eine Erbgut-Analyse belegt: Inzucht unter Neandertalern kam gar nicht so selten vor.

Der Platz hat was: Eine Höhle bietet Schutz vor Raubtieren und schlechtem Wetter, wenige Meter entfernt plätschert ein Bach und die Aussicht auf das Altai-Gebirge ist sowieso grandios. Kein Wunder, dass hier, nahe der Grenze zu Kasachstan und der Mongolei, schon in der Steinzeit Menschen siedelten. Menschen? Nicht nur: Moderner Mensch, Neandertaler und Denisova-Mensch gaben sich hier ein fröhliches Stelldichein, wie Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig jetzt herausgefunden haben.

Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Kay Prüfer und Svante Pääbo hat das Genom einer Neandertalerfrau in sehr hoher Qualität entziffert. Und verblüfft festgestellt, dass sich Homo sapiens, Neandertaler und Denisovianer selten, aber doch miteinander fortgepflanzt haben.

Rückblick

Doch von Anfang an: 2008 gruben Anthropologen in der Denisova-Höhle im Altai-Gebirge einen prähistorischen Knochen aus – das Endglied des kleinen Fingers einer Menschenhand. Das zugehörige etwa sechsjährige Kind entpuppte sich als einmalig: Bei der DNA-Untersuchung stach plötzlich eine völlig unbekannte DNA-Sequenz hervor – eine neue Menschenform war entdeckt.

2010 fanden die Wissenschaftler in der Höhle weitere Knochen, drangen mit einem Zahnarzt-Bohrer tief ins Innere ein und holten die Erbsubstanz heraus. „Das jetzt analysierte Material stammt von einem Zehenknochen (Bild unten)“, sagt Kay Prüfer. Er ging erst wie selbstverständlich davon aus, dass es sich um einen Denisova-Menschen handelt. Irrtum! Die Analyse ergab, „dass der größte Teil, nämlich 70 Prozent des Erbgutes, vom Neandertaler stammen“.

Prüfer schwärmt von den großartigen Bedingungen in der Höhle. Es sei kalt, so „als hätte jemand die DNA vor 50.000 Jahren für uns in den Kühlschrank gelegt“. So konnte der Forscher jetzt detaillierte Einblicke in die Verwandtschaftsverhältnisse von Neandertalern und anderen ausgestorbenen Menschengruppen gewinnen.

Bei den Untersuchungen ist den Genetikern aufgefallen, dass große Teile der Chromosomen, die wir von Mutter bzw. Vater vererbt bekommen, identisch sind. Prüfer folgert: Die Eltern waren miteinander verwandt. „Wir führten verschiedene Inzucht-Szenarien am Computer durch und entdeckten, dass die Eltern dieser Neandertalerfrau entweder Halbgeschwister mütterlicherseits, Großcousin und Großcousine, Onkel und Nichte, Tante und Neffe, Großvater und Enkelin oder Großmutter und Enkelsohn gewesen sein müssen“, sagt Montgomery Slatkin, Populationsgenetiker der Universität Berkeley und an der Studie beteiligt, die heute in Nature veröffentlicht wird.

Weitere Untersuchungen ergaben, dass Neandertaler und Denisova-Menschen in kleinen Gruppen lebten und Inzucht in Neandertalergruppen möglicherweise üblicher war als in modernen menschlichen Populationen. „Das muss nicht unbedingt Sitte gewesen sein, sondern könnte aus der Not der kleinen Gruppen geboren worden sein“, sagt Prüfer.

Jeder mit jedem

Die Ergebnisse zeigen, dass ein Gen-Fluss zwischen den Gruppen üblich war, wenn auch in kleinem Umfang. „Wir gehen davon aus, dass etwa 0,5 Prozent des Denisova-Genoms vom Neandertaler stammt“. Für uns moderne Menschen bedeutet das nun, dass „wir als Mitteleuropäer sicherlich ein bisschen Neandertaler in uns tragen. Die Prozentzahl wird bei ihnen und mir wohl zwischen 1,5 und 2,1 liegen“, sagt Prüfer. Die Denisovaner dagegen stecken mit einem Erbgut-Anteil von 6 Prozent bis heute in australischen Ureinwohnern und Ozeaniern. Und auch das Genom von Festland-Asiaten und Amerikanischen Ureinwohnern geht zu 0,2 Prozent auf Denisova-Menschen zurück.

Das führt Slatkin zu einem Fazit, das allerdings nur ein vorläufiges ist: „Die Untersuchung zeigt, dass die Geschichte des Menschen sehr kompliziert ist. Es gab zahlreiche Kreuzungen – und manche haben wir sicher noch nicht entdeckt.“

Wer mit wem und warum

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