Was Perchten von der MeToo-Debatte lernen können

Was Perchten von der MeToo-Debatte lernen können
Bei den Perchtenläufen in ihrer aktuellen Form sollte man "eher von einem exotischen Event sprechen", findet Volkskundlerin und Philosophin Elsbeth Wallnöfer. Und selbst wenn es Brauchtum ist: Auch Perchten müssen sich auf die neuen Zeiten einstellen - vor allem im Umgang mit Frauen.

Wochenende in Kärnten: In Völkermarkt werden bei einem Perchtenlauf sechs Menschen verletzt, einem Buben wird mit einer Rute ins Gesicht geschlagen, ein Mädchen bricht sich bei der Flucht vor den Perchten einen Finger, 13 Polizisten müssen ausrücken. Und in Magdalensberg muss ein 23-Jähriger mit starken Prellungen ins Krankenhaus, nachdem er von Perchten verdroschen wurde.

Einzelfälle? Oder gehört das einfach zu diesem Brauchtum dazu? Vielleicht muss so eine althergebrachte Tradition ja auch ein bisschen aus der Zeit fallen? Und vielleicht sind wir ja auch einfach zu zimperlich geworden?

Für die Volkskundlerin und Philosophin Elsbeth Wallnöfer sind Perchtenläufe nur der aktuell augenscheinlichste Ausdruck eines tiefer liegenden Problems. Die Gesellschaft habe auch sonst ein "natürliches Maß" verloren, sagt Wallnöfer. Neue gesellschaftliche Konventionen müssten erst ausgehandelt werden. Das sehe man an der #Metoo-Debatte und nicht zuletzt eben bei Perchtenläufen, wo junge Mädchen zu den bevorzugten Opfern zählen.

Diese Berichte von außer Kontrolle geratenen Perchtenläufen sind nicht neu. Wieso ändert sich da offenbar nichts?

Elsbeth Wallnöfer: Dass Perchten oder Teufelsgestalten wild sind, gehört zum Charakter dieser Figuren. Dass es während dieser Umzüge auch immer schon vereinzelt zur Anwendung von Gewalt kam, ist auch nicht wirklich neu. Wie wild sie nun zu sein haben, müssen wir gesellschaftlich regeln. Aber es ändert sich nichts bis wenig, weil wir es eben mit einer komplexen Lage zu tun haben: Generell werden wir mehr und mehr gefordert, affektkontrolliert zu handeln. Das dürfen wir nicht und dies sollen wir nicht. Das beginnt schon im Kindergarten. Gleichzeit bestehen wir Menschen aus Freude, Lust, Zorn, Wut. Diese Emotionen müssen seit Menschengedenken „kontrolliert“ werden. Nicht zuletzt hat sich der Mensch Bräuche erfunden, um genau diese Affekte ein wenig zu steuern. Schlüpft man in die Figur „des Wilden“, hat man gewissermaßen wild zu sein. Verborgen hinter der Anonymität einer Maske fällt dies manchem sehr leicht - darüber die Kontrolle zu behalten, offenbar oft schwerer. Führt dies zur Körperverletzung im juristischen Sinne, hat der Verursacher die Folgen zu tragen - unabhängig ob er eine Brauchfigur ist.

Mit "Brauchtum" ist das also nicht zu entschuldigen.

Da immer öfter Vereine oder Tourismusagenturen die Veranstalter sind und geradezu „wildes Treiben garantieren“, sind sie gut beraten, sich juristisch gegenüber den Brauchtreibenden abzusichern. Gesellschaftliche Konventionen bedürfen selbst im Brauchtumsfall manchmal eines juristischen Korrektivs.

Gehört das Schlagen mit Ruten bis hin zu Prellungen wirklich zum Brauchtum dazu?

Schlagen gehört nicht wirklich zum Brauch. Es gibt keine festgeschriebene Regel, die derlei vorsieht. Nun fordern wir von den Brauchgestalten, dass sie ihre Rolle ausfüllen, sie wild sein sollen. Und idealerweise bietet sich da eben die Rute an, die früher als quasi naturgewachsenes Instrument der Züchtigung galt.

Aber ist das noch zeitgerecht? Sollte man Brauchtum nicht an gesellschaftliche Entwicklungen anpassen? Die „gesunde Watschen“ teilt ja auch niemand mehr aus.

Begehen wir als Heiliger Nikolo einen Bankraub, bleibt es dennoch ein Bankraub. Schlage ich Sie ins Gesicht, ist dies ein Akt von Gewalt. Das Brauchtum per se ist ja nicht gewalttätig. Bräuche sind vom Menschen gemacht, ein Vertreter von Gewalt tut sich leichter, auch als Brauchfigur zuzuschlagen. Wir selbst füllen die Rollen der Figuren im Brauchtum aus.

Die Perchtenpässe selbst beschweren sich immer wieder, dass sie vom Publikum provoziert, teilweise auch selbst geschlagen werden …

Das glaube ich den Perchtengestalten sofort, dass sie hart hergenommen werden. Daran können wir schön den Zusammenhang zwischen Brauchgestalten und Brauchgenießern sehen: Der als Event gefeierte Umzug der wilden Gestalten weckt Hoffnung auf beiden Seiten, mal wieder Dampf ablassen zu können. Da bleibt der eine dem anderen nichts schuldig. Und wieder einmal mehr sagt uns dies, dass Brauchtum ein Ventil für die Prüfungen des Alltags ist, diese ein Spiegel für den inneren Zustand einer Gesellschaft sind. Dieser Zustand ist zurzeit höchst bedenkenswert. Wir stehen alle unter großem Druck, großem Leistungsdruck. So unangenehm dies klingen mag, wir Menschen sind auch Triebwesen. Diese Triebe zu kontrollieren fällt nicht jedem gleich leicht. Je archaischer oder unbewusster diese Triebe sind, umso komplexer ist die Steuerung derselben. Die kraftstrotzenden Triebe abzubauen ist fast nur mehr im Fitnessstudio möglich. Männer dürfen keine Männer im bisher gewohnten Sinne sein, da gibt es eine Reihe von Regularien.

Was Perchten von der MeToo-Debatte lernen können
A man dressed in a traditional Perchten costume and mask performs during a Perchten festival in the western Austrian village of Kappl, Austria, November 13, 2015. Each year in November and January people in the western Austria regions dress up in Perchten (also known in some regions as Krampus or Tuifl) costumes and parade through the streets to perform a 1,500 year-old pagan ritual to disperse the ghosts of winter. REUTERS/Dominic Ebenbichler

Das Brauchtum als letzte Bastion des Mannes?

Männer muss ich hier erwähnen, denn die meisten Brauchfiguren sind Männer. Und sie führen diese Kraft unter anderem in der Rolle des Wilden beim Brauchumzug ab. Daher müssten wir auch über angedeutete oder wirkliche Vergewaltigungen durch Perchten und Tuifl sprechen.

Es scheint oft so, als wären junge Mädchen das Hauptziel auf solchen Perchtenläufen.

Natürlich ist das Mädchen das Objekt. Und die Männer sind das handelnde Subjekt. Diese Bräuche kommen aus dem sogenannten "rite de passage", das sind Übergangsbräuche, die früher von jungen, unverheirateten Männern durchgeführt wurden. Und die jungen Mädchen waren die Zuschauer. Aber diese Bräuche haben sich in der Moderne verselbständigt. Dann haben es nicht nur die jungen Männer gemacht. Heutzutage gehen alle schauen. Kleine Kinder waren zum Beispiel, nachdem der Nikolaus weg war oder nach der Dämmerung, früher nie dabei. Die alten Regeln können also nicht mehr gelten, das Brauchtum müsste hier dazulernen.

Das erinnert an die aktuelle Metoo-Debatte. Peter Pilz hat das ja nicht schlecht auf den Punkt gebracht, als er sagte, alte Männer wie er müssten da eben noch etwas dazulernen und müssten eben auch bereit für diese Änderung sein. Ich habe selbst gesehen, dass Mädchen bei Perchtenläufen aus der Menge gezerrt, auf den Boden geworfen wurden und dann mehr oder minder eine Vergewaltigung nachgestellt wurde.

Was unter den Regeln von gestern passiert ist, mag damals in Ordnung gewesen sein. Das heißt aber nicht, dass das auch in Zukunft so gelten muss. Und wenn es damals eine Vergewaltigung war, dann hat man das eben wie eine Vergewaltigung damals behandelt, nämlich halt nicht.

Es braucht also vielleicht mehr Zeit, sich auf die "neuen Zeiten" einzustellen?

Es eskaliert, weil wir das Maß für ein natürliches Verhalten verloren haben. Aus Überregulierung. Aber: Grenzüberschreitung ist Grenzüberschreitung. Letztlich geht es immer um die Frage der Grenzüberschreitung. Und im Moment gibt’s da ein Chaos im Wertekanon. Das betrifft die Grenze bei gespielten Vergewaltigungen, das betrifft auch das Chaos, die Frage wie hart und viel man zuschlagen kann. Grundsätzlich muss man sagen: Es gilt das bestehende Zivil- oder Strafrecht. Ob Brauchtum oder nicht.

War das immer schon so wild? Gibt’s z.B. ähnliche Zwischenfälle auch aus den 70ern?

Die Brauchforschung ist hier reich an Beispielen. Mit Regelmäßigkeit lassen sich Ausfälle belegen. Ganz berühmt sind jene der Südtiroler während dieser Zeit, in der Krampusse in ihrer Teufelsgestalt die italienischen Carabinieri verdroschen. Die Polizei konnte die Täter nicht identifizieren, und der Bevölkerung hat's gefallen.

Welche Elemente sind Brauchtum, was Event? Ist das nicht ein genereller Trend, dass Brauchtum und Event immer mehr zur Marketingaktion verwischt werden?

Es ist tatsächlich so, dass wir inzwischen mehr von exotischen Events sprechen sollten und weniger von Brauchtum. Die Veranstaltungen koppeln sich nämlich zunehmend vom kalendarischen und lokalen Brauchtum ab. Die Tuifl und Perchtn sind selbstständige Figuren. Sie treten außerhalb ihrer gewohnten Zeiten wie Orte auf, räubern wild ohne Nikolaus durch die Abendstunden. Waren sie einstmals kalendarisch ans Kirchenjahr gebunden und dienten sie auch der pädagogischen Unterweisung von Gut und Böse, sind sie nunmehr zur Belustigung im Einsatz. Der Nikolo fehlt oft, es geht darum, die Sau rauszulassen und nicht mehr zu erziehen. Diese Figuren, die Perchten traten immer entweder in der Pfingstzeit, in den Rauhnächten auf, und waren eingebettet in einen moralischen Kontext. Heute ist nur noch das Archaische übrig geblieben. Daher haben wir es im Kärntner Fall eindeutig mit einem Event zu tun, der völlig aus den Fugen geraten ist und wo sich Staatsanwälte augenblicklich wie künftig Gedanken machen sollten.

Gibt es Zahlen, wie sich die Anzahl der Perchtenläufe und der –passen in den vergangenen Jahren entwickelt hat? Ist das also auch eines der Brauchtümer mit Nachwuchsproblemen?

Nachwuchsprobleme gibt es nicht. Schon gar nicht, seit die jungen Männer gebucht werden wie Stars. So kommen die zu Reisen in Städte, die sie sonst nicht unternehmen würden.


Zur Person: Elsbeth Wallnöfer

Elsbeth Wallnöfer, geboren 1963 in Laas/Südtirol, ist Volkskundlerin und Philosophin und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Brauchtum in Österreich. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt erschienen: "Märzveigerl und Suppenbrunzer. 555 Begriffe aus dem echten Österreich". Im Frühjahr erscheint "Wilder Dachstein" im Verlag Anton Pustet.

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