Sauberkeit und Sozialstaat heben das Sicherheitsgefühl

Krankheit und Jobverlust sind die wahren Ängste der Österreicher
Nachgefragt. Mit der tatsächlichen Kriminalität hat das Empfinden wenig zu tun. Der Kriminalsoziologe Walter Fuchs erklärt, was Vertrauen schafft.

Walter Fuchs ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie.

KURIER: Um das Sicherheitsgefühl ist es in Österreich schlecht bestellt – zumindest wenn man den Politikern zuhört. Stimmt das so?

Walter Fuchs: Nach allen Daten, die uns zur Verfügung stehen, ist es nicht so, dass dieses Gefühl dramatisch abgenommen hätte, es ist konstant hoch. Aber es gibt eine Einschränkung: Noch gibt es nicht allzu viele Daten nach 2015 und somit Belege, ob der Zustrom von Flüchtlingen verunsichert hat.

Gibt es regionale Unterschiede?

Die sind weniger ausgeprägt, als man glauben könnte. Es ist nicht so, dass sich die Leute in der Großstadt automatisch unsicherer fühlen.

Aber am Land fühlt man sich sicherer?

Tendenziell ja. Das ist aber nicht immer rational zu erklären. Die Leute gleichen das nicht mit dem objektiven Risiko ab. Es gibt kaum einen Zusammenhang zwischen der tatsächlichen Kriminalität und dem Sicherheitsgefühl.

Was sagt die Kriminalstatistik über das Sicherheitsgefühl aus?

Es wäre naiv zu glauben, man braucht nur in die Statistik schauen und wüsste, was los ist. Theoretisch müsste man sehen: Je mehr Kriminalität, desto mehr Unsicherheit. Was Sie im internationalen Vergleich sehen, ist aber eher das Gegenteil. Etwa in Schweden, Irland oder Belgien. Dort werden viele Straftaten registriert, aber die Leute fühlen sich sicher. Die Kriminalstatistik misst zum guten Teil auch, wie sehr die Bevölkerung der Polizei vertraut und wie sehr die Leute die Bereitschaft haben, Straftaten anzuzeigen.

Wie hoch ist dieser Anteil?

Es gibt unterschiedliche Schätzungen je nach Deliktsbereich. Ich habe das selbst einmal über die Jugendgewalt erhoben. Nur jede fünfte Straftat in diesem Bereich wird angezeigt, der Rest wird anders geregelt. Entscheidend bei Anzeigen ist auch, was man sich davon erhofft. Vielleicht benötigt man die Anzeige für die Versicherung. In Ländern wie Bulgarien, Litauen oder der Slowakei – allesamt Staaten mit totalitärer Vergangenheit – ist das Verhältnis zur Polizei ein anderes. Dort wird nicht gleich angezeigt.

Ein neues Sicherheitspaket ist in Planung. Ein notwendiger Schritt?

Die polizeiliche Kriminalstatistik gibt das nicht her, das man sagen muss, man muss neue Sicherheitsmaßnahmen ergreifen. Es gibt natürlich Einzelfälle, über die auch in den Medien breit berichtet wird und die für Bedenken sorgen. Zum Beispiel Sexualdelikte durch Asylwerber. Die gibt es, das kann man nicht schönreden. Aber die statistische Wahrscheinlichkeit ist extrem gering. Das hilft natürlich den Opfern nichts.

Werden Orte, die oft in den Medien vorkommen automatisch zu Angsträumen?

Am Wiener Praterstern gab es diese furchtbare Vergewaltigung. Aber warum der Platz zu einem Angstraum wurde, ist komplexer. Verunsicherung gab es wegen der Obdachlosen, die tagsüber Alkohol trinken, der kleinen Dealereien und weil dort viele Menschen unterwegs sind.

Hilft die Kameraüberwachung, damit sich die Menschen sicherer fühlen?

Videoüberwachung, etwa in U-Bahnen, kann dazu beitragen, sie hilft auch bei der Aufklärung von Straftaten. Auf großen Parkplätzen bei Einkaufszentren schreckt sie Autoeinbrecher ab. Es kann aber auch das Gegenteil bewirken: Dass sich die Leute denken, hier könnte es unsicher sein.

Rund um große Märkte war zuletzt auch immer schwer bewaffnete Polizei zu sehen.

Das sind Maßnahmen, mit denen man die Bevölkerung beruhigen will – etwa nach der Amokfahrt in Berlin. Ob es viel bringt, ist schwer zu sagen. Ich muss zugeben, ich habe mich unmittelbar nach der Amokfahrt selbst bei dem Gefühl ertappt: Soll ich jetzt Menschenmengen meiden?

Haben Sie es getan?

Nein.

Hat das Sicherheitsgefühl etwas mit den Lebensumständen, mit Bildung, mit dem sozialen Umfeld zu tun?

Ja. Je mehr ich mich sozial abgesichert fühle, desto weniger Angst habe ich tendenziell. Bildung und soziale Absicherung korrelieren positiv mit dem Sicherheitsgefühl. Was auch ein wichtiger Einfluss sein dürfte, ist die wohlfahrtstaatliche Absicherung. Dadurch haben die Menschen das Gefühl, gegen grundlegende Risiken des Lebens wie Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Pflegebedürftigkeit geschützt zu sein. Eine entsprechende Untersuchung gibt es auch für Wien. Es gibt den Menschen Sicherheit, dass die Stadt gut verwaltet ist, die U-Bahn pünktlich fährt und die 48er (Müllabfuhr, Anm.) funktioniert. Gerade das ist extrem wichtig.

Sauberkeit und Ordnung?

Das klingt spießig, ist aber so. Es gibt die Theorie, dass die Kriminalität in einem Stadtviertel steigt, in dem es unsauber ist und das verlassen aussieht. Dadurch setzt sich eine Abwärtsspirale in Gang. Sauberkeit reduziert nicht allein Kriminalität. Aber es ist ein Mosaikstein.

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