Tiroler Polizei ruft um Hilfe

Tiroler Polizei ruft um Hilfe
Riesenzuwachs bei Aufgriffen macht Versorgung der Flüchtlinge immer schwieriger.

Reisende stehen mit ihrem Gepäck am Gleis 6 des Innsbrucker Bahnhofs. Ihr Ziel ist München. Um 14.30 Uhr fährt der EC 80 aus Verona ein. Und wie in praktisch jedem der sechs italienischen Fernreisezüge, die täglich Richtung Deutschland durch Tirol fahren, sind auch am Donnerstag Polizisten am Brenner zugestiegen. Sie haben rund 20 illegal Eingereiste aufgegriffen, unter ihnen mehrere Kinder. Sie müssen nun den Zug verlassen und werden von einer ganzen Reihe von Beamten empfangen. Die Flüchtlinge sehen müde und abgekämpft aus.

Szenen wie diese sind längst Alltag. Der Flüchtlingsstrom von Afrika übers Mittelmeer Richtung Norden führt immer öfter über den Brenner. 4759 "Illegale" hat die Polizei im laufenden Jahr bis vergangenen Dienstag in Tirol gestoppt. Das sind rund 900 Personen mehr als im gesamten Vorjahr. Rund 80 Prozent aller Aufgriffe passieren in Zügen Richtung Deutschland. Es sind laut Polizei vor allem jene, die in Verona starten.

Zu wenig Platz

In Tirol will praktisch keiner der Flüchtlinge bleiben. Nur die wenigsten stellen Asylanträge. Mehr als 90 Prozent der Aufgegriffenen kann die Polizei deshalb innerhalb weniger Stunden wieder nach Italien zurückschieben. Doch davor werden sie noch verpflegt, medizinisch versorgt und registriert. Das wird aber zunehmend schwieriger. "Wenn das in dieser Tonart weitergeht, stoßen wir an Grenzen", sagt Tirols Landespolizeichef Helmut Tomac.

Denn die Flüchtlingsgruppen bei einzelnen Aufgriffen werden ständig größer. Und die Kapazitäten für die vorrübergehende Unterbringung sind begrenzt. Bis zu 40 Personen finden in einer eigens eingerichteten Flüchtlingsstelle der Polizei Platz. Ist die voll, bleibt nur noch ein Turnsaal der Exekutive in Innsbruck. "Sind beide Einrichtungen blockiert, sind wir nicht mehr in der Lage, weitere Personen unterzubringen", erklärt Tomac. Es würden bereits Gespräche für einen Plan B mit dem Land und dem Roten Kreuz geführt. Ein Engpass sei schnell möglich – etwa wenn Italien Flüchtlinge nicht sofort zurücknehmen würde.

Nach Bayern geschafft

Dabei müssen sich die Tiroler längst nicht um alle Flüchtlinge kümmern, die sich über den Brenner durchschlagen wollen. Trotz der vielen Kontrollen ist der Ansturm auch in Bayern enorm. "Bis Ende August hat es im Bereich der deutsch-österreichischen Grenze 8700 Aufgriffe gegeben, die Hälfte davon in Zügen", sagt Thomas Borowik von der Bundespolizei in München. Wie viele davon über Tirol gekommen sind, kann er nicht sagen. "Aber es ist die überwiegende Anzahl."

Die Erklärung dafür, dass so viele Flüchtlinge Tirol passieren, ist einfach. Macht die Polizei einen großen Aufgriff, sind die Beamten gebunden und können den Rest des Zuges nicht mehr überprüfen. Der nun diskutierten Wiedereinführung von Grenzen kann Landespolizeichef Tomac dennoch wenig abgewinnen. Das sei zwar möglich. "Ich bezweifle, dass das ein Allheilmittel ist." Letztlich seien in Europa hunderte und tausende Familien unterwegs, "die in einer dramatischen Notlage sind."

In Spital am Semmering ging es schnell: 136 Asylwerber bezogen bereits im Hotel „Haus am Semmering“ im Ortsteil Steinhaus ihre Quartiere. Die Gemeinde will das aber nicht und stemmt sich dagegen, am Montag findet eine Bürgerversammlung statt.

Bürgermeister Reinhard Reisinger von der SPÖ fühlt sich vom Innenministerium übervorteilt. Das „Haus am Semmering“ sei das größte Hotel im Ort gewesen: 24.000 Nächtigungen gab es dort im Vorjahr, das sei ein gutes Drittel der gesamten Übernachtungen in der Gemeinde. Ihr Wegfall schade dem Tourismus. Außerdem sei die Anzahl der Asylwerber zu hoch.

Allerdings hat die Eigentümerin das Hotel mit 200 Betten dem Bund von sich aus angeboten. Vor zwei Wochen wurde der Vertrag unterzeichnet, die ersten Flüchtlinge kamen kurz darauf.

Bei der Bürgerversammlung könnten weitere Protestmaßnahmen beschlossen werden, falls keine Reaktion vom Ministerium komme, kündigt Reisinger an. „Seit einer Woche hören wir nichts von dort, kein Muh, kein gar nichts.“

Aus Protest bearbeitet die Gemeinde die Meldezettel der Flüchtlinge nicht, sondern schickt sie nach Wien. Doch laut Sprecher Karl-Heinz Grundböck sind sie nicht im Innenministerium eingelangt. „Aber wenn sie kommen, schicken wir sie zurück. Meldebehörde ist der Bürgermeister.“ Reisiger kontert: „Ich hab das als RsB-Schreiben geschickt. Auf dem Rückschein ist der Eingangsstempel des Ministeriums drauf.“

In der Gemeinde Abtenau (Bezirk Hallein) gehen die Emotionen hoch. Bereits heute, Mittwoch, oder morgen sollen in einem ehemaligen Hotel jene 40 großteils syrische Flüchtlinge untergebracht werden, die seit 6. September im Turnsaal der Landespolizeidirektion Salzburg nächtigen.

Der Bürgermeister von Abtenau sprach sich dagegen aus, er fühlt sich vom Innenministerium "überrumpelt."

"120 sind zu viel"

Bis zu 120 Flüchtlinge sollen in dem leer stehen "Lammertal Ressort" im Abtenauer Ortsteil Voglau untergebracht werden. Er sei erst gestern von einem Mitarbeiter des Innenministeriums darüber in Kenntnis gesetzt und vor vollendete Tatsachen gestellt worden, erklärte Bürgermeister Johann Schnitzhofer (ÖVP).

Erst am vorgestrigen Montag sei in einer Gemeinderatssitzung beschlossen worden, dass Abtenau einen Beitrag zur Unterbringung von Asylwerbern leisten werde. 20 bis 30 Personen könne die Gemeinde unterbringen, "120 sind aber einfach zu viel", betonte der Bürgermeister. Das Verhältnis passe nicht, der Ortsteil Voglau habe nur rund 700 Einwohner, gab Schnitzhofer zu bedenken.

Überprüfungen

Nun wolle die Gemeinde überprüfen, ob die Unterbringung der Asylwerber im Lammertal Resort nach dem Raumordnungsrecht überhaupt möglich sei, denn es handle sich dort um eine touristische Sonderfläche. "Wir werden da einige Dinge überprüfen müssen", stellte der Bürgermeister die Rute ins Fenster. Heute am Abend werde die Gemeinde im Gasthaus Voglau um 19.30 Uhr eine Bürgerversammlung einberufen.

Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums, appellierte im Gespräch mit der APA an die Mitmenschlichkeit. Er würde es bedauerlich finden, wenn bürokratische Argumente wie die Raumordnung gegen die menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen vorgebracht werden. "Das ist schwer nachvollziehbar, wenn Menschen in einem Turnsaal nächtigen müssen."

Angesichts der Tatsache, dass in den vergangenen Tagen und Wochen täglich bis zu 170 Anträge von Flüchtlingen einlangten, seien neue Quartiere erforderlich, erklärte Grundböck. Die größte Gruppe seien Syrer. Doch die Übernahmezahlen der in Bundesbetreuung befindlichen Flüchtlinge durch die Bundesländer würden sich an keinem Tag im dreistelligen Bereich bewegen, kritisierte der Ministeriumssprecher. Auch Salzburg sei bei der Erfüllung der Quote säumig.

Derzeit noch keinen Asylwerber aufgenommen

Die 5.700 Einwohner zählende Gemeinde Abtenau habe noch keinen einzigen Asylwerber aufgenommen, betonte Grundböck. Das von der Betreiberin angebotene Gasthaus, das eine Kapazität von bis zu 120 Personen biete, solle nun so rasch wie möglich mit den 40 Flüchtlingen belegt werden, die derzeit im Turnsaal der Polizei untergebracht sind. "Der Turnsaal kann keine Dauerlösung sein", sagte Grundböck. Er sprach von einer "temporären" Unterbringung in Abtenau. Auch wenn sich die Gemeinde gegen eine Bundesbetreuung ausspreche, ändere das nichts an der Notwendigkeit, dort eine vorübergehende Betreuungsstelle einzurichten. Das heiße aber nicht, dass dort heute 120 Asylwerber untergebracht würden, erklärte der Sprecher.

Rufe nach Solidarität

Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) und die zuständige Landesrätin Martina Berthold (Grüne) ersuchen jetzt die Bürgermeister aller Salzburger Gemeinden, aus Solidarität Abtenau zu entlasten und einen Teil der Flüchtlinge aufzunehmen. Die Landesrätin appelliere an die Bürgermeister, "mittlere Quartiere" in einer Größenordnung von bis zu 40 Personen bekannt zu geben, damit in Abtenau nicht so eine große Anzahl an Flüchtlingen untergebracht werden müsse, sagte eine Sprecherin von Berthold.

Vorerst nicht mehr als 40 Flüchtlinge

Um Beruhigung in der Aufregung ist Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) am Mittwoch bemüht gewesen. In einem Gespräch mit Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sei man so verblieben, dass in dem ehemaligen Hotel 40 Personen befristet bis Jahresende untergebracht werden, sagte ein Sprecher von Haslauer.

Das Land bemühe sich aber, bis Ende dieser Woche noch 55 Plätze in anderen Gemeinden aufzubringen, hieß es aus dem Büro von Haslauer. In Abtenau sollen in einem verträglichen Ausmaß noch Plätze für Flüchtlinge gefunden werden.

Bezüglich der Quote habe sich in den vergangenen Monaten viel getan, die erhöhte Quote von 91,3 Prozent werde Salzburg bis Anfang nächsten Monats erfüllen, erklärte der Sprecher des Landeshauptmanns. Die Mindestquote von 88 Prozent werde derzeit in Salzburg auch erfüllt, betonte eine Sprecherin von Landesrätin Martina Berthold (Grüne). Um die aufgrund der zunehmenden Anzahl von Flüchtlingen erhöhte Quote von 91,3 Prozent zu erfüllen, fehlten in Salzburg derzeit noch 39 Plätze, die aber bald zur Verfügung stünden.

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