Tödliche Verwechslung auf der Intensivstation

Im Spital wurden Infusionen verwechselt
Statt Kalium Medikament zur Blutwäsche verabreicht - ein Mann starb, zweites Todesopfer möglich.

Er bekam Kalzium statt Kalium. Das kostete einem Oberösterreicher das Leben: Im Landeskrankenhaus Kirchdorf an der Krems wurden Infusionen verwechselt. Der 61-Jährige starb wenige Tage später an einem Multiorganversagen.

"Wo Menschen arbeiten, können auch Fehler passieren", entschuldigt sich Karl Lehner, Vorstand der Spitalsholding gespag, zu der auch das LKH Kirchdorf gehört. "Auch in einem Krankenhaus. Wir können diese Fehler leider nicht zu 100 Prozent ausschließen."

Noch etwas kann Lehner nicht ausschließen: Dass es neben dem 61-Jährigen ein weiteres Todesopfer aufgrund der fatalen Verwechselung geben könnte – eine schwerkranke Seniorin, die Patientin im Haus war. " Es ist nicht auszuschließen, dass sie daran gestorben ist."

Darüber hinausgehend sollen noch zwei Patienten fälschlicherweise Kalzium-Infusionen erhalten haben - es fehlen insgesamt drei Flaschen des Mittels. Bei den Betroffenen gab es aber offenbar keine Gesundheitsfolgen.

Der Spitalserhalter zeigte den Fall selbst bei der Staatsanwaltschaft Steyr an, die ermittelt wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Lehner ging am Freitag an die Öffentlichkeit und legte offen, was er weiß: Der 61-Jährige wurde vergangenen Samstag eingeliefert. Nach einer Wanderung klagte er über Herzbeschwerden, er hatte Vorhofflimmern. Labortests ergaben Kaliummangel, ein Arzt ordnete eine Infusion mit "Kalium-Magnesium spezial" und weiteren Medikamenten an.

Etikett nicht beachtet

Auf der Intensivstation erhielt der Patient aber statt Kalium/Magnesium eine Infusion mit Calciumchlorid-Magnesiumchlorid sie verursachte eine Hyperkalzämie (Störung des Kalziumhaushalts), die zu Nierenversagen führte. Hier griffen offenbar mehrere Fehler ineinander: Der Pfleger soll die Infusion angehängt haben, ohne auf das Etikett zu achten. Diese Kalziumlösung wird üblicherweise für Blutwäsche verwendet und darf laut Vorstandssprecher Lehner nie direkt verabreicht werden - das könnte auch für gesunde Menschen tödlich sein.

Zweitens hätte die Kalziuminfusion gar nicht auf der Station sein dürfen sie soll nach einer Lieferung falsch eingeordnet worden sein. Von wem, ist unklar, in dem Fall ermittelt die Justiz gegen unbekannte Täter.

Auch als der Patient über Brennen im Mund und Gesicht klagte, lief die Infusion weiter: Vermutet wurde, dass dies eine allergische Reaktion auf das Medikament gegen das Herzflimmern wäre.

Wenig später wurden die erhöhten Kalziumwerte entdeckt und eine Gegentherapie eingeleitet. Doch der Zustand des Oberösterreichers besserte sich nicht: Er wurde am Montag in eine Spezialabteilung nach Wien verlegt, wo er jedoch am Dienstag starb.

Verkettung von Fehlern

Laut Gerald Bachinger, Sprecher der Patientenanwälte Österreichs, sei die Hälfte aller Fehler in Spitälern auf falsche Medikation zurückzuführen: Nicht korrekt dosiert, nicht korrekt gekennzeichnet, fatale Irrtümer, die zu verhindern wären. "Meistens ist das eine Verkettung von Fehlabläufen", beschreibt Bachinger (siehe Zusatzbericht).

So schwere Fälle sind selten, aber es gibt sie. Zuletzt 2013 in Graz: Ein Patient bekam das Mittel für die Chemotherapie in das Rückenmark statt in die Vene gespritzt und starb. Die Ärztin wurde 2016 zu sechs Monaten bedingter Haft und 12.000 Euro Geldstrafe (nicht rechtskräftig) verurteilt sie hatte zur falschen Spritze gegriffen und die Etiketten nicht kontrolliert. Die gespag änderte als erste Maßnahme die Größen der Infusionsgebinde, um die Medikamente unterscheidbarer zu machen. Der Pfleger wurde auf eigenen Wunsch dienstfrei gestellt.

Gerald Bachinger ist Sprecher der Patientenanwälte Österreichs. Er empfiehlt genaue Untersuchung der Fehlabläufe und die Weitergabe der Erkenntnisse.

KURIER: Was ist zu tun, um solche Fälle wie in Oberösterreich künftig zu vermeiden?

Bachinger: Verwechslungen, die auf einem ähnlichen Ausschauen oder ähnlichen Namen beruhen oder dem Umstand, dass ein Mittel immer an einer bestimmten Stelle steht, passieren leider dauernd. Nicht immer mit Folgen für die Patienten, aber es gibt eine Problematik mit Routine: 10.000-mal hat’s funktioniert und ein Mal nicht, aber dann vielleicht mit Patientenschaden.

Aber ist nicht gerade in Spitälern ein exakter Ablauf wichtig?

Natürlich. Aber die Gefahr bei standardisierten Prozessen ist, man verlässt sich darauf, dass eh alles so ist wie sonst auch. Aber ich muss mich jede Sekunde an der Nase nehmen und aufmerksam sein. Nur zwei Zentimeter auf die falsche Seite greifen kann einen Patienten töten. So hohes Risiko gibt’s sonst nur in der Luftfahrt.

Welche Konsequenzen erwarten Sie als Reaktion auf den Fall in Kirchberg?

Man muss sich genau anschauen, wie das passiert ist und dann die Ergebnisse offen und transparent weitergeben. Da können sicher auch andere noch davon lernen. Meistens liegt da eine Verkettung vieler Fehlabläufe zugrunde. Ein Multisystemversagen führt dann dazu, dass letztlich einer die falsche Entscheidung trifft. Aber genau das soll es nicht sein in der Patientensicherheit: Man muss auf die systemische Ebene schauen und nicht das schwächste Schaf köpfen.

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