Speckfabrik auf einstigen Nazi-Gründen

Neben der neuen Produktionsstätte stand einst ein Zwangsarbeiter-Lager
Handl baut Produktion auf historisch belastetem Areal aus. Unternehmer ließ Geschichte auf Gelände aufarbeiten. Bauern stellen Ansprüche auf Gründe

Die Bauarbeiten sind im vollen Gang. Im Sommer 2018 will der Speckfabrikant Handl aus dem Tiroler Oberland die Produktion am neuen Standort in Haiming (Bezirk Imst) aufnehmen. Doch in den vergangenen Wochen haben auf diesen bislang brach liegenden Wiesen nicht nur die Bagger viel Staub aufgewirbelt.

Das gesamte Areal ist historisch belastet. Die Nazis wollten hier einst zunächst Ötztaler Wasser für ein Kraftwerk nutzen. Später sollte ein Windkanal errichtet werden, um darin eine "Wunderwaffe" zu entwickeln (siehe Zusatzartikel). Auf dem nun von Handl bebauten Gelände war der Bauhof für diese Projekte angesiedelt. Auf einem Grundstück östlich davon, auf das die Firma eine Kaufoption hat, waren Zwangsarbeiter in einem Lager inhaftiert.

Das Vorhaben hat international für Schlagzeilen gesorgt. Christian Handl, Geschäftsführer des Familienunternehmens, kann die Aufregung nicht ganz nachvollziehen: "Wir wollten nicht, dass die Bagger einfach drüber rollen", erklärte er am Mittwoch bei einer Pressekonferenz. Vielmehr habe man bereits im November nach Gesprächen mit dem Bundesdenkmalamt freiwillig eine historische Aufarbeitung beschlossen. Die Ergebnisse der von Handl mit 250.000 Euro finanzierten Untersuchungen wurden gestern präsentiert.

"Das Areal, das bebaut wird, ist nicht das Zwangsarbeiter-Lager", betonte Karsten Wink, Geschäftsführer von Ardis Archäology, der die Grabungsarbeiten geleitet hat. Dabei wurden Fundamente alter Gebäude freigelegt und dokumentiert. Handl plant, ein kleines Dokumentationszentrum einzurichten. "Es ist wichtig, dass wir mit der Geschichte sachlich und respektvoll umgehen. Wir haben unseren Teil gemacht", sagt Handl.

Abgepresste Wiesen

Doch das Gelände ist auch anderweitig historisch belastet. Haiminger Bauern mussten in den 1940er-Jahren Gründe mit einer Fläche von 20 Hektar an die Nazis bzw. an die Westtiroler Wasserkraftwerke AG abtreten. Als deren Rechtsnachfolger hat der Landesenergieversorger Tiwag nun einen Teil dieser Wiesen an Handl verkauft, der sich auch den Rest der Gründe für künftige Betriebserweiterungen gesichert hat. "Der Großteil der Wiesen wurde unter Druck abgepresst", sagt Anton Raffl, der gemeinsam mit 33 weiteren Nachfahren der Bauern auf ein Rückkaufrecht pocht.

Das Land als Eigentümer der Tiwag lässt nun die von Raffl vorgelegten Dokumente rechtlich prüfen. Die Tiwag selbst kündigte gestern zudem "eine wissenschaftliche Aufarbeitung zum Thema NS-Zwangsarbeit in der Tiroler Elektrizitätswirtschaft" durch einen unabhängigen Historiker an.

Die Nationalsozialisten hatten große Pläne im kleinen Haiming am Eingang zum Tiroler Ötztal. Zunächst sollte am Fuße des Ambergs ein Kraftwerk errichtet werden. Mit Ötztaler Wasser wollte man hier Strom für das Dritte Reich produzieren. Ansässige Bauern verkauften den Nazis für das Projekt – vermutlich nicht immer freiwillig – Wiesen im Umfang von 20 Hektar als Baugrund (siehe Hauptartikel). 1941 begannen die Bauarbeiten. "Aber bereits 1942 wurde das Kraftwerk zugunsten eines Windkanals auf Eis gelegt", berichtet Archäologin Barbara Pöll, die ander historischen Aufarbeitung des Areals mitwirkt.

Wie schon beim Kraftwerk wurden die Arbeiten am Windkanal zwar begonnen, aber nie fertiggestellt. Bis heute zeugt ein Stollen im Berg von der geplanten Anlage, in der die Nazis Windgeschwindigkeiten von bis zu 1000 km/h erzeugen wollten.

Hier hätte eine "Wunderwaffe" entwickelt werden sollen: Der von den Messerschmitt-Werken gebaute Kampf-Düsenjet ME 262 sollte so weit aufgerüstet werden, dass er New York erreichen und bombardieren hätte können.

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