Vom Betroffenen zum Mörder?

Antrag auf Einweisung: Alen R.
Amokfahrt: Geschworene folgten Gutachten über Unzurechnungsfähigkeit erst ein Mal nicht

Sie sah Farbflecken, "wie von van Gogh gemalt." Und "die schwarze Hand, die sich auf mich legt": Die 48-Jährige hatte ihren despotischen Schwiegervater, den Chef eines bekannten Wiener Adressbuch-Verlags, am Frühstückstisch erschossen.

Drei Gerichtsgutachter befanden die Frau für unzurechnungsfähig und damit für nicht schuldunfähig. Doch die Geschworenen setzten sich darüber hinweg und meinten, sie simuliere nur. Die Geisteskranke mutierte zur Mörderin und wurde zu 13 Jahren Haft verurteilt. Später setzte sich der Oberste Gerichtshof über die Geschworenen hinweg, sprach die Frau frei und verfügte – wegen mittlerweiliger geistiger Genesung – ihre Entlassung aus der Psychiatrie.

Das war 1982, und seit damals ist so etwas nicht mehr vorgekommen. Bis jetzt. Im Prozess gegen Alen R. um die Amokfahrt in Graz könnte Ähnliches passieren. Die Geschworenen könnten die Frage, ob er zur Tatzeit zurechnungsfähig war, bejahen. Sie könnten sich gegen den auf Gutachten gestützten Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (ohne Verhängung einer Strafe) entscheiden. In dem Fall würde aus dem "Betroffenen" Alen R. ein des mehrfachen Mordes Angeklagter. Die Laienrichter müssten über die Fragen nach Mord bzw. Körperverletzung mit Todesfolge bzw. fahrlässige Tötung entscheiden und gemeinsam mit den Berufsrichtern eine Strafe (bis zu lebenslang) verhängen.

Kein Muster

Weil ein solches – vom Prozessplan abweichendes – Szenario so gut wie nie vorkommt, wissen darüber nicht einmal versierte Strafverteidiger Bescheid, wie eine KURIER-Blitzumfrage ergab. "Es gibt dafür kein Muster, und an der Uni setzt man sich damit nicht auseinander", sagt der Linzer Strafrechtsprofessor Alois Birklbauer.

Sollte der seltene Fall in Graz eintreten und Alen R. als zurechnungsfähig beurteilt werden, wird die Verhandlung quasi noch einmal eröffnet. Es dürfen noch einmal Plädoyers (zur Strafhöhe) gehalten und es muss dem Angeklagten ein zweites Schlusswort gewährt werden, erklärt Gerichtssprecherin Christina Salzborn vom Grauen Haus in Wien.

Ohne Frist

Lautet das Urteil in Graz auf unzurechnungsfähig, kann Alen R. unbefristet eingewiesen werden, bis ihn wieder Gerichtsgutachter für gesundet und ungefährlich befinden.

Der damals 27-jährige unzurechnungsfähige Michael T. hatte 1993 seine Mutter umgebracht, ihr den Kopf abgeschnitten und in der Auslage ihrer Boutique drapiert. Nach sechs Jahren galt er als geheilt und wurde aus der Anstalt entlassen. Im Jahr 2000 wurde er erneut eingewiesen, weil er – wieder unzurechnungsfähig – in einem Hotel Amok gelaufen war.

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