Endstation Asien: Schiffsmüllhalde der Welt

Schiffswracks so weit das Auge reicht.
Vier von fünf ausrangierten Schiffen werden an nur drei Orten auf der Welt abgewrackt – tödliche Gefahr für Mensch und Umwelt inklusive.

Wenn Sie diese Zeilen lesen, ist von jenem Schiff, das für eine der größten Öl-Katastrophen der Geschichte verantwortlich ist, nur mehr ein kümmerlicher Rest geblieben. Die Rede ist von der Exxon Valdez, jenen Supertanker der 1989 vor der Küste von Alaska auf Grund gelaufen war und Küste und Meer mit tausenden Tonnen Öl verpestet hatte. Der indische Supreme Court hatte im Juli dieses Jahres dem nunmehr unter dem Namen Oriental N fahrenden Tanker grünes Licht gegeben, an der indischen Westküste verschrottet zu werden. Am 2. August 2012 lief die ehemalige Exxon Valdez am Strand von Alang auf Grund.

Jedes Jahr erreichen weltweit etwa 800 Schiffe das Ende ihrer Lebensdauer. Sie werden abgewrackt,  in ihre Einzelteile zerlegt, hauptsächlich um den kostbaren Stahl wiederverwerten zu können. Insgesamt können so fast 97 Prozent aller Schiffsbestandteile weiter Verwendung finden. Doch der Preis für diese Art des „Recyclings“ ist hoch.

Mehr als 80 Prozent dieser Schiffe werden nicht in modernen Docks, von geschulten Arbeitern mit entsprechenden Maschinen und Schutzkleidung bearbeitet, sondern in den tropischen Gewässern entlang des indischen Subkontinents an flachen Küstenstreifen auf Grund gefahren.

Dort machen sich zehntausende Arbeiter - ohne Ausbildung, ohne Hilfsmittel, meist barfuß - an die Arbeit die großteils stark mit Asbest, Bleifarben oder anderen krebserregenden Substanzen belasteten Schiffe per Hand ihrer weiteren Bestimmung zuzuführen.

Begriffe wie geregelte Arbeitszeit, faire Bezahlung oder Kündigungsschutz gelten hier nicht. Für oft weniger als zwei Euro am Tag setzen bitterarme Tagelöhner täglich ihr Leben aufs Spiel. Etwa ein Fünftel der Arbeitskräfte ist noch nicht einmal 15 Jahre alt. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei knapp 40 Jahren – Spätfolgen nicht inbegriffen. Die Strände werden zu Friedhöfen – für Menschen und Schiffe gleichermaßen.

Fahnenflucht

Woher kommen aber diese Schiffe und wie ist ein solches Vorgehen mit geltendem Recht vereinbar? Die Schiffseigner stammen vielfach aus den wohlhabenden Industriestaaten der westlichen Welt, lassen ihre Flotten aber meist nicht unter ihrer eigentlichen Heimatflagge in See stechen.

Grund dafür ist: Fahren die Schiffe unter einigen wenigen Flaggen (eine Auflistung finden Sie im Anhang) spricht man vom „Ausflaggen“. Dadurch entstehen geringere Kosten durch weniger Steuern und niedrigere bürokratische Hürden – und – daraus resultierend: „keine Fragen“ bei der Entsorgung. Alleine zwei von drei Schiffen aus der EU laufen unter einer „Bequemlichkeitsflagge“ in Südasien an die Küste.

Solche „Bequemlichkeitsflaggen“ sind als juristische Schlupflöcher zu verstehen, zumal es zum Beispiel den Staaten der Europäischen Union durch eine Verordnung über die Verbringung von Abfällen ausdrücklich verboten ist, Müll in wenig entwickelte Länder der Welt zu verschiffen. Weltweit sollte dagegen das Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung greifen, welches 1989 von insgesamt 176 Staaten unterzeichnet wurde (einige Staaten, unter anderem die USA haben es jedoch nie ratifiziert). Erweiterungen oder neuere, weitergehende Abkommen fanden erst gar nie Anwendung. Es bleiben lokale Gesetze und Verbote, die aber weder streng exekutiert, noch judiziert werden. Zu viel Geld steht für zu viele Beteiligte auf dem Spiel.

Kampf gegen Windmühlen

Die gängige Praxis aufzubrechen, und die Schiffseigner zu einer verantwortungsvolleren und nachhaltigeren Abwrackstrategie zu bewegen, scheint in absehbarer Zukunft schwer vorstellbar. Zumal die Seeschifffahrt als Wirtschaftszweig mit eigenem Recht und Institutionen relativ abgekoppelt funktioniere und keinem Endverbraucher Rechenschaft ablegen müsse, kritisiert Patrizia Heidegger, CEO der Shipbreaking Platform, einer NGO die sich dem Schutz von Umwelt-, Menschen- und Arbeitsrecht in der Schiffsabwrackindustrie verschrieben hat.

„Falls Sie sich doch einmal rechtfertigen, dann wird neben dem „Kostenfaktor“ auch damit argumentiert, dass es weltweit zu wenig Kapazitäten gäbe um die Schiffe ordnungsgemäß aus dem Verkehr zu ziehen“, beklagt Heidegger im KURIER-Interview (siehe unten).

So lange Eigner keinerlei rechtliche Konsquenzen fürchten müssen und die Praxis der „Ausflaggung“ kein Ende findet, so lange hohe Gewinne schwerer als ökologische Verantwortung gewichtet werden, so lang wird auch weiterhin die große Mehrheit der Schiffe dieser Welt an einem tropischen Strand ihr Ende finden.

Endstation Asien: Schiffsmüllhalde der Welt
Der triste Arbeitsalltag an den Stränden Südasiens.
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Metallwüsten überziehen die Strände.
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Von West nach Ost: Gaddani, Alang, Chittagong

SHIPBREAKING - Zahlen und Daten | Create infographics

Alle Daten beziehen sich auf die Jahre 2009 bis 2011* Jene Länder Europas die in diesem Zeitraum Schiffe an die Strände Südasiens geschickt haben** Unter diesen Flaggen liefen die in der ersten Grafik beschriebenen Schiffe an den Stränden auf="13">

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REUTERSLabourers pull an iron rope before separating a portion of a ship into scrap metal at Gaddani ship breaking yard, about 60 km (37 miles) from Karachi November 25, 2011. Pakistan is full of dangers, with tens of thousands of victims of suicide bomb
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Gaddani
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REUTERSLabourers pull an iron rope while working on a ship to separate it into scrap metal at Gaddani ship breaking yard, about 60 km (37 miles) from Karachi November 25, 2011. Pakistan is full of dangers, with tens of thousands of victims of suicide bomb
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REUTERSA labourer uses a blow torch to separate parts of a ship for scrap metal at Gaddani ship breaking yard, about 60 km (37 miles) from Karachi November 25, 2011. Pakistan is full of dangers, with tens of thousands of victims of suicide bombings, secta
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Pakistani labourers stand infront oil tanker Sea-Giant at Gaddani shipbreaking yard, 60 km from Karachi September 13, 2003. Like a gigantic steel whale 10 stories high and longer than the Eiffel Tower is tall, the second-biggest ship ever built sits waiti
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REUTERSA labourer climbs a ladder held by others, while working onboard a ship, separating it into scrap metal at Gaddani ship breaking yard, about 60 km (37 miles) from Karachi November 24, 2011. Pakistan is full of dangers, with tens of thousands of vic
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REUTERSA labourer uses a blow torch to separate a portion of a ship into scrap metal at Gaddani ship breaking yard, about 60 km (37 miles) from Karachi November 25, 2011. Pakistan is full of dangers, with tens of thousands of victims of suicide bombings,
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REUTERSLabourers stand on a makeshift cable carriage which transports them onto a ship to separate it into scrap metal at Gaddani ship breaking yard, about 60 km (37 miles) from Karachi November 24, 2011. Pakistan is full of dangers, with tens of thousand
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Pakistani labourers work at Gaddani shipbreaking yard, 60 km from Karachi. Like a gigantic steel whale 10 stories high and longer than the Eiffel Tower is tall, the second-biggest ship ever built sits waiting for destruction on what could be a beautiful A
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Pakistani labourers take a break at Gaddani shipbreaking yard, 60 km from Karachi. Like a gigantic steel whale 10 stories high and longer than the Eiffel Tower is tall, the second-biggest ship ever built sits waiting for destruction on what could be a bea
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Pakistani labourers use trolly to board oil tanker Sea-Giant at Gaddani shipbreaking yard, 60 km from Karach. Like a gigantic steel whale 10 stories high and longer than the Eiffel Tower is tall, the second-biggest ship ever built sits waiting for destruc
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dapdIn this Saturday, June 30, 2012 photo, the Exxon Valdez is anchored some six nautical miles off the Bhavnagar coast near Alang ship-breaking yard in western Indian state of Gujarat, India. Gujarat Maritime Board (GMB) has given permission to the ship
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REUTERSA labourer, his face covered to guard against sawdust, grinds away a portion of a wooden cargo ship during its overhaul in Karachis Fish Harbour July 15, 2012. The process of overhauling a boat takes about a week, in which the boat is brought to dr
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REUTERSBeach goers feed pigeons in Mumbai where a cargo ship ran aground due to rough weather June 12, 2011. The 175-metre-long ship named Wisdom, which was being tugged to the Alang scrapyard in Gujarat from Colombo, broke away due to rough weather and d
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Alang
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REUTERSWorkers stand beside a decommissioned ship at the Alang shipyard, about 260 km (162 miles) west from the western Indian city of Ahmedabad, in this February 25, 2009 file photo. A global economic slowdown has hit industries ranging from automakers t
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REUTERSWorkers dismantle a decommissioned ship at the Alang shipyard, about 260 km (162 miles) west from the western Indian city of Ahmedabad, in this February 25, 2009 file photo. A global economic slowdown has hit industries ranging from automakers to i
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REUTERSWorkers work at a ship breaking yard in Chittagong August 19, 2009. Bangladesh is dependent on shipbreaking for its domestic steel requirements. The shipbreaking industry is not subjected to any environmental laws or health and safety regulations f
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REUTERSA worker works on a broken part of a ship at a ship breaking yard in Chittagong August 19, 2009. Bangladesh is dependent on ship breaking for its domestic steel requirements. The ship breaking industry is not subject to any environmental laws or he
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Chittagong
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REUTERSWorkers weld a wrecked part of a ship at a ship-breaking yard in Chittagong August 19, 2009. Bangladesh is dependent on shipbreaking for its domestic steel requirements. The Chittagong shipbreaking yard is a highly polluted coastal belt of 20 km.
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dapdPeople play in the sea against the backdrop of merchant ship MV Wisdom which ran aground at Chowpatty Beach in Mumbai, India, Friday, June 17, 2011. The ship went adrift after breaking loose while being towed from Colombo to Alang in Gujarat, for bein
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REUTERSWorkers are seen at a common residence nearby a ship-breaking yard in Chittagong August 21, 2009. The ship-breaking industry has been polluting the environment of the locality since it started in 1971, posing a serious threat to the health of nearb

KURIER: Den Schiffs- bzw. Reederei-Eignern sind die Zustände an den Küsten Südasiens doch sicher bekannt: Mit welcher Argumentation (abgesehen vom Kostenfaktor) rechtfertigen die Eigner die Tatsache, dass Sie im Jahr 2012 Zustände in Kauf nehmen wie sie in Europa bereits vor mehr als 100 Jahren abgeschafft wurden?Patrizia Heidegger: Die Eigner rechtfertigen sich generell recht wenig. Da der Wirtschaftszweig mit eigenem Recht und Institutionen relativ abgekoppelt funktioniert und auch keinen direkten Endverbraucher kennt (Anm. der Redaktion: Abgesehen von den großen Kreuzfahrtschiffen) sehen die Eigner auch keinen unmittelbaren Zwang sich zu rechtfertigen. Falls Sie sich doch einmal rechtfertigen, dann wird neben dem „Kostenfaktor“ auch damit argumentiert, dass es weltweit zu wenig Kapazitäten gäbe um die Schiffe ordnungsgemäß aus dem Verkehr zu ziehen. Allein in Nordamerika wären schon heute freie Kapazitäten vorhanden, um alle Schiffe, die unter europäischer Flaggen fahren, zu verschrotten - da wird dabei außer acht gelassen. Es fehlt einfach das nötige Commitment, sich um saubere Lösungen zu kümmern.

Endstation Asien: Schiffsmüllhalde der Welt

Wie viel würde eine sachgemäße Abwrackung in einem europäischen Land, zum Beispiel Deutschland kosten und in welcher Relation steht dieser Wert zu den Kosten in Alang, Chittagong oder Gaddani? Diese Frage lässt sich fast nicht allgemein gültig beantworten. Umso größer das Schiff, umso mehr Geld kann der Eigner durch die Verschrottung seines Schiffes noch herausholen, je nach aktuellem Stahlpreis bewegt man sich zwischen Millionenbeträgen. Im Gegenzug entstehen Kosten für die Entsorgung der Giftstoffe. Die Rechnung zahlen im aktuellen Fall die Umwelt und die Arbeiter mit ihrer Gesundheit vor Ort. In einer europäischen Werft muss natürlich für umweltgerechte Entsorgung bezahlt werden, so dass die Reedereien weniger Geld durch den Verkauf der Schiffe verdienen können. Je nach Menge der Giftstoffe an Bord, kann der Eigner dann eben entsprechend weniger Profit machen, als auf einem Strand.

Was müsste ihrer Meinung nach passieren, um die Eigner zu einem Umdenken zu bewegen? Es müssten Anreize geschaffen werden. Eine „grüne Versicherung“ beispielsweise, welche die Eigner zurückbekämen, würden sie ihre Schiffe entsprechend entsorgen. Der andere Weg wäre, bereits beim Bau auf Nachhaltigkeit, und soweit möglich auf umweltgerechte Materialien zu setzen. Vor allem in der EU nimmt die Entwicklung aber genau die entgegengesetzte Richtung: Anstatt, wie Beispielsweise beim Elektroschrott den Export in Entwicklungsländer zu verhindern, sieht es eher nach einer Aufweichung der Exportkriterien bzw. einer Legalisierung aus. Europa muss sich seiner Vorreiterrolle bewusst werden, immerhin gehören 40% der Welthandelsflotte Europäern.

Wurde bereits Klage gegen Schiffseigner oder Besitzer der „Werften“ eingebracht? Wenn ja, welche Vergehen werden zur Last gelegt?Da das bestehende internationale Umweltrecht auf den Exportstaaten sowie auf Flaggen, aber nicht auf Eignern basiert, konnten Rechtssprüche ihre Wirkung noch nicht so weit entfalten. Was es dagegen bereits gab, waren strategische Gerichtsverfahren gegen Behörden. So konnte beispielsweise die Verschiffung des französischen Kriegsschiffs Clemenceau nach Indien verhindert werden – das Schiff musste dann in England seiner Bestimmung zugeführt werden.

Welche Gefahren/Konsequenzen ergeben sich durch die unsachgemäße Abwrackung für die umliegende Flora und Fauna? Es sind nicht nur die entsprechenden Strandabschnitte (sogenannte Plots) komplett verseucht, auch die Küstengewässer der Umgebung sind durch auslaufende Stoffe wie Öl-Wasser-Gemische stark belastet. Manche (Krusten)Tierarten sind entlang der Abwrack-Strände bereits heute komplett ausgestorben – das hat in der Folge natürlich Auswirkungen auf Ernährung und Fischereiwirtschaft der Gegend. Die giftigen Abfälle aus den Schiffen werden weitertransportiert und in engster Nähe zu Wohnvierteln weiterverarbeitet. Vorgänge wie das sogenannte „Cable smouldering“ – also das Verbrennen von Kabelwerk, um an sein Kupfer zu kommen – setzten giftige Gase und Schadstoffe in der Luft frei, welche windbedingt die umliegenden Gegenden zusätzlich belasten. In Indien geschieht diese Mitten in Städten.

Wenn Sie einen Wunsch zur Verbesserung der Lebenswelten der Arbeiter an den Stränden Südostasiens frei hätten, welcher wäre das und warum? Das „Beaching“ der Schiffe gehört komplett abgeschafft, es ist das Grundübel einer ganzen Industrie.

 

Trailer zum Film "Ironeaters" von Shaheen Dill-Riaz aus dem Jahr 2007

Dok-Film "Into the Graveyard - Teil 1" von der The Mumbai Port Trust Dock & General Employees’ Union

Dok-Film "Into the Graveyard - Teil 2" von der The Mumbai Port Trust Dock & General Employees’ Union

Trailer zu Michael Glawoggers "Workingman's Death"

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