"Die Wahrheit weiß der liebe Gott"

"Die Wahrheit weiß der liebe Gott"
Werner Pleischl will laufende Ermittlungsverfahren durch den OGH überprüfen lassen.

Die Generalanwälte sind die Kronjuristen der Republik. Wenn sie der Ansicht sind, ein Gesetz wurde nicht richtig angewendet, lassen sie strafrechtliche Urteile vom Obersten Gerichtshof (OGH) überprüfen. Der neue Leiter der Generalprokuratur, Werner Pleischl, strebt ein Vorabentscheidungsverfahren schon während laufender Verfahren an; dort wo es um Grundrechtseingriffe wie U-Haft, Hausdurchsuchung etc. geht: "Zurzeit gibt es ein relativ aufwendiges Korruptionsverfahren, wo wir von einer Staatsanwaltschaft gebeten wurden, die Rechtslage zu prüfen, bevor sie weiterermittelt. Wir schauen uns an, ob wir das an den OGH herantragen. Ich will die Staatsanwaltschaften animieren, sich öfter an uns zu wenden."

KURIER: Staatsanwälte am Gängelband sind ein ständiges Thema. Wie viele Weisungen haben Sie schon erteilt?
Werner Pleischl:
Wenige. Ein halbes Dutzend oder vielleicht ein Dutzend in elfeinhalb Jahren. Wenn man einem Staatsanwalt die Weisung gibt, ein Verfahren einzustellen, in dem er anklagen will, wird man kritisiert. Auch vom KURIER. Weil man sagt, der an der Basis arbeitet, muss es am besten wissen.

Sie plädieren dafür, die oberste Weisungsspitze vom Minister wegzunehmen und beim Generalprokurator zu installieren?
Ja. Ich bin aber auch für andere Lösungen offen. Eine unpolitische Weisungsspitze ist mir wichtig. Was hat die Politik in der Kriminalität verloren? Die Vorstellung, man einigt sich auf den Großvater oder die Großmutter der Nation, der oder die über allem sitzt und alle Interessen ausgleicht, ist nicht realistisch. Die Entscheidungen müssen natürlich kontrollierbar sein, aber nicht nur im Missbrauchssinne, weil man wird ja nicht einen Gesetzesbrecher hinsetzen, sondern in dem Sinn, dass sie sachlich lege artis gefällt wurden. Deshalb ist der Weisenrat eine gute Idee, weil die Entscheidungen des Ministers oder seiner Beamten durch Experten noch einmal fachlich kontrolliert werden. Dafür steht die Generalprokuratur zur Verfügung.

Die Präsentation der Staatsanwaltschaft nach außen wirkt oft unbeholfen. Sollte man sich am professionellen Umgang in Deutschland orientieren?
Wir haben schon viel verbessert. Es ist ein schmaler Grad zwischen Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit und Amtsgeheimnis. Der individuelle Datenschutz gibt jedem das Recht, dass bei einer Hausdurchsuchung grundsätzlich niemand davon erfährt.

Die Hausdurchsuchung bei Karl-Heinz Grasser öffentlich zu machen war also ein Fehler?
Das würden wir heute nicht mehr tun. Das war learning by doing. Aber zum Fall Grasser: Man muss Leute, die in der Öffentlichkeit stehen und mit Verfahrensdetails in die Öffentlichkeit gehen, schon anders behandeln.

Mit dem Mafiaparagrafen wurden Tierschützer kriminalisiert, mit dem Landfriedensbruch Demonstranten. Sind das die richtigen Instrumente, wenn man sonst nichts nachweisen kann?
Bei der kriminellen Organisation hat die Bestimmung nicht ihren Zweck erreicht. Damals war die Befürchtung, man könne nur wenig schwerwiegende Delikte nachweisen, dahinter stünde aber ein Netzwerk, das es zu zerschlagen gelte. Die Praxis hat gezeigt, dass das mit dieser Bestimmung nicht möglich ist, weil man dann den Eindruck hat, es werden relativ wenig gehaltvolle Delikte kriminalisiert.

War das Vorgehen überschießend, und sind die Folgen für die Betroffenen ungerechtfertigt?
Die Folgen hängen nicht an dem Paragrafen. Ich will aber nicht ein spezielles Verfahren kommentieren. Wenn es um schwerwiegende Delikte geht, kann man diesen Paragrafen auch noch anwenden. Aber nicht bei einer nicht auch durch Verbrechen sichtbaren kriminellen Organisation. Beim Landfriedensbruch wiederum geht es nicht ums Demonstrationsrecht. Wenn aus der Teilnahme an einer Demonstration allein ein Delikt entstehen kann, ist das natürlich problematisch. Das haben wir auch beim Raufhandel. Wenn mehrere aufeinander einprügeln und einer ist verletzt, hat jeder, der sich beteiligt hat, für die Verletzung einzustehen. Das könnte man verfeinern.

Apropos Tierschützer-Prozess. Verfahren mit enormem Aufwand wie dieses, aber auch das gegen die Schlepper oder der Rotlicht-Prozess gehen in die Hose. Woran liegt das? Schlechte Ermittlungsarbeit? Überforderte Staatsanwälte?
Über die Staatsanwälte lasse ich nichts kommen. Die Problematik besteht, vereinfacht gesagt, darin, dass ein Tatverdacht allein nicht genügt. Wenn dann Zeugen umfallen, Informationen bei Hausdurchsuchungen nicht gefunden werden, ist es schwierig, im Nachhinein Vorgänge zu rekonstruieren.

Damit muss man teilweise überfordert sein?
So ist es. Damit muss man teilweise leben. Die Wahrheit weiß der liebe Gott, vielleicht der Beschuldigte. Viele verdrängen auch.

Beruhigend ist das nicht.
Aber logisch.

Ist es gerecht, dass man jede Pimperlstrafe besser anfechten kann als Lebenslang bei Mord?
Das ist ein Mangel. Ich sage schon lange, dass wir eine zweite Tatsacheninstanz auch für die großen Schöffen- und Geschworenensachen brauchen. Diese soll nicht der OGH sein. Ich bin für eine dreigliedrige Gerichtsorganisation und dafür, die Unterscheidung Bezirks- und Landesgericht aufzugeben, Einheitsgerichte zu schaffen, das Oberlandesgericht als zweite Tatsacheninstanz einzurichten und darüber den OGH als Rechtskontrolle zu belassen.

Zur Person

Seit 1975 ist Werner Pleischl in der Justiz, zuerst als Richter, dann als Legist im Justizministerium.

Er hat unter anderem die Diversion und das neue Vorverfahren, wonach der Staatsanwalt den U-Richter als Leiter der Ermittlungen abgelöst hat, in Gesetze gegossen.

Ab 2003 war Werner Pleischl Leiter der Wiener Oberstaatsanwaltschaft und ist damit aufgefallen, dass er mittels Weisung an die Staatsanwaltschaft Wr. Neustadt 13 Tierschützer nach drei Monaten U-Haft enthaften ließ. Privat ist Pleischl in seinem Wohnort Purkersdorf Mitglied einer Faschingsgilde.

Zum Amt

Die Generalprokuratur ist nicht oberster Ankläger, sondern Rechtswahrer. Sie erstattet Stellungnahmen (so genannte Croquis) zu Nichtigkeitsbeschwerden von Verurteilten gegen Urteile von Schöffen- und Geschworenengerichten vor dem OGH und muss sich dabei nicht mit dem Standpunkt der Anklagebehörde identifizieren.

Etwa 150-mal im Jahr erheben die 16 Generalanwälte (inklusive Leiter) über Ersuchen von Strafverteidigern oder von sich aus Nichtigkeitsbeschwerden zur Wahrung des Gesetzes, wenn sie eine Gesetzeswidrigkeit entdeckt zu haben glauben. Der OGH muss diesen Beschwerden nicht recht geben, tut es aber in der Regel. Werner Pleischl will die theoretische Möglichkeit ausbauen, auch laufende Verfahren zu prüfen und gerichtlich genehmigte Ermittlungsschritte vom OGH absegnen zu lassen.

Kommentare