Schlepperrouten ändern sich

epa02925834 Refugees who are trying to enter the borderless European Schengen Area take shelter on the outskirts of Subotica, near the Hungarian border, Serbia, 19 September 2011. Some members of this impromptu male-only camp have already tried to enter Hungary across the border, but they were sent back to Serbia. Police statistics also confirm the increasing number of recently captured border violators at the Southern frontier of Hungary. Pictures show men mainly from Pakistan, India and Afghanistan, who have been living near Subotica since several months. EPA/SANDOR UJVARI HUNGARY OUT
Mehr Einreisen über Ungarn: Die größten Schlepperrouten verschieben sich nach Osten.

Die Zahl der illegal eingereisten und geschleppten Personen ist im Jahr 2012 gegenüber dem Jahr davor um fünf Prozent auf knapp 22.000 gestiegen. Einen leichten Rückgang gab es bei den Festnahmen von Schleppern. Gleichzeitig macht sich aber eine dramatische Verschiebung bei den Schlepperrouten in den Osten bemerkbar.

Das sind die Eckpunkte des Schlepperberichtes 2012. Der Bericht wird noch immer unter Verschluss gehalten, obwohl er eigentlich längst veröffentlicht hätte werden sollen. Man wolle in der aufgeheizten Diskussion nach der Abschiebung von acht Pakistani nicht zusätzlich Öl ins Feuer gießen, ist hinter vorgehaltener Hand zu hören.

Verschiebung

Dem KURIER gelang es dennoch, die wesentlichen Eckdaten in Erfahrung zu bringen. Bisher lief die Hauptroute der Schlepper über Italien – 40 Prozent der illegal Eingereisten sollen so eingeschleust worden sein. Die zweitstärkste Route führte über Ungarn (25 Prozent). Hier stellten die Analysten des Bundeskriminalamtes eine signifikante Verschiebung fest. Die Zahl der Eingereisten über die Italien-Route verringerte sich um fast ein Drittel, dafür stiegen die Einreisen über die Ungarn-Route (plus 40 Prozent) massiv.

Einen leichten Rückgang verzeichnen die Behörden bei den Festnahmen von Schleppern, die von 288 auf 235 sanken. Ein Rückgang, den Oberst Gerald Tatzgern vom Bundeskriminalamt als Erfolg betrachtet. Der sei ein Ergebnis der verstärkten Zusammenarbeit mit den ungarischen Behörden, mit deren Hilfe es gelungen wäre, die großen Chefs der Organisationen im Ausland zu fassen. Denn die haben sich an der Schengen-Außengrenze von Ungarn und Rumänien niedergelassen.

FIMATHU heißt dieses Arbeitsanalyse-Projekt der Europol. Es ermöglicht den raschen Austausch von relevanten Daten mit Ungarn. Ziel ist es, die Strukturen der Schleppergruppen zu zerschlagen.

Besonders im Visier der Mafia-Jäger ist die serbische Grenzstadt Subotica und die serbischen Asylzentren in Banja Koviljaca und Bogovadja. Dort campieren in Wäldern und verlassenen Häusern Tausende Gestrandete, die teils mehrere Monate auf den Weitertransport warten müssen. Sie kommen über die Türkei und Griechenland und stellen eine unerschöpfliche Geldquelle für serbische Schleuserbanden dar. Warum die serbische Politik das zulässt, ist noch eine offene Frage.

Gesteuert wird die Fahndung von der Schlepper-Soko-Süd in Eisenstadt. Der Nordgrenze zu Tschechien widmet sich die Soko-Nord mit Sitz in St. Pölten. Sie ist hauptsächlich mit Tschetschenen konfrontiert.

Spitzenreiter

Die geschleppten Personen stammen vor allem aus Afghanistan, Pakistan und Tschetschenien. Hier sind die Zahlen nach wie vor steigend. Die Schlepper stammen meist aus der Ethnie der Geschleppten. Nur die Chinesen machen eine Ausnahme: Sie lassen von Vietnamesen schleppen. Und die syrischen Kriegsflüchtlinge, deren Zahl bei etwa 400 lag, bedienen sich türkischer Organisationen.

Manche Schlepper bieten Gesamtreisen nach Europa an. Flüchtlinge erzählen, dass die Angebote zwischen 2500 und 4000 Euro liegen. Allerdings werden ihnen auf der Reise zusätzliche „Gebühren“ abgepresst, wodurch Reisekosten von bis zu 10.000 Euro entstehen.

Schlepperrouten ändern sich

„Ihr habt mich in den Tod geschickt,“ sagt einer jener Flüchtlinge in einem Profil-Interview. Der Mann wurde vor zwei Wochen aus dem Wiener Servitenkloster abgeschoben. Im Interview fürchtet er, von kriminellen Banden umgebracht zu werden.

Das ist eher ein Sonderfall. Denn in der Praxis sind Pakistani selbst in höchster Not, nicht bereit zu flüchten. Wie etwa der Bauer Ali Sabaz, der sich im Jahr 2010 in Risalpur mit seiner Familie und seiner Kuh vor dem Hochwasser in eine Lokomotivfabrik geflüchtet hatte. Nach dem Abfließen des Wassers würde der Ackerboden hart wie Beton sein, fürchtete er. Aber eine Flucht nach Europa käme für ihn nicht infrage, erzählte er dem KURIER-Reporter: „Wir gehören hierher.“

Katastrophen-Routine

Ein Erdbeben im Hindukusch, Hochwasser im Tiefland und eine militärische Auseinandersetzung im Grenzgebiet lösten in den vergangenen Jahren Fluchtbewegungen innerhalb Pakistans aus. Die Regierung und internationale Organisationen gehen hier schon mit einer gewissen Routine vor: Die Armee schafft freie Arbeitsbedingungen, UNHCR baut große Zeltstädte auf und das Welternährungsprogramm WFP verteilt Lebensmittel. Die Weltgesundheitsorganisation WHO und das pakistanische Gesundheitsministerium schaffen hygienische Rahmenbedingungen, um den Ausbruch von Seuchen zu verhindern.

Diese Fluchtbewegungen schlagen sich in der österreichischen Asylstatistik nicht nieder. In der österreichischen Flüchtlingsstatistik finden sich fast ausschließlich männliche Erwachsene unter 40 Jahren. Dieses Jahr war keine einzige Frau dabei, im Vorjahr gab es nur 15 weibliche Flüchtlinge. Im Innenministerium wertet man das als Indiz dafür, dass es sich um Wirtschaftsflüchtlinge handelt, um junge Männer, denen die Familie die Reise finanzierte – in der Hoffnung, künftig Geldüberweisungen aus Europa zu erhalten. Jede Abschiebung zurück ins Heimatland ist für diese Familien eine Katastrophe – vor allem eine wirtschaftliche.

Die Temperaturen sind hoch und die kurzen Mitteilungen auf Twitter ohnehin nicht immer ernst zu nehmen. Aber wenn jetzt Fluchthelfer aus der kommunistischen Diktatur DDR mit heutigen Schlepperbanden verglichen werden, hört sich der Spaß auf. Kurzer historischer Einschub: Alleine an der Berliner Mauer wurden zwischen 1962 und 1989 mindestens 251 Menschen getötet, die von Deutschland Ost nach Deutschland West übersiedeln wollten.

Aber auch in der aktuellen Debatte ist Faktenwissen nötig: Im Jahr 2011 wurden 9812 Flüchtlinge nach Österreich geschleppt, 2003 waren es noch doppelt so viele. Von einer zugespitzten Situation kann also nicht die Rede sein, trotzdem sind organisierte Schlepper, die vom Leid anderer leben, streng zu bestrafen.

Wahr ist aber auch, dass die EU hier nur unzureichend funktioniert. Die sogenannte Dublin-II-Verordnung sieht im Prinzip vor, dass über die Gewährung von Asyl in jenem Land entscheiden wird, wo ein Flüchtling zuerst angekommen ist. Die europäische Geografie sorgt dafür, dass Südländer, vor allem Griechenland, heillos überfordert sind. Schlepper leben also auch davon, dass sie Notleidende durch Europa führen. Die EU braucht nicht nur ein einheitliches Asylrecht, sondern auch eine zentrale Verwaltung.

Und wir Österreicher haben einen Anspruch auf eine ehrliche Informationspolitik. Was die Medien dann damit machen, ist dann wieder eine andere Sache. Wer nur dem Boulevard glaubt, sieht ganze Schlepperbanden in seinem Vorgarten, andere wiederum verharmlosen dieses Verbrechen. Mit dem Leid anderer soll man weder nach Lesern noch nach Wählern gieren.

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