"Jeder kriegt die Hälfte vom Kind"

Die Kinderbeistände fungieren als eine Art Sorgenfresser.
Streit um Sorgerecht und Besuchsregelung wird heftiger, Kinderbeistand als Sprachrohr.

Die elfjährige Emma schreibt an ihre Eltern: "Ich will mit Eurem Streit nichts zu tun haben." Der zwölfjährige Lukas schreibt an ... "Wem von Euch soll ich überhaupt schreiben? Eigentlich will ich Euch gar nichts sagen, dann muss ich mir auch euer Gerede nicht anhorchen."

Kinder, ganz besonders Scheidungskinder, wollen gehört werden. Auch vor Gericht, wo es um ihre "Aufteilung" geht. Meist wollen sie aber selbst nicht auftreten und nicht die Schmutzwäsche der Eltern mitbekommen. Dafür gibt es seit 2008 den Kinderbeistand, den das Gericht in verfahrenen Fällen zuweist (und den die Eltern nach einem ersten Gratis-Halbjahr selbst zahlen müssen). Das sind psychosozial geschulte Begleiter, die das Kind gegenüber den Eltern und vor Gericht als deren Sprachrohr vertreten.

"Jeder kriegt die Hälfte vom Kind"
kinderbeistand ursula novak

Ursula Novak ist seit Anfang an dabei. Sie betreut ständig rund zwölf Kinder im Alter von vier bis 17 Jahren nebeneinander, jeweils bis zu zwei Jahre lang. "Mama und Papa haben ihre Anwälte, ich hab’ jetzt auch einen", sagen die Kinder. Die 50-Jährige ist rund um die Uhr für "ihre" Kinder da: "Ich hab’ im Hinterkopf, die Larissa ist dieses Wochenende beim Papa. Manchmal kippt der Besuch, dann rufen mich die Kinder an. Oft reicht es schon, zu fragen: ’Na, wie geht’s dir beim Papa?’ Oder ich frage, ob ich mit den Eltern sprechen soll."

Weiter lieb haben

Was wollen Scheidungskinder? "Vor allem wollen sie Papa und Mama weiter lieb haben." Anfangs wollen sie auch, dass die Eltern wieder zusammenkommen. "Wirklich?", fragt Novak. "Na ja, die streiten eh nur", kommt dann oft. Und dass der Papa früher nie daheim war, beim Besuchstag aber jetzt ganz fürs Kind da ist.

Man sei eine Art "Müllhalde", auf der alles abgeladen wird, sagt Novak. Man müsse filtern, was die Kinder wirklich bewegt. Etwa das Gefühl, Papa oder Mama hätten den neue Lebenspartner lieber. Oder Papa zahlt keinen Unterhalt, "also bin ich ihm nichts wert." Oder dass die Kinder nur als Botschafter verwendet werden: "Richt’ der Mama aus..." Ursula Novak hat dafür mitten in einer Verhandlung eine WhatsApp-Gruppe (Handy-Chat) eingerichtet, mit ihr als Schnittstelle. Die Kinder merken: "Die Eltern können zwar nicht miteinander reden, aber schreiben geht, und mein Beistand passt auf wie ein Haftelmacher." Ehe das Gericht über Obsorge und Besuchsregelung entscheidet, redet Novak getrennt mit Vater und Mutter und dem Kind. Was vom Kind kommt, wird nur mit ausdrücklicher Zustimmung an die Eltern weiter gegeben. "Aber was von den Eltern kommt, erfährt das Kind von mir, das muss klar sein", sagt Novak: "Oft wollen die Eltern, dass man vom neuen Partner nichts verrät, aber die Kinder riechen ohnehin Lunte." Da müsse man voll hinter den Kindern stehen, "auch wenn ich mir dabei Schiefer einziehe."

"Jeder kriegt die Hälfte vom Kind"
scheidungskinder
Vor einigen Jahren war es die Regel, dass die Kinder bei der Mutter geblieben sind, heute lebt ein Drittel beim Vater. "Und die Eltern beharren mehr auf ihrem Recht als früher, die Geschichten werden heftiger." Das bestätigt auch die Familienrichterin Doris Täubel-Weinreich: "Die Väter nehmen mehr teil, dafür wird heftiger gestritten. Jeder will das Kind für sich. Ich müsste sagen: ’Jeder kriegt die Hälfte vom Kind’."

Das Leiden

Für die Verhandlung erarbeitet der Kinderbeistand mit den Kindern einen Brief an die Eltern. Der wird dann verlesen. "Und wenn die Eltern hören, wie ihr Kind leidet, werden sie emotional, das weckt sie auf", erzählt die Richterin.

Am Ende der in aller Regel erfolgreichen Betreuungszeit hinterlassen die Kinder bei Ursula Novak in einem dicken Freundschaftsbuch eine Nachricht. Eine Zeichnung, ein Gedicht, sogar ein Lied.

"Du gabst mir Kraft in meiner Not, ohne dich wär ich emotional längst tot", schrieb die 14-jährige Julia.

Der Wiener Anwalt Johann Etienne Korab ist Familienrechts-Spezialist.

KURIER: Worum streiten Eltern in Sorgerechtsverfahren?

Es geht oft um persönliche kommerzielle Interessen. Elternteile verwenden ihre Kinder dazu, mehr Unterhalt zu bekommen. Manchmal bewegen sie sich bei der Ausweitung des Kontaktrechts nicht, weil sie Angst haben, dann nicht mehr den vollen Unterhalt kassieren zu können. Der Verkauf von Kontaktrecht ist bedenklich. Ich vertrete in einem Fall, da sagt die Mutter: ’Mein Ex-Mann bekommt mehr Kontaktzeit mit unserem Kind, wenn er mehr Unterhalt zahlt. Und sie sagt: ’Ich geb’ eh fast alles an den Buben weiter’. Dabei muss der Kindesunterhalt selbstverständlich zur Gänze für das Kind aufgewendet werden."

Verlangen nur Frauen Unterhalt?

Das nicht, aber ich habe schon für einige Männer die Obsorge durchgesetzt, die keinen Unterhalt von der Frau verlangt haben, weil sie so froh waren, dass sie die Obsorge bekommen haben.

Begrüßen Sie, dass es Kinderbeistände gibt?

Sehr, die bauen ein gutes Vertrauensverhältnis auf und ersparen Kindern den Auftritt vor Gericht. Auch die Familiengerichtshilfe schafft gute Ergebnisse.

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