Wer schaut bei den Migranten weg?

Deutsche Polizisten finden immer wieder zahlreiche Kriegsflüchtlinge in Zügen aus Österreich. Laut Innenministerium wurden die Kontrollen aber zuletzt verstärkt.
Vorwürfe wegen angeblicher Untätigkeit Österreichs weist das Innenministerium zurück.

Österreich schaut weg," lassen deutsche Polizeibeamte via Medien ausrichten. Beamte der deutschen Bundespolizei mutmaßen, ihre österreichischen Kollegen würden Flüchtlinge ungehindert von Ungarn nach Deutschland passieren lassen.

Schwerpunkt ist die bayrische Grenzstadt Passau. Täglich werden dort etwa 500 aus Österreich kommende Flüchtlinge aufgegriffen. Sie kommen mit der Bahn aus Wien und von der Autobahn. Ein besonders heißer Tipp für die deutschen Polizisten ist der EuroNight 490 von Wien nach Hamburg-Altona, der jeden Abend gegen 23 Uhr in Passau hält. Größere Flüchtlingsgruppen sind dort keine Seltenheit.

Recherchefahrt

Wer schaut bei den Migranten weg?
Journalisten einer bayrischen Wochenzeitschrift haben eine Recherchefahrt gemacht. Denn der Westbahnhof in Wien gelte als Drehscheibe von Flüchtlingen, die über den Balkan und Ungarn einreisen und dann weiter nach Deutschland oder Skandinavien wollen. Die Journalisten wollen am Westbahnhof viele Flüchtlingsgruppen gesehen haben. Auf der Fahrt von Wien nach Passau hätte es durch die österreichische Polizei keine Kontrolle gegeben. Erst in Passau sei die deutsche Bundespolizei eingeschritten. Das Ergebnis in diesem Fall: 30 Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Irak und anderen Kriegsländern wurden aus dem Zug geholt.

Die Folgerung der deutschen Polizisten und Journalisten: "Immer öfter drängt sich der Eindruck auf, Österreich lasse die Züge bewusst ohne Kontrolle nach Deutschland fahren."

Das ist ein schwerer Vorwurf, der fast an mazedonische Zustände gemahnt. Dort bekommen Migranten und Flüchtlinge 72 Stunden Zeit, das Land Richtung Serbien zu durchqueren. Ein parlamentarisches Sondergesetz erlaubt es ihnen sogar, am Weg zur serbischen Grenze Bahn und Bus gratis zu benutzen.

Diesem Vorwurf widerspricht das österreichische Innenministerium heftig. Erst vor wenigen Tagen hatten Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (VP) und ihr bayerischer Amtskollege Joachim Herrmann (CSU) die Zusammenarbeit im Asylwesen gelobt, und gleichzeitig Griechenland und Italien wegen mangelhafter Grenzkontrollen gerügt.

Trinationale Streifen

Wer schaut bei den Migranten weg?
APA18882622-5_27062014 - SALZBURG - ÖSTERREICH: THEMENBILD: Illustration zum Thema "Polizei / Verkehr / Kontrolle": Ein Beamter der Salzburger Verkehrsinspektion hält ein Polizei-Anhaltezeichen mit der Aufschrift "Halt - Polizei" bei einem Fototermin. (ARCHIVBILD VOM 28.05.2014) FOTO: APA/BARBARA GINDL
In einer Stellungnahme weist das Innenministerium darauf hin, dass für Kontrollen 1350 besonders geschulte AGM-Beamte (Ausgleichsmaßnahmen Schengen) aufgeboten werden. Diese Beamten würden auch Kontrollen in den Zügen durchführen. Diese beginnen am Bahnhof Budapest mit trinationalen Streifen mit Beamten aus Ungarn, Österreich und Deutschland. So würde es oft noch auf ungarischem Staatsgebiet gelingen, Flüchtlinge wieder aus den Waggons zu expedieren.

Besondere Bedeutung kommt für das Innenministerium der im November 2014 am Wiener Hauptbahnhof eingerichteten AGM-Dienststelle zu. Diese führt die meisten Kontrollen an der Ost-West-Route durch. In Österreich würden derzeit drei bis vier Kontrollen täglich durchgeführt. Ergänzend kommen zehn Zugkontrollen in überregionalen Zügen pro Woche dazu.

Damit ist klar, dass nicht alle internationalen Züge kontrolliert werden. Trotzdem sind die Aufgriffzahlen zuletzt deutlich gestiegen. Im März wurden von der Wiener AGM-Dienststelle 393 Personen aus den Zügen geholt. Im Juli waren es bereits 1320. Und in der ersten August-Woche gingen 394 Personen ins behördliche Netz. Die oberösterreichische AGM brachte im ersten Halbjahr immerhin 663 illegal Reisende auf.

Illegale Reisegruppen

Auffällig ist das Ansteigen von Gruppen mit 80 Personen und mehr. So wurde vor zwei Wochen von der Wiener AGM eine aus Ungarn kommende, illegale Reisegruppe mit 201 Personen aus dem Zug geholt. Auch am Hauptbahnhof Salzburg wurden bereits zwei Mal große Gruppen gestellt.

Diese Zahlen, so das Innenministerium, würden eindeutig der Aussage widersprechen, bewusst keine Kontrollen durchzuführen.

Mittlerweile versucht die deutsche Polizeigewerkschaft zu kalmieren. In einer Stellungnahme an den KURIER zeigt Jörg Radek, stellvertretender Bundeschef der Gewerkschaft der Polizei, durchaus Verständnis für die Situation der österreichischen Kollegen. "Es herrscht die Haltung vor: Was sollen die Österreicher machen. Sie sind uns nur vorgelagert." Die Problematik müsse europäisch gelöst werden: "Wir können nicht von den Armenhäusern Europas erwarten, dass sie den Druck auf Kerneuropa abwehren", sagt Radek in Anspielung auf Länder wie Griechenland oder Portugal.

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