Tierschützer-Prozess: Neues Leben mit alten Vorwürfen

Jürgen Faulmann, Tierschützer, Tierschutz-Prozess
Fünf Tierrechtler werden erneut angeklagt. Jürgen Faulmann ist einer von ihnen.

Jürgen Faulmann wollte nur mehr weg. Es war September 2011, vier Monate nach dem Freispruch im Tierschützer-Prozess. „Weg von den Verfolgern“ aus Justiz und Polizei, dachte er.

Der 44-Jährige tauschte seinen Laptop gegen eine Mistgabel. Er hängte seinen Job als Kampagnen-Direktor von Vier Pfoten an den Nagel und zog auf einen Bauernhof nach Lochen, Oberösterreich. „Pfotenhilfe“ heißt der Hof, ein Heim für 350 Tiere, die beim Schlachter oder auf der Straße gelandet wären.

Doch auch hier wird er beobachtet. Sein Verfolger schnüffelt beharrlich in seinem Leben herum. Es ist Fipsi, ein Mini-Yorkshire-Terrier, der als Schmuggelwelpe nach Lochen kam und seither nicht von seiner Seite weicht.

„Hier bin ich weit weg, gefühlsmäßig“, erzählt er. Der gelernte Koch führt über das Areal, vorbei an seiner Le-bensgefährtin, die gerade ausmistet, an saftigen Wiesen, Eseln, Pferden und Hunden.

Vor einer Woche holte ihn sein altes Leben wieder ein. Das Oberlandesgericht Wien hob fünf der 13 Freisprüche teilweise auf. Zwar ist der Hauptvorwurf, die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation, für alle vom Tisch. Auf fünf Tierrechtler wartet aber ein neuer Strafprozess.

Einer von ihnen ist Faulmann. Seit fünf Jahren läuft das Verfahren. Dazwischen saß er 105 Tage in U-Haft, 88 Tage im Gerichtssaal, war inzwischen laut einem Amtsarzt wegen „psychischer Unzumutbarkeit“ verhandlungsunfähig, schlitterte in den finanziellen Ruin und zog nach Lochen.

Hier ist einer seiner Schützlinge Enrico, ein 250 Kilo schweres Hausschwein, das sich soeben auf die Nachmittagsjause aus Obst und Gemüse stürzt. Der 44-Jährige ist Tierpfleger und Hauswart in einem. „Für mich ist das hier eine Therapie. Ich gebe den Tieren die Freiheit. Ihr Freiheitsgefühl schlägt auf mich über“, schildert er.

„Schweine“ und „Freiheit“, darüber wird auch etwas in der neuen Anklage gegen ihn zu lesen sein. Im März 2008 brach ein Unbekannter im Bezirk Wr. Neustadt einen Schweinestall auf. 400 Masttiere liefen auf die Wiese hinaus. Tiere sind verletzt worden oder verendet, behauptete der Bauer. Er beziffert den Schaden mit 5120 Euro. Der Staatsanwalt glaubt, dass Faulmann hinter der Aktion steckt. Ausgerechnet ihm, dem Tierschützer, wird neben Sachbeschädigung auch Tierquälerei vorgeworfen.

Beweise ignoriert

Die Richterin sprach ihn zwar frei. Das Oberlandesgericht Wien monierte aber, dass sie sich nicht ausreichend mit den belastenden Beweisen auseinandergesetzt habe. Faulmann ergänzt: „Sie hat sich auch nicht mit den entlastenden beschäftigt, alle Anträge abgewehrt.“

Für den 44-Jährigen sind die Vorwürfe „heiße Luft“. Er sei tagsüber mit zwei Freunden vorbeigeradelt. Vor dem Stall lagen zwei tote Schweine, übersät mit Bisswunden, die von Artgenossen stammen dürften. Nachts, zum Tatzeitpunkt, „war ich in Wien“. Darüber müsste es ein Protokoll geben, denn zu jener Zeit wurde er observiert. „Entlastende Berichte wurden nie rausgerückt.“

Abgesehen davon will er beweisen, woran die Tiere starben. „An der miserablen und engen Haltung.“

Erneut heftet sich ein Verfolger an Faulmanns Fersen. Einstein, ein ehemaliges Fiakerpferd, scheint hungrig zu sein, begnügt sich aber mit Streicheleinheiten. Der Vater zweier Töchter erzählt von sich. Wie er, der Koch, zum Veganer wurde. Wie er Grenzen überschritt.

Seit 1993 widmet er sich dem Tierschutz. Er kettete sich an Tiertransporter, dokumentierte Missstände bei Treibjagden und recherchierte in illegalen Hühner-Batterien. Sein Leben hat der Prozess verändert, seine Prinzipien aber nicht. Wie weit darf Tierschutz gehen? „Ich halte nichts von blindem Aktionismus, aber wenn sich etwas ändern soll, muss es im Rahmen des zivilen Ungehorsams auch legitim sein, Bagatellstrafen zu riskieren.“

www.pfotenhilfe.at

Der Tierschützer-Prozess hat eines sehr deutlich gemacht: Der Paragraf 278a im Strafgesetzbuch, die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation, kann rasch zum Sargnagel für kritische Vereine werden. Immer lauter wurde der Ruf nach einer Reform.

In der neuen Fassung soll im Vordergrund stehen, „dass eine kriminelle Organisation mit strafwürdigen Mitteln auf finanzielle Gewinne aus ist“, kündigte Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) Ende 2012 an. Derzeit heißt es im Gesetz: Eine Gruppe, die „schwerwiegende Straftaten“ begeht, gilt dann als kriminelle Organisation, wenn sie „dadurch eine Bereicherung in großem Umfang oder erheblichen Einfluss auf Politik und Wirtschaft anstrebt“. Der zweite Halbsatz soll nun gestrichen werden – und nur die „Bereicherung“ soll übrig bleiben.

In dieser Legislaturperiode dürfte es mit einer Novelle knapp werden. Bisher hat sich Karl auf die Position zurückgezogen, zuerst die Entscheidung des Wiener Oberlandesgerichts (OLG) abzuwarten. Am Montag hob das OLG Wien fünf Freisprüche teilweise auf. Für eine Regierungsvorlage ist es aber zu spät. Der letztmögliche Termin ist bereits verstrichen.

Der Zug ist allerdings noch nicht abgefahren: Das Parlament könnte noch am Mittwoch im Justizausschuss aktiv werden.

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