Reise der Lemminge
Manches verstehe ich nicht. Sylt zum Beispiel. Das liegt nicht am Dialekt der Nordfriesen. Sie sagen konsequent morgens, mittags und um Mitternacht "Moin". Da kommt es nicht so schnell zu Missverständnissen.
Was ich nicht verstehe, sind die Wahl-Sylter. Man erkennt sie von weitem an ihrem schwarzen Porsche Cayenne, auf dem sie mit einer auffälligen Verlässlichkeit ein Hamburger Nummernschild angeschraubt haben. Sie kaufen sich auf der Insel Häuser, die teurer sind als irgendwo auf dem deutschen Festland. Dafür erreicht man das um 10 Millionen Euro erworbene Anwesen schwer und es schaut aus wie alle anderen in der Straße: Backstein, drauf ein Reet-Dach, und das Grundstück abgesteckt mit einem Friesenwall, also großen, runden Steinen, die hüfthoch gestapelt werden. Überall hoppeln Kaninchen. Insulaner bezeichnen sie als "Plage", Touristen als "sooo süß"!
Die Szenerie erinnert an das Land der Hobbits – auch wenn das Klima rauer ist. Einen Bikini braucht man die meiste Zeit im Jahr so dringend wie Winterreifen in Dubai. Dafür gibt es auch hier viel Sand. Noch. Die Nordsee frisst jährlich eine Million Kubikmeter Sand von der Küste weg, die dann mühsam wieder aufgeschüttet werden. Sandspielen für Fortgeschrittene also.
Die heraufbeschworene Immo-Blase auf Sylt ist – im Gegensatz zu jener in Dubai – nie geplatzt. Im Gegenteil. Noch mehr Menschen drängen auf die Insel. Schließlich waren auch Thomas Mann, Marlene Dietrich oder Gunter Sachs da. Und jetzt kann man hier immerhin noch Jogi Löw oder Günther Jauch über den Weg laufen. Oder einfach in der Sansibar sitzen und der Sonne beim Untergehen zuschauen.
So gesehen verhalten sich die Reichen wie Lemminge, die ihren Artgenossen folgen. Oder wie Touristen, die zu den gerade gehypten Stränden pilgern – einfach weil es alle tun. Ich fürchte, ich bin jetzt auch ein Lemming.
Mit 20 hab ich "Ich will wieder an die Nordsee, ich will zurück nach Westerland" – beim Ärzte-Konzert mitgegrölt. Urlaub hab ich an der Adria gemacht. Jetzt will ich nach Sylt.
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